Sprachenlernen und Kognition. Jörg-Matthias Roche

Sprachenlernen und Kognition - Jörg-Matthias Roche


Скачать книгу
Mechelli et al. (2004) italienische Englischlerner mit unterschiedlichem Erwerbsbeginn (im Alter von zwei bis 34 Jahre) sowie mit unterschiedlichen L2-Kompetenzstufen. Eine sehr hohe positive Korrelation wurde zwischen der Dichte der grauen Substanz und dem Alter nachgewiesen, in dem der L2-Erwerb begonnen hatte. Das deutet darauf hin, dass es zu einer Verdichtung der grauen Substanz kommt, wenn eine Sprache erlernt wird. Diese Verdichtung geht mit zunehmendem Alter zurück.

      In einer aktuelleren Studie von Luk, Bialystok, Craik & Grady (2011) wurde eine spezielle Variante der strukturellen Bildgebung verwendet, um einsprachige mit mehrsprachigen älteren Erwachsenen zu vergleichen: die sogenannte Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI). Bei der DTI wird ein MRI-Scanner verwendet, der Schwerpunkt liegt jedoch auf der bildlichen Erfassung der Datenwege weißer Substanz im Gehirn. Die Daten zeigen, dass die weiße Substanz in der Gruppe der mehrsprachigen Personen in höherem Maße unversehrt vorliegt, insbesondere im corpus callosum (der Balken oder das Bündel der Nervenfasern, das beide Hemisphären verbindet). Das deutet darauf hin, dass die Strukturen der weißen Substanz im Alterungsprozess bei mehrsprachigen im Vergleich zu einsprachigen Personen besser erhalten bleiben.

      Green, Crinion & Price (2006) erörtern kurz eigene Ergebnisse aus Studien mit bi- und multilingualen Personen. Dabei erwähnen sie, dass »preliminary analyses indicate an area in the left parietal context that shows a significant effect of the number of languages spoken« (Green et al. 2006: 116). Auf der Grundlage der besprochenen Literatur und ihrer eigenen Erkenntnisse schließen sie darauf, dass der Erwerb einer zweiten Sprache zu strukturellen Veränderungen im Gehirn führt, insbesondere zur weiteren Entwicklung der grauen Substanz oder zur Zunahme von grauer Substanz in bestimmten Bereichen.

      In Kombination deuten die Studien darauf hin, dass der L2-Erwerb vor allem im jungen Alter zu einer Zunahme der grauen Substanz führt (zumindest in bestimmten Gehirnregionen) und zur Verbesserung des Zustands der weißen Substanz im alternden Gehirn. Es wird vermutet, dass die ständigen kognitiven Übungen aufgrund von Mehrsprachigkeit (zum Beispiel Sprachenwechsel) für das alternde Gehirn von Vorteil sind. Es hat sich herausgestellt, dass das mehrsprachige Gehirn besser bei der Bewältigung bestimmter exekutiver Aufgaben ist. Außerdem stellt sich heraus, dass bei mehrsprachigen Personen Demenz in einem höheren Alter diagnostiziert wird als bei einsprachigen Personen (Bialystok, Craik & Freedman, 2007). Abschließend lässt sich sagen, dass das Gehirn einerseits die Variationsmöglichkeiten beim Zweitsprachenerwerb einschränkt. Andererseits ist das Gehirn plastisch und durch bestimmte Erfahrungen veränderbar. Die Grenzen sowohl der Einschränkungen als auch der Formbarkeit des Gehirns müssen jedoch noch bestimmt werden.

      1.3.2 Die Untersuchung der aktiven Areale mittels Verfahren der funktionellen Bildgebung

      Die strukturelle Bildgebung ist immer noch weitverbreitet, um Anomalien zu lokalisieren und Strukturen bei unterschiedlichen Personengruppen zu vergleichen: Etwa bei Legasthenikern, bei Personen mit Autismus-Spektrum-Störungen und bei älteren Personen. In den vergangenen Jahrzehnten überwogen jedoch die Verfahren der funktionellen Bildgebung in der psycho- und neurolinguistischen Forschung, denn diese Verfahren ermöglichen die Untersuchung der Gehirnaktivität, indem Veränderungen der Durchblutung, elektrische Aktivität oder magnetische Felder beobachtet werden. Unser Gehirn ist pausenlos aktiv und wenn es Informationen verarbeitet, übertragen die Nervenzellen im Gehirn Informationen an andere Nervenzellen. Die Kommunikation dieser Nervenzellen (oder Neuronen) verursacht einen elektrischen Strom im Gehirn. Wenn eine ausreichende Anzahl Neuronen an der Verarbeitung derselben Information beteiligt ist, erzeugen sie ein elektrisches und magnetisches Feld, das außerhalb des Schädels gemessen werden kann. Bei den Verfahren der funktionellen Bildgebung wird zwischen solchen unterschieden, die zur Lokalisierung von Gehirnregionen verwendet werden – sogenannte Wo-Verfahren – und solchen, bei denen die Bildgebung auf Basis von magnetischer oder elektrischer Aktivität im Gehirn entsteht, die Wann-Verfahren.

      Wann-Verfahren, die elektromagnetische Aktivität verwenden

      Der Kommunikationsprozess innerhalb des Gehirns erfolgt durch das Feuern der Neuronen, das zu elektrischer Strömung führt. Dieser Strom fließt in Zellen hinein und wieder heraus und erzeugt dabei in geringem Abstand Dipole mit negativer und positiver elektrischer Ladung. Wenn viele neuronale Dipole dieselbe Art von Input erhalten und ähnlich ausgerichtet sind (positiv oder negativ), addieren sie sich auf und können dann mittels der Elektroenzephalographie (EEG) außerhalb des Schädels gemessen werden. Während einer EEG-Aufzeichnung trägt der Proband oder die Probandin eine Kappe, die mit 32, 64 oder sogar noch mehr Elektroden bestückt ist. Die Kappe ist so beschaffen und wird so aufgesetzt, dass jede Elektrode an einer bestimmten Stelle auf die Kopfhaut trifft; jede Elektrode zeichnet die elektrische Aktivität von Tausenden Neuronen auf. Das Ergebnis stellt ein Gesamtbild der Gehirnaktivität dar. Dabei wird pro positionierter Elektrode eine Wellenlinie ausgegeben. Als ereigniskorrelierte Hirnpotentiale (ERPs) werden die Veränderungen in der elektrischen Strömung bezeichnet, die sich aufgrund eines spezifischen Stimulus oder einer bestimmten Aktivität ereignen, zum Beispiel durch ein Wort oder ein Bild. Um herauszufinden, welcher Teil des EEG die durch den Stimulus erzeugte Aktivität abbildet, sind mehrfache Messungen vonnöten. Denn die Aufzeichnung erfasst auch viele irrelevante Gehirnaktivitäten zusammen mit den ereigniskorrelierten Hirnpotentialen.

      Für ein aussagekräftiges Ergebnis muss das EEG deshalb zeitlich auf den spezifischen Stimulus eingegrenzt und der Durchschnitt ermittelt werden. Danach erst wird das ereigniskorrelierte Hirnpotential sichtbar, denn die nicht zeitlich eingegrenzten, irrelevanten Gehirnaktivitäten werden ausgeglichen.

      Viele Studien, die ereigniskorrelierte Hirnpotentiale zur Untersuchung von Sprachverarbeitung verwenden, machen sich das Erwartungsverletzungsparadigma zunutze. Bei diesem Verfahren werden ereigniskorrelierte Hirnpotentiale miteinander verglichen, die als Reaktion auf zwei Sätze entstehen. Die beiden Sätze unterscheiden sich nur in einem einzigen Aspekt. Es wird davon ausgegangen, dass die Unterschiede in der Wellenform der beiden ERPs die Verarbeitungsunterschiede im Gehirn abbilden. Es ist möglich, diese Abweichung auf den einen Aspekt zurückzuführen, der in den beiden Sätzen anders war. Wenn zum Beispiel der zeitliche Verlauf der semantischen Verarbeitung untersucht werden soll, kann die Reaktionen des Gehirns auf die Wörter Buch und Wasser in den folgenden beiden Sätzen verglichen werden:

(1)Ich werde dieses Buch im Zug lesen.
(2)Ich werde dieses Wasser im Zug lesen.

      Die daraus resultierenden ERP-Effekte oder -Komponenten, das heißt der Unterschied in der Aktivierung zwischen den beiden Sätzen ab Beginn des Wortes Buch beziehungsweise Wasser, werden oft nach der Polarität und dem Zeitpunkt benannt, an dem sie ihren Höhepunkt erreichen (N400 ist eine negativ gerichtete Welle, der Höhepunkt liegt bei 400 Millisekunden nach Beginn); oder sie werden nach der Verteilung und der Polarität benannt (LAN ist links anterior negativ bei verschiedenen Latenzzeiten nach Beginn). Im Verlauf der Jahre sind mit Experimenten mittels ereigniskorrelierter Hirnpotentiale verschiedene Komponenten der Hirnpotentiale identifiziert worden, die überwiegend mit bestimmten Aspekten des Sprachverstehens in Verbindung gebracht werden können.

      N400 ist die bekannteste ERP-Komponente, die bei Verstößen gegen die Semantik sicher beobachtet werden kann (Kutas & Hillyard 1980), so wie in Ich werde dieses Wasser im Zug lesen. Diese Komponente zeigt einen negativen Ausschlag, der bei ungefähr 400 Millisekunden seinen Höhepunkt erreicht, nachdem ein semantisch nicht plausibles Wort verarbeitet worden ist. Am besten ist dieser Effekt über den zentralen parietalen Arealen der Kopfhaut sichtbar (vergleiche dazu Abbildung 1.5 weiter unten). N400 ist stärker bei Wörtern, die schwer in einen Satz integriert werden können und schwach bei leicht integrierbaren Wörtern. Es wäre zum Beispiel einfach, das Wort Pferd in so einem Satz zu verarbeiten: Der Cowboy ritt auf dem Pferd. Es wäre weitaus aufwändiger für das Gehirn, das Wort Pferd in diesem Satz zu verarbeiten: Der Einbrecher bewegte sein Pferd. Wenn die ERP-Wellenformen bei einer Person als Reaktion auf das Wort Pferd in diesen beiden Sätzen verglichen werden, dann würden die Gehirnwellen einen relativen negativen Höhepunkt als Reaktion auf das Wort Pferd im Satz Der Einbrecher bewegte sein Pferd aufweisen. Der Höhepunkt steht für die erhöhte


Скачать книгу