Wie Kinder sprechen lernen. Wolfgang Butzkamm
wie sie seinen Beitrag verstanden hat, etwa als lustig oder eher ungnädig. Es entsteht eine Wechselseitigkeit, ein Tausch der Gefühle, der signalisiert: Du bist wie ich, ich bin wie du. Das Kind lächelt und erwartet, daß du zurücklächelst. Es streckt die Zunge heraus und wartet darauf, daß du es ihm gleich tust. Du rollst ihm den Ball zu, den rollt es zurück. Später wird es sprechen und dir deine Wörter zurückrollen.
Babys lernen sprechen, indem sie bedingungslos vertrauen. Am Anfang unseres Lebens ist »liebende Kommunikation« (JaspersJaspers, Karl).
Ein Startvorteil mit Babyzeichensprache?
»Soll ich ei machen?« Das Kind wird gestreichelt. Dann soll es selber streicheln: »Mach mal ›ei, Mama‹!« Laut und Geste werden konstant miteinander verbunden, Sprache und Aktion aufeinander abgestimmt. Babys achten auf unsere Mundbilder und versuchen, die wahrgenommenen Lippenbewegungen mit dem Gehörten abzugleichen. Damit schärfen sie das Hören und zugleich ihre eigene Artikulationen. Also machen wir weiter: »Hoppe, hoppe Reiter … Dann macht der Reiter plumps.« Auf »plumps« wird das auf den Knien der Eltern reitende Kindchen regelmäßig ein Stück fallengelassen. Es zieht sich bald in Erwartung des »plumps« schon selbst nach unten.
Das sind anfangs reine Dressurakte:
ei, ei
bitte, bitte / patsche, patsche
winke winke machen
pssst!
gib Händchen
Das Kind befolgt die Aufforderungen ebenso willig, wie es auf Fragen gestisch reagiert: Wie groß bist du? Wo ist die Nase? Wo ist der Mund? Hier eine Tagebuchnotiz der ScupinsScupin, Ernst und Gertrud:
Dem Kind wurde das bitte, bitte beigebracht; anfangs geschah diese Geste gänzlich bedeutungslos und war lediglich Nachahmung des vorgemachten Händeklatschens. Doch bald erlangte die Bewegung die Bedeutung von bitte, als nämlich jedesmal prompt die Belohnung in Form einer wohlschmeckenden Näscherei erfolgte. Jetzt ist das Kind schon so dressiert, dass es jedes Mal die Hände zusammenschlägt, wenn sich jemand nur dem Büfett nähert, aber es bittet auch, wenn es getragen sein will. Fünf Monate später – Bubi ist inzwischen eineinhalb – sagt er auch bitte.1
Zwei kalifornische Psychologinnen meinen, es lohne sich, gezielt über ausgeklügelte Gesten die Kommunikation mit den Kindern zu fördern. Die beiden entwickelten ein Repertoire von ca. 50 Zeichen, die sie mit Kindern ab 11 Monaten ausprobierten. Die »Zeichen-Kinder« lernten schneller sprechen und hatten einen größeren Wortschatz als eine Vergleichsgruppe, die nicht so betont und ausgiebig mit Gesten und Zeichen spielte. Noch als Achtjährige sollten die mit extra Gesten aufgewachsenen Kinder bei Intelligenztests besser abschneiden!2
Aber sind es wirklich spezielle Handzeichen, die den Spracherwerb angeblich vorantreiben, oder ist es nur das Mehr an Aufmerksamkeit der nach Anleitung gestikulierenden Mütter, worauf es hier ankommt? Die bisherigen Studien halten die Effekte nicht auseinander, und Skepsis ist angebracht bei dem Versuch, in extra eingerichteten Trainingsprogrammen zum BabysigningBabysigning sein Kind fit zu machen und auf die intellektuelle Überholspur zu stellen. Die tollen Befunde der Kalifornierinnen konnten nicht bestätigt werden.3
Brauchen denn hörende Kinder normierte Gebärden? Es tun auch die natürliche Gestik und die sich aus den jeweiligen Interaktionen familienintern entwickelnden Zeichen ihren Dienst. Treiben wir also mit den Kleinkindern allerhand gestischen Schabernack und lassen wir uns etwas mehr einfallen als üblich. Es macht doch Spaß, unser kommunikativ-spielerisches Repertoire ein wenig zu erweitern, z.B. bei »heiß« regelmäßig einen Pustemund zu machen, »nein, nein, nein« mit wedelndem Zeigefinger zu unterstützen, oder bei »psst« den Zeigefinger auf die Lippen zu legen.
Vergessen wir auch nicht die eigenen Traditionen aus der Kinderstube, die Sing- Tanz- und Fingerspiele unserer Großmütter:
Zehn kleine Zappelmänner….
Das ist der Daumen, der schüttelt die Pflaumen…
Insofern jedes einzelne Kind in seinem eigenen Lernduktus geachtet wird, mag die in extra Kursen mit anderen geteilte Situation und die Sonderportion an Aufmerksamkeit eine positive Erfahrung bleiben, doch Entwicklungsvorsprünge sind auf solche Art nicht zu erzwingen.
Olivia macht ihr Zeichen für bisou / Küsschen, das sie auf die Backe bekommt.
Als wär’s ein Stück von mir: Zielbezogene NachahmungskunstNachahmung
Die Hirnforschung scheint das Geheimnis gelüftet zu haben, das schon Neugeborene zu solch großen Nachahmungskünstlern macht. Sie kann heute Hirnaktivitäten punktgenau, bis hin zur Tätigkeit nur einer einzelnen Zelle sichtbar machen. Dies führte 1996 zur Entdeckung spezieller Zellen, der Spiegelneuronen. Diese werden nicht nur aktiv, wenn wir tatsächlich etwas tun, sondern auch schon, wenn wir bloß beobachten. Es zuckt in unserem Fuß, wenn der Spieler zum Elfmeter antritt oder der Seiltänzer zu einem gewagten Hüpfer ansetzt. Oder: man kann vom intensiven Zuhören etwas heiser werden, weil unsere Artikulationsorgane ansatzweise mitsprechen. Das Hirn projiziert das bloß Gesehene oder Gehörte in das für das eigene Tun zuständige Areal. Dort spiegeln die Zellen die wahrgenommenen Bewegungen, so als ob wir sie schon selbst ausführen würden. Schon beim Kleinkind feuern sie beim bloßen Anblick von Gesten, auch wenn sie diese selbst noch gar nicht beherrschen.
Die Nachahmerzellen sitzen auch in dem für Sprechbewegungen zuständigen Gebiet, dem Broca-Zentrum, und in Hirnregionen, die Gefühle verarbeiten. Bei Gruselfilmen bekommen wir eine Gänsehaut. Beim Sehen und Hören von Schmerz lösen sie eine innere Nachahmung aus, d.h. wir leiden mit. Der Unterschied zwischen echtem und nur mitempfundenem Schmerz ist eine Sache des Grades. Schließlich sitzen die imitationsfreudigen Zellen in derselben Region, mit der wir echten Schmerz empfinden. Spiegelzellen wären in der Lage, die ganze Palette menschlicher Gefühle zu imitieren. Sie verschafften uns einen Zutritt zur Innenwelt unseres Gegenübers, wären sozusagen Mitfühlzellen. Die Situation des anderen erscheint wie eine eigene.
Mit dieser mentalen Simulation können wir die Zielbezogenheit von Handlungen erkennen, d.h. Handlungen eigentlich erst begreifen, eine Idee von ihnen bekommen. Spiegelneuronen feuern nicht bei offensichtlich ziellosem Tun, z.B. wenn dem Gegenüber was aus der Hand rutscht, sondern nur beim Beobachten zielgerichteter, sinnvoller Bewegungen, und das gilt auch schon für Affen. Wird eine Orange vor den Augen des Affen mit einem Vorhang verborgen und greift dann der Versuchsleiter nach ihr, feuern die SpiegelneuronenSpiegelneuronen, führt er aber die gleiche Armbewegung ohne Orange, wie zufällig, aus, bleibt es still im Affenhirn.
Der Mensch versteht, indem er nachahmt und ein Stück sein Gegenüber spiegelt. Spiegelneuronen sind die stoffliche Basis dafür, daß ich fühlen kann, was du fühlst, und spüre, was du willst. Echte Empathie, die die Situation des anderen erfasst, sich seine Perspektive erarbeitet und erforscht, was denn nun sinnvoll und dem anderen förderlich sein könnte, setzt zusätzliche kognitive Mühe voraus.
Die deutsche Sprache hält – etwa im Gegensatz zur englischen – die schöne Möglichkeit der »Mit«-WörterWortMit-Wörter bereit: mitempfinden, miterleben, mitleiden, sich mitfreuen, mitjubeln, mittrauern, und schließlich die für die Sprache zentralen Wörter mitsprechen, mitplanen, mitdenken und mitteilen.
Kinder können sich in ihre Partner hineinversetzen, spüren, daß der andere auf etwas hinaus will, und dieses Einfühlungsvermögen läßt sie absichtsvolles Handeln erkennen und von unbeabsichtigten Handlungen unterscheiden. Sie können z.B. schon im Alter von knapp einem Jahr unterscheiden, ob jemand ihnen ein Spielzeug mit Absicht vorenthält oder nicht geben kann, weil es ihm immer wieder aus der Hand rutscht. Aber auch Schimpansen können verstehen, ob ihr Pfleger ihnen ihr Futter aus Vorsatz vorenthält oder einfach ungeschickt ist. Es bleibt die im Vergleich zu Primaten ungleich höhere soziale Intelligenz und Nachahmungslust des Kindes. Dem Kind kann schon die bloße Freude am Austausch genügen, um sein Können vorzuführen. Das Tier braucht für vergleichbare Kunststückchen meist Belohnungen, die nicht in der Sache selbst