Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung. Malte Wietfeld
zu haben und deshalb Mittäter zu sein.[6] Allein diese kurzen Schilderungen verdeutlichen den weiten Rahmen, in dem sich das Kriterium der Tatherrschaft heute bewegt.
Vor dem Hintergrund, dass der Frage nach Tatherrschaft bei der Steuerhinterziehung – soweit ersichtlich – bislang noch keine umfassende Untersuchung gewidmet wurde, erscheint es sinnvoll, mit der Tatherrschaftslehre im von Roxin verstandenen Sinne nur eine der verschiedenen denkbaren Varianten dieser Täterlehre in den Fokus zu nehmen.[7] Hintergrund ist, dass Roxin zwar nicht als Begründer, dagegen jedoch durchaus als derjenige bezeichnet werden kann, der die Tatherrschaftslehre als Erster umfassend ausgearbeitet sowie strukturiert hat und dessen Verständnis von Tatherrschaft damit heute als Basis der Tatherrschaftslehre bezeichnet werden kann.[8]
Hierzu sollen zunächst noch einmal kurz die wesentlichen Grundideen der Tatherrschaftslehre im von Roxin verstandenen Sinne ins Bewusstsein gerufen werden. Sodann schließt sich als weitere Vorarbeit eine Auswertung der in jüngster Zeit vermehrt laut gewordenen Grundsatzkritik an der Tatherrschaftslehre an. Ziel ist es, auf diese Weise ein Fundament zu schaffen, auf dessen Grundlage anschließend eine Untersuchung von Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung erfolgen kann, die sich zum einen an den Grundlagen dieser Täterlehre orientieren und zum anderen mit der grundsätzlichen Kritik hieran auseinandersetzen kann.
Anmerkungen
Eine umfassende Darstellung verschiedener Varianten der Tatherrschaftslehre findet sich bei Schild Tatherrschaftslehren, insbesondere S. 33 ff.
Otto Grundkurs Strafrecht, § 21 Rn. 7 f; 26; siehe dazu auch Schild Tatherrschaftslehren, S. 63 f.
Luzón Peña/Díaz y García Conlledo FS Roxin, S. 575 ff; siehe dazu auch Schild Taherrschaftslehren, S. 74 ff.
Otto Grundkurs Strafrecht, § 21 Rn. 52 ff., 68 ff., 93 ff.
Luzón Peña/Díaz y García Conlledo FS Roxin, S. 575 (589 f.)
Luzón Peña/Díaz y García Conlledo FS Roxin, S. 575 (595 f.)
Soweit im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung vereinzelt auf weitere Tatherrschaftstheorien abgestellt wird, so erfolgt dort jeweils ein gesonderter Hinweis.
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 8.
Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach
Inhaltsverzeichnis
A. Methodische Grundlagen
B. Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten
C. Von der Tatherrschaftslehre nicht erfasste Deliktsgruppen
D. Fazit zu den Kernthesen der Tatherrschaftslehre im Sinne Roxins
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Roxin hat seine Tatherrschaftslehre erstmals im Jahr 1963[1] umfassend ausgearbeitet. Seitdem hat er sie ständig fortentwickelt und zuletzt im Jahr 2006[2] umfassend auf einen neuen Stand gebracht. Die folgenden Ausführungen orientieren sich an diesem Stand seiner Lehre.
Anmerkungen
Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, 1. Auflage 1963.
Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Auflage 2006.
Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › A. Methodische Grundlagen › I. Täterbegriff als Synthese aus ontologischem und teleologischem Strafrechtsdenken
I. Täterbegriff als Synthese aus ontologischem und teleologischem Strafrechtsdenken
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Der Tatherrschaftslehre Roxins liegt eine Synthese aus ontologischem und teleologischem Strafrechtsdenken zu Grunde.[1] Ontologie ist die „Lehre vom Sein“.[2] Sie gliedert sich in die grundsätzliche Frage danach, was das Sein ausmacht und in die Frage danach, was, beziehungsweise „welche allgemeinsten Arten von Seiendem“ als „Inventar unserer Welt“ existieren.[3] Es geht der Ontologie um die Erforschung vorgegebener Sachzusammenhänge.[4] Übertragen auf die Täterlehre bedeutet dies, dass ein ontologisches Täterverständnis versuchen muss, den Täterbegriff anhand rechtlich vorgegebener und im Bewusstsein des Menschen existierender Phänomene zu erklären.[5]
Roxin verbindet ein derartiges ontologisches Denken mit teleologischen Erwägungen. Teleologie bezeichnet bekanntlich die Lehre von den Zwecken oder Zielen. Im Bereich des menschlichen Handelns untersucht die Teleologie also den durch das menschliche Verhalten verfolgten Zweck.[6] Im rechtswissenschaftlichen Zusammenhang bedeutet das eine am Gesetzeszweck orientierte Denkweise.[7] Ein teleologisches Täterverständnis bestimmt Täterschaft daher anhand einer wertenden Betrachtung des Tatverhaltens.[8]
Einer derartigen Verbindung von ontologischem und teleologischem Denken bedarf es nach Auffassung Roxins deshalb, weil vorgegebene Bedeutungsinhalte und sinnstiftende Wertsetzungen einander stets gegenseitig beeinflussten. Dies führe zu einer fortwährenden Wechselwirkung.[9] Aufgrund dieser Wechselwirkung könne Täterschaft weder einseitig ontologisch noch einseitig teleologisch, sondern nur durch eine Verbindung beider Denkansätze bestimmt werden.[10]
Anmerkungen
Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 19 ff., 25.
Kuhlmann Enzyklopädie Philosophie, S. 1856; siehe zur Funktion der Ontologie in der Rechtswissenschaft Kaufmann Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 11 f.