Sprachenlernen und Kognition. Jörg-Matthias Roche

Sprachenlernen und Kognition - Jörg-Matthias Roche


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wird. Ungeachtet dessen haben die Neuroimaging-Studien wesentlich zu unserem aktuellen Wissen und Verständnis des (mehrsprachigen) Gehirns beigetragen.

      1.3.4 Zusammenfassung

       Bildgebende Verfahren werden vermehrt dafür genutzt, die Sprachverarbeitung und die Sprachenaktivierung bei zwei- und mehrsprachigen Personen zu untersuchen.

       Wenn der zeitliche Verlauf der Sprachverarbeitung untersucht werden soll, kann das Verfahren zu ereigniskorrelierten Hirnpotentialen dafür verwendet werden, Gehirnaktivitäten auf die Millisekunde genau zu visualisieren.

       Wenn eine Forschungsfrage sowohl eine hohe zeitliche Auflösung voraussetzt als auch eine relativ hohe räumliche Auflösung, kann das magnetische Gegenstück der Verfahren zu ereigniskorrelierten Hirnpotentialen herangezogen werden: die Magnetoenzephalographie.

       Bei Studien, die sich mit den in der Sprachverarbeitung involvierten Gebieten beschäftigen, kann die Positronen-Emissions-Tomographie genutzt werden, bei der der Sauerstoff im Gehirn lokalisiert wird – oder alternativ die transkranielle Magnetstimulation, um Gehirnläsionen zu imitieren.

       Ein nichtinvasives Verfahren, das eine sogar noch genauere räumliche Ortung der Quelle ermöglicht, ist die funktionelle Magnetresonanztomographie. Dieses Verfahren wird am häufigsten dafür genutzt, aktive Areale im Gehirn bei den Sprachen von multilingualen Personen zu vergleichen.

      1.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle

      1 Welche zwei Hauptarten der strukturellen Bildgebung gibt es? Erklären Sie, wie sie funktionieren.

      2 Wozu wird die strukturelle Bildgebung in der Sprachforschung verwendet?

      3 Welche Vorteile hat die Mehrsprachigkeit für das Gehirn?

      4 Was ist die funktionelle Bildgebung? Welche Unterschiede gibt es zwischen ihren Verfahren?

      5 Wie wird die elektrische Stimulation des Gehirns durchgeführt und welche Erkenntnisse werden dadurch gewonnen?

      2. Konzepte, Bilder und Bildschemata

      Beim Sprechen bedienen wir uns oft körperlicher Erfahrungen, die wir aus unserem täglichen Umgang mit der Umwelt kennen, um abstrakte Konzepte auszudrücken. Das ist zum Beispiel der Fall bei metaphorischen Ausdrücken wie zwischen zwei Stühlen sitzen oder jemandem unter die Arme greifen. Dass aber solche körperlichen Erfahrungen ebenfalls die Grundlage für viele Bereiche der Grammatik bilden, fällt uns beim Sprechen nicht immer auf. In der Tat lassen sich viele Bereiche der Sprache im Kontext der kognitiven Linguistik anhand von Prinzipien der Perzeption sowie Prozessen des bildlichen Denkens beschreiben. So nutzen wir zum Beispiel bei Ausdrücken wie wir haben den Termin vorverlegt oder nach hinten verschoben räumliche Konzepte wie VOR und HINTEN, um uns auf das abstrakte Konzept der Zeit zu beziehen. Auch andere Grammatikbereiche wie die Modalverben lassen sich durch die körperlichen Erfahrungen der Kraft und der Dynamik beschreiben: Das Modalverb müssen im Satz jeder muss die Steuern zahlen kann beispielsweise als eine Art Druck verstanden werden, der uns zu einer (fiktiven) Fortbewegung zwingt. Mit diesen Beispielen wird sofort klar, dass die Sprache und das bildliche Denken sehr eng miteinander verbunden sind. In diesem Kapitel beschäftigen wir uns daher mit der Frage, wie sich die Sprache anhand solcher bildhaften Konzepte beschreiben lässt und wie diese qualitativ andere Wege für die Sprachvermittlung eröffnen.

      2.1 Bildschemata und Metaphorisierung

      Im Fremdsprachenunterricht wird oft versucht, undurchsichtige Bereiche der Sprache anhand von bildhaften Darstellungen anschaulicher zu machen. Zu diesem Zweck werden zum Beispiel fliegende Satzteile zur Darstellung der Endverbstellung und farbliche Markierungen zur Unterscheidung der Kasusendungen eingesetzt. Obwohl sich viele Lehrkräfte einen Mehrwert davon versprechen, führen diese methodischen Unterrichtsmaßnahmen in den meisten Fällen lediglich zu einer leichteren Verdauung von Regelhaftigkeiten der Sprache, ihre Beliebigkeit und fehlende Kohärenz kann jedoch den Lernern nicht verborgen bleiben. In dieser Einheit soll daher der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich die Sprache anhand von bildhaften Darstellungen beschreiben lässt. Zu diesem Zweck werden wir uns zunächst ansehen, in welcher Form sich die Nutzung bildhafter Konzepte in der Sprache manifestiert. Danach wird auf die Nutzung körperlicher Erfahrungen in der Metaphorisierung näher eingegangen. Schließlich werden wir uns mit Aspekten der Verarbeitung von Metaphern beschäftigen und daraus einige Konsequenzen für die Vermittlung einer metaphorischen Kompetenz im Unterrichtskontext formulieren.

       Lernziele

      In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie

       die Rolle der Bildhaftigkeit in der Sprache beschreiben können;

       die verschiedenen Arten von Metaphern erläutern können;

       den Verarbeitungsprozess von Metaphern und die mitwirkenden Faktoren erklären können;

      die Wichtigkeit der Metaphern im Fremdsprachenerwerb und Förderungsmöglichkeiten begründen können.

      2.1.1 Bilder in der Sprache

      Im ersten Kapitel haben Sie die wichtigsten Postulate der kognitiven Linguistik kennen gelernt. Unter anderem geht die kognitive Linguistik davon aus, dass Sprache mit der allgemeinen menschlichen Kognition eng verbunden ist (vergleiche Evans & Green 2006: 193). Das bedeutet also, dass sich viele Aspekte der Sprache und Grammatik anhand von Organisationsprinzipien der allgemeinen Perzeption sowie körperlicher Erfahrungen erklären lassen. So werden meteorologische Phänomene wie der Regen oder die Sonne im Deutschen vorwiegend als Behälter konzeptualisiert (im Regen, in der Sonne etc.), während sie in anderen Sprachen wie dem Spanischen oder Französischen als Entitäten über uns beschrieben werden (bajo el sol/bajo la lluvia; sous le soleil/sous la pluie). Andere Sprachen wie das Russische kombinieren sogar mehrere körperliche Erfahrungen zur Beschreibung desselben Phänomens: Neben der Konzeptualisierung der Sonne als Behälter können sich Sprecher des Russischen auch dafür entscheiden, die besonnte Oberfläche auf dem Boden zu profilieren (Russ. Я стою на солнце; Dt. ich stehe auf der Sonne). Es wird aber noch spannender, wenn Sie sich anschauen, wie systematisch bestimmte abstrakte Bereiche der Sprache von körperlichen Erfahrungen geprägt sind. So nutzen viele Ausdrücke beispielsweise die Vertikalität (OBEN, UNTEN), um Machverhältnisse zwischen Entitäten oder Personen zu beschreiben: Man steht unter Druck, leidet unter bestimmten Bedingungen oder steht unter Kontrolle, wenn man einer mächtigeren Person oder Entität ausgesetzt ist. Im Gegensatz dazu können die Personen oder Entitäten, die in einer mächtigeren Position sind oder sich einfach anderen gegenüber durchsetzen können, andere Personen oder Entitäten überwachen oder Schwierigkeiten überwinden. Andere Bereiche der Sprache wie die idiomatischen Redewendungen nutzen bildhafte Vorstellungen auf eine sehr offensichtliche Weise, wie zum Beispiel in den Sätzen: Der griechische Minister nimmt kein Blatt vor den Mund oder Die Parksituation in der Stadtmitte von München ist zum Mäuse melken. Jeder von uns erkennt sofort, dass die Ausdrücke im übertragenen Sinne zu verstehen sind, auch wenn wir uns dessen beim Sprechen oft nicht immer bewusst sind.

      Solche körperlichen Erfahrungen und mentalen Bilder werden zwar in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich verwendet, allen Sprachen ist jedoch der Prozess der Metaphorisierung gemeinsam, nach dem ein bestimmter konzeptueller Inhalt von einer Quellendomäne auf eine Zieldomäne übertragen wird (Lakoff & Johnson 1980; Roche & Roussy-Parent 2006). Oft sind die Quellendomänen konkrete Konzepte, wie zum Beispiel Druck, Kraft, Vertikalität etc., und die Zieldomänen abstrakte Konzepte, wie zum Beispiel die Teilnahme an einer Diskussion oder der Stresszustand wegen der vielen Abgabetermine. Die Projektionsrichtung wird als unidirektional von der Quellendomäne auf die Zieldomäne ausgerichtet verstanden, da die Quellendomäne stärker an die physikalische Erfahrung gebunden ist. Bei Metaphern handelt es sich nach Grady (2007: 188) nicht um rein


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