Sprachenlernen und Kognition. Jörg-Matthias Roche

Sprachenlernen und Kognition - Jörg-Matthias Roche


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zerebralen Blutflusses (rCBF) zu messen. Während die räumliche Auflösung von funktioneller Magnetresonanztomographie und Positronen-Emissions-Tomographie relativ gut ist, ist die zeitliche Auflösung deutlich schlechter als bei der Elektroenzephalographie oder der Magnetenzephalographie. Außerdem ist sie aufgrund der invasiven Elemente umstritten.

      Die funktionelle Magnetresonanztomographie und die Positronen-Emissions-Tomographie können insbesondere Fragen in Bezug auf Mehrsprachigkeit beantworten, beispielsweise ob die Sprachen einer multilingualen Person in denselben oder in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns repräsentiert sind. Wenn dieselben Bereiche im Gehirn aktiv sind, kann das auf die Aktivität derselben Mechanismen zurückgeführt werden. Wenn unterschiedliche Teile des Gehirns aktiv sind, kann das die Aktivierung unterschiedlicher Mechanismen wiederspiegeln.

      Um solche Fragen zu untersuchen, vergleichen fMRI- und PET-Studien üblicherweise hämodynamische Reaktionen unter Versuchsbedingungen, die Kontrollbedingungen beinhalten. Die zwei Bedingungen werden so ausgewählt und konzipiert, dass sie bis auf einen kritischen Aspekt sehr ähnliche kognitive Prozesse erfordern. Es könnten zum Beispiel Probanden und Probandinnen gebeten werden, lautlos Bilder zu benennen, woraufhin die aktiven Regionen mit der Gehirnaktivität während einer Ruhephase verglichen werden können. Das fMRI-Signal würde alle fünf Sekunden aufgezeichnet, während die Probanden und Probandinnen 30 Sekunden lang Bilder benennen und danach 30 Sekunden pausieren. Die Regionen, die aufgrund des Blutflusses nur während jener 30 Sekunden aufleuchten, in denen die Personen Bilder benennen (und nicht während der Ruhephasen), könnten die Areale sein, die für das visuelle Erfassen von Bildern, das Abrufen der entsprechenden Bezeichnung aus dem Lexikon und das nachfolgende lautlose Benennen der Bilder auf Basis der korrekten Bezeichnungen verantwortlich sind.

      Die meisten Forscherinnen und Forscher würden sich bei der Lokalisierung der Regionen für die funktionelle Magnetresonanztomographie entscheiden, weil die Methode nicht invasiv ist und nicht voraussetzt, dass den Versuchsteilnehmern und Versuchsteilnehmerinnen eine radioaktive Substanz gespritzt wird. Außerdem ist sowohl die räumliche als auch zeitliche Auflösung von fMRI-Scans (einige wenige Sekunden) besser als die räumliche Auflösung von PET-Scans. Wenn man allerdings den zeitlichen Verlauf der Verarbeitung der (Zweit)Sprache untersuchen möchte, eignet sich dafür ein Elektroenzephalograph oder Magnetenzephalograph besser, da diese über eine zeitliche Auflösung im Millisekunden-Bereich verfügen.

      Wie wir bereits in der Einheit 1.2 erläutert haben, weisen die meisten funktionellen Neuroimaging-Studien bis heute darauf hin, dass die unterschiedlichen Sprachen bei einer mehrsprachigen Person nicht in verschiedenen Regionen des Gehirns verortet sind, sondern dass die Aktivierungsmuster einander überlappen (vergleiche zum Beispiel Vingerhoets, Van Borsel, Tesink, Van den Noort, Deblaere, Seurinck, Vandemaele & Achten 2003). In den meisten Studien wird vermutet, dass das Aktivierungsmuster bei der Verarbeitung der weniger gut beherrschten oder später erlernten Sprache diffuser ist als bei der Muttersprache. In Studien zur Kontrolle der L2-Kompetenzstufe ist es nicht gelungen, Unterschiede aufzuzeigen, die die Aktivierungsmuster beider Sprachen von frühen und späten Zweitsprachenlernern bei semantischen Aufgaben, wie beispielsweise das Anhören von Geschichten (vergleiche Perani, Paulesu, Galles, Dupoux, Dehaene, Bettinardi, Cappa, Ferruccio & Mehler 1998), betreffen. Im Gegensatz dazu scheint das Alter des Spracherwerbs sogar bei L2-Lernern mit hoher Kompetenzstufe Einfluss auf die grammatische Verarbeitung zu nehmen (Wartenburger, Heekeren, Abutalebi, Cappa, Villringer & Perani 2003).

      Deshalb wird davon ausgegangen, dass das Alter des Spracherwerbs die grammatikalischen Repräsentationen beeinflusst. Die Kompetenzstufe in der L2 ist demnach ein aussagekräftigerer Bestimmungsfaktor für die Organisierung der Sprachen einer multilingualen Person in Bezug auf die semantische Verarbeitung (Abutalebi 2008).

      Verfahren zur Stimulation des Gehirns

      Einige mehr oder weniger invasive bildgebende Verfahren werden ebenfalls manchmal verwendet. Eines davon ist die elektrische Stimulation des Gehirns (EBS). Sie wird üblicherweise in Vorbereitung auf die Entfernung eines Gehirntumors angewandt oder um zu prüfen, welche Teile des Gehirns mit verschiedenen kognitiven Fähigkeiten in Verbindung gebracht werden können. Einige Studien, in denen die elektrische Stimulation des Gehirns verwendet wird, unterstützen die oben erwähnten Erkenntnisse nicht, dass Bereiche des Gehirns für unterschiedliche Sprachen einander überlappen. Die Prozedur bei Verfahren, die die elektrische Stimulation des Gehirns nutzen, sieht ungefähr so aus: Zuerst werden die für Sprache verantwortlichen Bereiche mittels bildgebende Verfahren aufgespürt. Danach wird die Schädeldecke entfernt und Elektroden werden auf Teilen des Cortexes platziert, woraufhin kleine Mikrovolt-Stromstöße zur Stimulation des Gehirns ausgelöst werden. Der Patient beziehungsweise die Patientin befindet sich während dieser Phase im Wachzustand (im Gehirn befinden sich keine Schmerzrezeptoren) und muss verschiedene Aufgaben erfüllen. Dazu gehören auch Aufgaben zur Sprachverarbeitung. Wenn die Sprachverarbeitung unterbrochen wird, während ein bestimmter Bereich im Gehirn stimuliert wird, geht man davon aus, dass dieser Teil des Gehirns eine zentrale Rolle für die Sprachverarbeitung einnimmt und deshalb nicht ohne Schaden entfernt werden kann.

      Lucas, McKhann & Ojeman (2004) haben im gesamten kortikalen Bereich keine Unterschiede zwischen der L1 und der L2 gefunden; sie erläutern, dass eine zweite Sprache keine größere kortikale Darstellung voraussetzt. Sie weisen ebenfalls sowohl sprachspezifische Bereiche als auch geteilte Bereiche im Gehirn nach. Es gibt also Unterschiede zwischen den Ergebnissen der kortikalen Gehirnstimulation und den Ergebnissen aus den bildgebenden Verfahren – und das ist problematisch. Es scheint keine Grundlage dafür zu geben, der einen oder der anderen Technik den Vorzug zu geben, obwohl Lucas, McKhann & Ojemann (2004) behaupten: »(our) results underscore the fact that fMR imaging can be used to visualize areas in the cortex involved in language processing but not necessarily those areas essential for it« (Lucas et al. 2004: 455). Es sollte erwähnt werden, dass sich all diese Studien nur mit zwei Sprachen befassen und dass aus den Berichten nicht ersichtlich wird, ob die getesteten Patienten und Patientinnen nicht noch weitere Sprachen beherrschten. Bello, Acerbi, Giussani, Baratta, Taccone, Songa, Fava, Stocchetti, Papagno & Gaini (2006) legen Daten über mehrsprachige Patienten und Patientinnen vor und sie kommen direkt zu der Schlussfolgerung: »Sites for each language were distinct and separate« (Bello et al. 2006: 125), was wiederum in absolutem Widerspruch zu den Daten aus bildgebenden Verfahren steht.

      Ein Problem bei den Studien, die die elektrische Stimulation des Gehirns nutzen, ist, dass sie üblicherweise an Patienten und Patientinnen durchgeführt werden, die schwerwiegende epileptische Anfälle erlitten haben. Diese können Auswirkungen auf die Architektur und die Verarbeitungsmechanismen ihres Gehirns gehabt haben. Dieses Problem könnte durch die Verwendung einer ähnlichen, aber nicht-invasiven Technik namens transkranielle Magnetstimulation (TMS) gelöst werden. Obwohl dabei keine Flüssigkeit injiziert werden muss, kann es für die Teilnehmenden durchaus beängstigend sein, sich dieser Prozedur zu unterziehen, denn bei diesem Verfahren werden Gehirnläsionen imitiert. Ein ziemlich starker elektrischer Strom wird unter Verwendung eines Gerätes erzeugt, das an eine bestimmte Stelle am Kopf des Probanden oder der Probandin gehalten wird. Der Strom erzeugt ein magnetisches Feld, das die darunterliegenden Neuronen von ihrer Tätigkeit abhält. Genauso wie bei EBS ist die Funktion, für die dieser Teil des Gehirns normalerweise zuständig ist, für den Probanden oder die Probandin nicht verfügbar. Diese Technik wurde noch nicht oft dafür verwendet, zweisprachige oder mehrsprachige Sprachverarbeitung zu untersuchen, aber sie könnte dafür eingesetzt werden, die möglichen Unterschiede zwischen den Regionen zu untersuchen, die in Zusammenhang mit der Verarbeitung verschiedener Sprachen bei einer multilingualen Person stehen.

      1.3.3 Fazit

      Die meisten Studien, die bildgebende Verfahren verwenden, weisen darauf hin, dass sich die Unterschiede zwischen der Verarbeitung und der Aktivierung von Regionen bei den Sprachen eines mehrsprachigen Menschen verringern. Die Ergebnisse von Neuroimaging-Studien sollten jedoch mit Vorsicht interpretiert werden. Wie in einer ausführlichen Rezension von de Groot (2011) erwähnt wird, muss der Beantwortung dieser Frage mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden: Was sorgt dafür, dass eine Region im Gehirn in bestimmten Situationen aktiviert wird? Eine geringere Aktivierung muss nicht notwendigerweise


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