Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule. Doris Kocher

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vom Absender „ein-deutig“ festgelegt werden kann. Miss-Verstehen gilt dabei immer als eine mögliche Form des Verstehens.

      In seinem Konzept der Beobachtung geht Luhmann – wie Spencer Brown und Bateson – davon aus, dass Erkennen nur durch das Treffen von Unterscheidungen möglich ist, so dass Erkenntnis immer subjektiv und an eine Beobachterin bzw. einen Beobachter gebunden ist. Dies hat zur Folge, dass das Beobachtete nicht ohne weiteres zu vermitteln ist. Luhmann nimmt zwar an, dass eine beobachterunabhängige Realität existiert, hält jedoch fest, dass diese unserer Erkenntnis unzugänglich ist, weil jegliche Beschreibung der Realität eine subjektive Wirklichkeitskonstruktion darstellt. Ferner erkennt auch er die Problematik, dass jede Beobachtung einen blinden Fleck aufweist, „der von der verwendeten Ausgangsunterscheidung abhängig ist“ (von Ameln 2004, 163). Sprich: „Man kann nur finden, wonach man sucht, nur das erfahren, wonach man fragt“ (Ebd.). Auf der Ebene der Beobachtung 2. Ordnung schließlich kann man „Unterscheidungen unterscheiden“ (Luhmann 2005, 8) und somit auch Rückschlüsse auf sich selber ziehen, also letztlich auch den besagten blinden Fleck der Beobachtung aufdecken.

      Von entscheidender Bedeutung für die Praxis ist die von Luhmann vertretene Annahme, dass lebende, soziale und psychische Systeme füreinander intransparent sind, da sie mit unterschiedlichen Operationsmodi arbeiten, und dass soziale Systeme (z.B. eine Klasse) aus Kommunikationsmustern mit einer jeweils eigenen Dynamik bestehen, für welche die Gedanken der einzelnen Beteiligten lediglich Perturbationen darstellen: „Für eine Veränderung sozialer Systeme sind Veränderungen im Denken oder Erleben ihrer Mitglieder somit weder notwendig noch hinreichend“ (von Ameln 2004, 191). Dies führt zu der Konsequenz, dass Kommunikationsprozesse im Unterricht im wahrsten Sinne des Wortes aus einer anderen Perspektive betrachtet werden müssen: Autopoietische Systeme (z.B. ein Kind oder eine Klasse) können – wie auch bei Maturana – nicht über Interventionen oder Instruktionen (z.B. durch Lehrkraft oder Medien) manipuliert, sondern nur perturbiert, also angeregt werden. Ferner können Prozesse in einer Gruppe nicht über das Bewusstsein der Einzelnen beeinflusst werden, sondern durch die Veränderung der entsprechenden Kommunikationsmuster. Der Selbstreflexion sind zwar Grenzen gesetzt, doch durch die Kontrastierung der Selbstbeobachtung mit Fremdbeobachtung entstehen Möglichkeiten, den besagten blinden Fleck der Selbstbeobachtung durch Beobachtungen 2. Ordnung aufzudecken (Ebd.). Im Rahmen von Storyline-Projekten haben Selbstevaluation und der Austausch über eigene Lernerfahrungen und Gruppenprozesse beispielsweise einen hohen Stellenwert, was der Beobachtung 2. Ordnung nahekommt.

      3.3.2 Der Soziale Konstruktivismus

      In der Psychologie, Soziologie und Kognitionswissenschaft existiert heute eine große Bandbreite an Ansätzen, die sich explizit oder implizit dem konstruktivistischen Paradigma verschreiben und in verschiedenen Anwendungsgebieten zum Einsatz kommen. Gerstenmaier und Mandl (1995) subsumieren die diversen Modelle unter dem Begriff des „Neuen“ Konstruktivismus, der zu Beginn der 1990er Jahre von Spiro, Feltovich, Jacobson und Coulson entwickelt wurde. Spiro u.a. (1992) bezeichnen den „Neuen“ Konstruktivismus als im doppelten Sinne konstruktiv: „a) Bedeutungen werden durch die Verwendung vorausgegangenen Wissens, das hinter momentane Informationen zurückgeht, konstruiert; b) das vorausgegangene Wissen selbst ist konstruiert, nicht einfach aus dem Gedächtnis fallbasiert abgerufen“ (Ebd., 64, Zit. nach Gerstenmaier/Mandl 1995, 870).

      Bei dieser insgesamt gemäßigteren Variante des Konstruktivismus handelt es sich um Modellvorstellungen über die Alltagswelt, über abweichendes Verhalten und über verschiedene Sozialbeziehungen, deren gemeinsamer Nenner ihre Konstruktivität ist. Sie stellt weder eine Erkenntnistheorie dar, noch basiert sie auf neurobiologischen Befunden, allerdings beziehen sich einige der Ansätze direkt auf den Radikalen Konstruktivismus, während sich andere eher davon distanzieren. Auch hier existieren wiederum verschiedene „Konstruktivismen“ und noch dazu verschiedene Bezeichnungen für einzelne Ansätze.1

      Der Soziale Konstruktivismus – häufig auch als Sozialer Konstruktionismus bezeichnet – gilt als eines der einflussreichsten und etabliertesten Modelle in diesem Bereich. Er steht dem Radikalen Konstruktivismus zwar nahe und geht ebenso davon aus, dass uns die Wirklichkeit nicht objektiv vorliegt, sondern durch Konstruktionsprozesse von uns erst erzeugt wird, allerdings betrachtet er diese Wirklichkeitskonstruktionen nicht als jeweils individuelle Prozesse bzw. Erzeugnisse eines operational geschlossenen kognitiven Systems, sondern als soziale Konstruktionen. Demzufolge wird unser Wissen „immer durch Gesellschaften und soziale Diskursgesellschaften geschaffen“ (Reich 2012, 87), und sämtliche Aussagen über sich selbst und die Welt „sind immer konstruierte Aussagen aus dem Kontext einer Kultur heraus“ (Ebd.). Dieser Aspekt der kulturellen Einbindung wird nach Ansicht der sozialen Konstruktivisten gerade bei Piaget und den radikalen Konstruktivisten zu sehr vernachlässigt (Ebd.). Andererseits sind hier wiederum Parallelen zu Vygotskij und Bruner zu sehen.

      Der Soziale Konstruktivismus beschäftigt sich mit der Frage, wie Menschen die Welt (oder besser ihre Wirklichkeit) inklusive sich selbst beschreiben, erklären und begründen und welche Auswirkungen die Gesellschaft auf das Denken, Erleben und Handeln eines Individuums hat. Da der Fokus wieder auf dem denkenden und handelnden Subjekt liegt, ist eine Anknüpfung an den Pragmatismus von Dewey, Mead und James erkennbar (Gerstenmaier/Mandl 1995, 872). Auf Grund dieser – im Vergleich zum Radikalen Konstruktivismus – anderen Schwerpunktlegung und der eindeutig sozial-kulturtheoretischen Auslegung wird der Soziale Konstruktivismus häufig als ein eigenständiger Ansatz betrachtet, auch wenn er einige Gemeinsamkeiten mit dem Radikalen Konstruktivismus aufweist. Er vereint verschiedene Ansätze und stützt sich laut von Ameln (2004) im Wesentlichen auf drei Säulen: Soziologie, postmoderne Philosophie sowie die sozialpsychologischen Beiträge von Kenneth J. Gergen.

      3.3.2.1 Einflüsse der Soziologie

      Zu den Impulsgebern zählen hier vor allem Berger und Luckmann mit ihrem mittlerweile klassischen Werk Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (1969) sowie Meads Symbolischer Interaktionismus. Dieser geht der Frage nach, wie Bedeutungen entstehen, und postuliert, dass das Individuum maßgeblich durch die sozialen Bezüge und Interaktionen, in denen es steht, geprägt wird: „Aufgrund dieser elementar sozialen Natur des Menschen konstituiert sich das individuelle Selbst (auch) mit Hilfe sozial geteilter Bedeutungssysteme, z.B. der Sprache. Auf der anderen Seite werden diese sozialen Bedeutungssysteme wiederum durch das Individuum mit hervorgebracht“ (von Ameln 2004, 180). Gesellschaft und Individuum bedingen sich also gegenseitig und können quasi ohne einander nicht existieren.

      Berger und Luckmann (1969) vertreten im Gegensatz zum Radikalen Konstruktivismus eine ontologische Position und knüpfen explizit an die Tradition der deutschen Phänomenologie an.1 Ihre zentrale These lautet, dass gesellschaftliches Wissen die Alltagswelt konstruiert und reguliert. Sie bauen auf George Herbert Meads Theorien auf und gehen dabei der Frage nach, wie gesellschaftliche Ordnung entsteht. Sie kommen zu dem Schluss, dass dies (sozial-konstruktivistisch) durch Selbstproduktion erfolgt:

      Der Mensch produziert sich selbst, macht seine eigene Natur (...). Dies geschieht durch Prozesse der Externalisierung (Institutionalisierung) und der Internalisierung bereits externalisierter, ‘objektivierter’, in Handlungsroutinen eingebetteter Wirklichkeiten. Soziale Kontrolle, Intersubjektivität und Legitimationen werden von Kindern und Jugendlichen im Rahmen von Sozialisationsprozessen internalisiert (Gerstenmaier/Mandl 1995, 871).

      Demnach wird gesellschaftliches Wissen im Rahmen von Sozialisationsprozessen als angeblich objektive Wahrheit gelernt und als subjektive Wirklichkeit internalisiert: „Diese, von Menschen sozial konstruierte Ordnung wird schließlich zu einer Realität sui generis“ (Ebd.).

      3.3.2.2 Einflüsse der postmodernen Philosophie

      Die postmoderne Philosophie, vertreten beispielsweise durch Jacques Derrida und Michel Foucault, distanziert sich strikt von jeglicher Form der Fortschrittsgläubigkeit sowie der Vorstellung, „dass es eine ultimative Wahrheit gibt und dass die Welt durch einige wenige große Theorien oder Metanarrative verstanden werden kann“ (von Ameln 2004, 181). Bezug nehmend auf Hegels Wort vom „Ende der Geschichte“1 tritt sie vielmehr für die freie Kombination bisheriger Erkenntnismodelle


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