Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung. Malte Wietfeld
werden innerhalb von Wirtschaftsunternehmen in zunehmenden Maße dezentralisiert. Das Bild des Unternehmenspatriarchen, der alle Fäden in der Hand hält und über dessen Schreibtisch alle wesentlichen Unternehmensentscheidungen laufen, gehört zunehmend der Vergangenheit an. Verantwortung wird dagegen immer mehr auf verschiedene Schultern verteilt, wobei jedoch in vielen Fällen – so steht es zu vermuten – der Umstand unbeachtet gelassen wird, dass rechtliche Haftungstatbestände keine Rücksicht auf interne Geschäftsverteilungspläne nehmen.
Die von dem Steuerberater eines mittelständischen Unternehmens erstellte und von dessen Geschäftsführer ungelesen unterschriebene Steuererklärung scheint heute ebenso zum Alltag zu gehören, wie die einleitend erwähnte Umsatzsteuererklärung in Millionenhöhe, die, so hat es den Anschein, „zwischen Tür und Angel“ unterschrieben und damit autorisiert wird. Hierbei scheint jedoch allzu häufig unberücksichtigt gelassen zu werden, dass – bereits dem Rechtsempfinden nach – durch eine eigenhändige Unterschrift nach außen hin eine persönliche Garantie für die unterzeichneten Inhalte übernommen wird. Diese Entwicklung dürfte einem immer schnelllebigeren Wirtschaftsleben geschuldet sein. Das Strafrecht hat indes die Aufgabe, fortwährend mit derartigen Entwicklungen Schritt zu halten. Idealerweise kann es die Strafbarkeit eines Ladendiebes anhand derselben Kriterien bestimmen wie diejenige der Mitglieder eines europaweit tätigen Umsatzsteuerkarussells.
Nicht nur im Bereich der Steuerhinterziehung besteht diesbezüglich heute zwischen Wissenschaft[2] und Rechtsprechung[3] ein weitreichender Konsens, dass es für die Bestimmung von Täterschaft auf die Tatherrschaft oder jedenfalls „den Willen zur Tatherrschaft“ ankommen soll. Der vorliegenden Arbeit liegt die Frage zugrunde, ob das Kriterium der Tatherrschaft tatsächlich dazu geeignet ist, dieses Vertrauen zu rechtfertigen. In der als „Badewannenfall“ berühmt gewordenen Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1940[4] war noch unmittelbar einleuchtend, dass die junge Frau, die das unehelich geborene Kind ihrer Schwester direkt nach der Geburt und ohne eigenes Tatinteresse in der Badewanne ertränkte, aufgrund der vollständig eigenhändigen Tatverwirklichung – und damit vollständig eigenen Herrschaft über den Tatverlauf – nicht lediglich als Teilnehmerin angesehen werden konnte, sondern als Täterin hätte verurteilt werden müssen. Dieser Fall verdeutlicht somit nachdrücklich die Vorzüge der Tatherrschaftslehre, die dem objektiven Tatverlauf einen hohen Stellenwert zubilligt. Im Zuge der oben beschriebenen Dezentralisierung von Arbeitsabläufen in Unternehmen verschwinden derart klare Grenzen zwischen eigenhändiger Tatverwirklichung und originärer Tatverantwortung jedoch in zunehmendem Maße. Wer ist beispielsweise verantwortlich, wenn ein Bote, in Kenntnis der darin enthaltenen unrichtigen Angaben, die Steuererklärung seines Vorgesetzen an das Finanzamt übermittelt?[5] Das Rechtsempfinden wird jedenfalls auch – womöglich aber auch ausschließlich – den Vorgesetzten als Verantwortlichen nennen. Aber hatte er in diesem Fall in irgendeiner Form Herrschaft über das zur Tatbestandsverwirklichung führende Geschehen? Hatte er eine wie auch immer geartete (Tat-)Herrschaft?
Die besondere Bedeutung des Kriteriums der Tatherrschaft im Zusammenhang mit derartigen Fragen zeigt sich an dem Umstand, dass sich Rechtsprechung und Wissenschaft bei der Bestimmung von Täterschaft sowie der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zwischenzeitlich ein gutes Stück aufeinander zu bewegt haben. Die Rechtsprechung trägt ihrem ursprünglich rein subjektiv geprägten Ansatz heute durch eine Bestimmung des Täterwillens anhand einer wertenden Gesamtschau verschiedener subjektiver und objektiver Kriterien Rechnung. Die Ergebnisse dieser wertenden Gesamtschau hängen dabei „unter anderem von dem Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, dem Umfang der Tatbeteiligung sowie der Tatherrschaft oder wenigstens dem Willen zur Tatherrschaft ab“.[6] Insoweit wird von einer „normativen Kombinationstheorie“ gesprochen.[7] Vor diesem Hintergrund kann durchaus von einer gewissen Hinwendung der Rechtsprechung zur Tatherrschaftslehre gesprochen werden.[8]
Anmerkungen
S. www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deutsche-bank-fitschen-wird-trotz-ermittlungen-nicht-zuruecktreten-a-872598.html (letzter Aufruf: 3.1.2014).
Siehe etwa Joecks F/G/J Steuerstrafrecht § 369 Rn. 73; Klein/Jäger AO, § 370 Rn. 212; MünchKommStGB/Schmitz/Wulf § 370 AO, Rn. 381; Kummer W/J HB des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 20. Kap. Rn. 22; Ransiek Kohlmann Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 98 f.; Hadamitzky/Senge E/K Strafrechtliche Nebengesetze, § 370 AO Rn. 80, Sieja DStR 2012, 991 (992).
Siehe etwa BGH v. 9.4.2013, 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 (1179); v. 7.11.2006, 5 StR 164/06, NStZ-RR 2007, 345; v. 30.6.2005, 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44 f. (45); v. 30.10.2003, 5 StR 274/03, NStZ-RR 2004, 56 f. (56); v. 15.1.1991, 5 StR 492/90, BGHSt. 37, 289 (291).
RGH v. 19.2.1940, III D 69/40, RGHSt 74, 84 ff.; siehe dazu auch Johannsen Die Entwicklung der Teilnahmelehre in der Rechtsprechung, S. 76 ff.
Siehe dazu Ransiek Kohlmann Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 107.2.
Siehe etwa BGH v. 9.4.2013, 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 (1179); v. 7.11.2006, 5 StR 164/06, NStZ-RR 2007, 345; v. 30.6.2005, 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44 f. (45); v. 30.10.2003, 5 StR 274/03, NStZ-RR 2004, 56 f. (56); v. 15.1.1991, 5 StR 492/90, BGHSt. 37, 289 (291).
Siehe nur Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 22.
Rotsch NStZ 2005, 13 (16 f.).
B. Das Tatherrschaftskriterium nach Roxin als Ausgangspunkt der Überlegungen
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Mit den vorstehenden Ausführungen ist der Rahmen für die vorliegende Arbeit abgesteckt. Es geht mithin um eine Analyse des Kriteriums der Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung. Hieraus leitet sich zwangsläufig die Folgefrage ab, wie genau „die Tatherrschaft“ zu definieren ist. Aus dem Kriterium der Tatherrschaft haben sich eine Reihe von Theorien und Meinungen herausgebildet, die zwar sämtlich die Herrschaft über das Geschehen als gemeinsame Basis für die dogmatische Herleitung von Täterschaft, sowie die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme haben, sich in ihrer genauen Ausgestaltung jedoch – zum Teil erheblich – voneinander unterscheiden. Nur beispielhaft[1] erwähnt seien hier etwa die Theorie von der „funktional-sozialen“ Tatherrschaft[2], sowie die Theorie der „objektiven“ Tatherrschaft[3]. Nach der funktional-sozialen Tatherrschaft kommt es für die Bestimmung von Täterschaft stets auf eine wertende Betrachtung des Geschehens an. Unabhängig von einem bestimmten real-körperlichen Verhalten gehe es stets um die Frage, wem der tatbestandsmäßige Erfolg als sein Werk zuzurechnen sei. Dies gelte gleichermaßen für unmittelbare-, mittelbare- und Mittäterschaft.[4] Anders bei der Theorie von der objektiven Tatherrschaft. Diese Theorie tritt umfassend von einem subjektiv geprägten Täterbegriff ab und verlagert sich stattdessen vollständig ins Objektive. Täter und damit Tatherr könne nur eine Person sein, die selbst – durch eigenes Verhalten – einen Teil des objektiven Tatbestands der jeweils in Rede stehenden Strafnorm verwirklicht habe.[5] Dies habe insbesondere Auswirkungen auf die Mittäterschaft. Jeder Mittäter müsse dort durch eigenes