PLATON - Gesammelte Werke. Platon
Das wäre freilich nicht recht, Sokrates.
Sokrates: Wenn also die Wörter in Streit geraten, und die einen sagen, sie selbst wären die der Wahrheit ähnlichen, die andern aber sie, wodurch sollen wir es nun entscheiden oder mit Rücksicht worauf? Doch wohl nicht wieder auf andere Wörter als diese? Denn es gibt ja keine. Sondern offenbar muß etwas anderes aufgesucht werden als Worte, was uns ohne Worte offenbaren kann, welche von diesen beiden die richtigsten sind, indem es uns nämlich das Wesen der Dinge zeigt.
Kratylos: Das dünkt mich auch.
Sokrates: Es ist also doch möglich, wie es scheint, Kratylos, die Dinge kennen zu lernen ohne Hülfe der Worte, wenn sich dies so verhält.
Kratylos: So scheint es.
Sokrates: Durch was anders erwartest du noch die Dinge selbst sie kennen zu lernen? nicht wie es am natürlichsten und einleuchtendsten ist durch einander, wenn sie irgend verwandt sind, und jedes durch sich selbst? Denn etwas von ihnen unterschiedenes und fremdartiges würde auch nur etwas fremdes und verschiedenes andeuten, nicht aber sie.
Kratylos: Das leuchtet mir ein als richtig gesagt.
(439) Sokrates: Wohlan denn, beim Zeus, haben wir nicht oft eingestanden, daß wohlabgefaßte Wörter müßten demjenigen welchem sie als Namen beigelegt sind ähnlich, und also Bilder der Gegenstände sein.
Kratylos: Ja.
Sokrates: Wenn man also zwar auch wirklich die Dinge durch die Wörter kann kennen lernen, man kann es aber auch durch sie selbst, welches wäre wohl dann die schönere und sichrere Art zur Erkenntnis zu gelangen? Aus dem Bilde erst dieses selbst kennen zu lernen, ob es gut gearbeitet ist, und dann auch das Wesen selbst, dessen Bild es war, oder aus dem Wesen erst dieses selbst, und dann auch sein Bild, ob es ihm angemessen gearbeitet ist?
Kratylos: Notwendig ja, dünkt mich, die aus dem Wesen.
Sokrates: Auf welche Weise man nun Erkenntnis der Dinge erlernen oder selbst finden soll, das einzusehen sind wir vielleicht nicht genug, ich und du; es genüge uns aber schon, darin übereinzukommen, daß nicht durch die Worte, sondern weit lieber durch sie selbst man sie erforschen und kennen lernen muß, als durch die Worte.
Kratylos: Offenbar, Sokrates.
Sokrates: Auch das laß uns noch bedenken, daß nicht doch etwa diese vielen Worte, welche sich alle dieselbe Richtung haben, uns betrügen, und in der Tat diejenigen zwar, welche sie bildeten es in diesem Gedanken getan haben, als ob alles immer im Fluß und in Bewegung sei, die Sache selbst sich aber gar nicht so verhält, sondern nur sie selbst gleichsam in einen Strudel hineingefallen die Besinnung verloren haben, und uns nun auch mit sich hineinziehen. Denn überlege nur, teuerster Kratylos, was mir oft so vorschwebt im Traume, ob wir wohl sagen wollen, daß das Gute, das Schöne und so jegliches wirklich etwas sei oder nicht?
Kratylos: Es muß doch wohl etwas sein, Sokrates.
Sokrates: Dies also selbst laß uns betrachten, nicht ob irgend ein Angesicht schön ist oder dergleichen etwas, und dies Alles zu vergehen scheint; sondern das Schöne selbst laß uns sagen, ob es nicht immer so ist wie es ist?
Kratylos: Notwendig.
Sokrates: Wäre es nun wohl möglich, wenn es uns immer unter der Hand verschwände, mit Wahrheit davon auszusagen, zuerst nur daß es jenes ist, und dann daß es so und so beschaffen ist? oder müßte es nicht notwendig, indem wir noch reden, gleich ein anderes werden, und uns entschlüpfen und gar nicht mehr so beschaffen sein?
Kratylos: Notwendig.
Sokrates: Wie wäre das also etwas, was nie auf gleiche Weise ist? Denn wenn es nur irgend, wenn sich gleich hält: so ist es doch zu dieser Zeit, in keiner Verwandlung begriffen. Wenn es aber immer sich gleich bleibt und dasselbe ist, wie könnte wohl auch dieses sich verwandeln und bewegen, was aus seiner ursprünglichen Gestalt gar nicht herausgeht?
Kratylos: Auf keine Weise.
(440) Sokrates: Ja es könnte auch nicht einmal von Jemand erkannt werden. Denn indem der welcher erkennen wollte hinzuträte, würde es schon immer ein anderes und verschiedenes, so daß gar nicht erkannt werden könnte wie es beschaffen wäre und wie es sich verhielt. Keine Erkenntnis aber erkennt unter gar keiner Beschaffenheit.
Kratylos: Das ist wie du sagst.
Sokrates: Ja es ist nicht einmal möglich zu sagen, daß es eine Erkenntnis gebe, wenn alle Dinge sich verwandeln und nichts bleibt. Denn nur wenn dieses selbst, die Erkenntnis von dem Erkenntnis sein nicht weicht, so bliebe sie dann immer Erkenntnis und es gäbe eine Erkenntnis. Soll aber auch diese die Erkenntnis an und für sich selbst sich verwandeln, so verwandelt sie sich in etwas von anderer Art als die Erkenntnis, und es gibt dann keine Erkenntnis. Verwandelte sie sich aber immer, so gibt es immer keine Erkenntnis, und von diesem Satze aus gibt es weder ein Erkennendes noch ein zu erkennendes. Ist aber immer das Erkennende und das Erkannte, ist das Schöne, ist das Gute, ist jegliches seiende: so scheint mir dies, wie wir es jetzt sagen, gar nicht mehr einem Fluß ähnlich oder einer Bewegung. Ob nun dieses sich so verhält, oder vielmehr so wie Herakleitos mit den seinigen und noch viele Andere behaupten, das mag wohl gar nicht leicht sein zu untersuchen, gewiß aber mag das einem vernünftigen Menschen gar nicht wohl anstehen sich selbst und seine Seele lediglich den Wörtern in Pflege hinzugeben und im Vertrauen auf sie, und die welche sie eingeführt haben, dann seiner Sache so sicher zu sein, als wisse er etwas, indem er über sich sowohl als alles andere was ist so aburteilt, es gebe nichts gesundes daran, sondern alles sei zerbrechlich wie Töpferzeug, und indem er glaubt, daß, ordentlich wie Menschen an Flüssen leiden, so auch die Dinge sich eben so befinden und von Reißen und Flüssen geplagt werden. Vielleicht nun verhält es sich so, lieber Kratylos, vielleicht auch nicht. Nachdenken aber mußt du wacker darüber und nichts leichtsinnig annehmen; denn du bist jung und hast noch Zeit; und wenn du es durch dein Nachdenken gefunden hast, dann teile es auch mir mit.
Kratylos: Das will ich wohl tun. Aber glaube mir nur, Sokrates, daß ich auch jetzt schon nicht ganz neu in der Sache bin, und daß wie ich auch darüber nachdenke und sie durcharbeite, es mir doch immer weit mehr so zu sein scheint, wie Herakleitos sagt.
Sokrates: So unterrichte mich davon ein andermal, Freund, wenn du zurückgekehrt sein wirst; jetzt aber, wie du dich schon dazu bereitet hattest, gehe nur aufs Land, Hermogenes wird dich begleiten.
Kratylos: Das soll geschehen, Sokrates. Tue du nur auch das deinige, um dies noch näher zu untersuchen.
Theaitetos
(Die Erkenntnistheorie)
Einleitung
Wer nur auf die Schwierigkeiten sieht, welche diesem Gespräch, für sich betrachtet und wie es gewöhnlich genommen wird, anhängen, und auf die Sophistereien, deren man es, uneingeweiht in den Zusammenhang, beschuldiget, der mag vielleicht eine ausführlichere Einleitung in das Verständnis desselben wünschen, als hier anzutreffen ist. Allein Vieles wird schon durch den Ort deutlich, den wir dem »Theaitetos« anweisen, und durch die unmittelbare Zurückführung auf das beim »Gorgias« gesagte. Denn wer sich nur ins Gedächtnis ruft, was dort als der beiden gemeinschaftliche Endzweck aufgestellt worden, und wie der »Gorgias« denselben mehr auf der praktischen, der »Theaitetos« mehr auf der theoretischen Seite zu verfolgen bestimmt ist, dem muß die Verwirrung sich schon sehr auflösen, und er muß eine Ahndung bekommen von dem wirklichen Gehalte des Gespräches, in welchem sonst auf den ersten Anblick jedes das