Der Bote. Hans-Joachim Rech

Der Bote - Hans-Joachim Rech


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bedeutete für die U-Boot Waffe unter Dönitz und damit das Nazi Regime der sichere Anfang vom Ende, welcher bereits durch den Untergang der sechsten Armee in Stalingrad eingeleitet wurde. Für meinen Vater, einen Torpedotechniker im Dienstrang eines Bootsmannsmaats - Feldwebel - bedeutete dies die Verlegung ins Mittelmeer, wo das Wasser erheblich wärmer und die Tommys - so der Name für die englischen Soldaten zu Lande, zu Wasser und in der Luft, nicht weniger gnadenlos und erbittert kämpften als im Nordatlantik. Hier wurde meinem alten Herrn auch der Heimatschuss verpasst, so der Landserausdruck für den Abschied von der Front, vom Dreck, vom Leiden und Sterben hinein in die wohlige Kuscheligkeit eines sauberen Krankenhausbettes mit hübschen Krankenschwestern, die feschen U-Boot Fahrern, sofern sie noch als solche zu erkennen waren, auch nach Dienstschluss ihre schwesterliche Zuneigung nur zu gerne angedeihen ließen - so der Traum der Grauen Wölfe nach Rückkehr zur Basis und Durchsicht im Marinehospital, wenn die „Karbolmäuschen“ alles und jegliches an einem unter die Lupe nahmen ob möglicher Beschädigungen durch Feindeinwirkung. Nebenbei, meine beiden Tanten, Katharina und Sieglinde - kurz Kathi und Sigi genannt, waren zu jener Zeit als Luftwaffenhelferin in der Heimatverteidigung sowie als Rot-Kreuz Schwester in der Charité Berlin aktiv. So fand mein alter Herr wieder zurück in den Heimathafen seiner Flottille, nach Emden, wo er dem Marine Kraftfahrerchor zugeteilt wurde. Vor dem Weltkrieg Zwei war er als Busfahrer unterwegs - erst Linie, dann KdF (Kraft durch Freude). Die von Bergerdamms mussten alle eine handfeste arbeitsintensive Ausbildung durchlaufen, bevor sie im Unternehmen meines Großvaters aktiv werden durften. Durch diese Fahrten lernte er Deutsches Land und seine Menschen kennen. War eine sehr schöne Zeit, so schwärmte er später davon, als ich ihn zu seiner Vergangenheit befragte, die er wie eine Salami scheibchenweise preis gab. Dann ging sein jüngerer Bruder zur Luftwaffe und stieg ob seiner Vorbildung gleich in den technischen Dienst ein, und nach nur einem Jahr hatte er bereits den Pilotenschein und war ganz versessen über die Möglichkeiten mit den dicken Brummern um die Welt fliegen zu können. Später wurde er Jagdflieger, erst die ME 109, dann die FW 190, dann Abschuss und Bodendienst bis zum Ende. Der jüngste Bruder meldete sich ein Jahr vor Kriegsende noch freiwillig zur U-Boot Waffe, was meinen alten Herrn vor Wut schier überschäumen ließ, aber ändern konnte er daran nichts mehr. Bei der zweiten Feindfahrt fand dann Albert der Jüngste samt Besatzung den Soldatentod im eisigen Nordatlantik. Dort fährt er heuer noch auf Patrouille in dreitausend Metern Tiefe. Technikversiert wie mein Vater war - an seinen Fahrzeugen richtete er alle anfallenden Wartungs- und Reparaturarbeiten mit eigener Hand, kam er durch seine Busfahrten auch an die deutsche Nordseeküste, nach Emden, wo die Werften sich durch die Schiffbauaufträge aus dem Reich nicht nur die Nase vergoldeten, sondern nach und nach in die beginnende Rüstungsspirale eingebunden wurden. Was macht eine Werft in wirtschaftlich schwierigen Zeiten unter der Regie eines diktatorischen Regimes? Sie schnappt nach den Brocken, die ihr ein Auskommen und langfristig gute Einnahmen garantieren. Damit begann der Aufstieg der Emdener Hochseewerft vom Handelsschiffbauer hin zum Ausrüster der Deutschen Kriegsmarine mit schweren Überwassereinheiten, vor allem aber U-Booten, die sich bereits im Weltkrieg Eins bewährten. Vaters jüngerer Bruder, der als Pilot über dem deutschen Himmel seine Runden absolvierte, drehte auch hier in Emden durch seine Beziehungen zur Marinefliegerei an der „Karriereschraube“ meines alten Herrn, und schon kurze Zeit später kam es zu einem Vorstellungsgespräch mit anschließender Eignungsprüfung, welche die Schiffbauer an den Ufern des Dollart, dem Mündungskessel der Ems in die Nordsee, in fast schon euphorische Stimmung versetzten - alles Berechnung, so mein Vater - der Krieg war längst beschlossene Sache. So kam Johannes oder einfach Hans genannt zu den U-Bootbauern, lernte von der Pike auf jede Schraube und jeden Splint kennen und die Stelle, wo dieses und jenes Teil seine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatte. Zeitgleich mit ihm wurden ganze Jahrgangsklassen zu LI‘s - Leitenden Ingenieuren ausgebildet, die im Range eines Offiziers an Bord eines U-Bootes unerlässlich waren - praktisch die menschliche Lebensversicherung, wenn es hart auf hart ging und der Kahn genudelt werden sollte, so der Ausdruck der U-Bootfahrer für Feindkontakt mit Überwasserkampfeinheiten. Dann wurde Hans Torpedotechniker und war später dafür verantwortlich, dass die Aale - so der Jargon der Grauen Wölfe für die Torpedos, todsicher ihr Ziel fanden und ihre mörderische Ladung am oder unter dem Rumpf des Fremdschiffes zur Explosion bringen würden. Willkommen an Bord im Massenmordexpress des BdU - des Befehlshabers der U-Boote Admiral Karl Dönitz. Sein größtes Erlebnis war nicht die Versenkung des ersten Frachters, auch nicht die Verlegung in die französischen Hochseehäfen der Bretagne, sondern seine erste und einzige Fahrt über den Atlantik Anfang Januar Neunzehnhundertzweiundvierzig, als er mit Boot und Besatzung vor New York lag und die Lichter dieser Riesenstadt durch das Periskop ihres U-Bootes glitzern sahen - wie im tiefsten Frieden. Was wäre wenn - einfach um Manhattan herumschippern, den Hudson River hinauf, zwischen den Handelsschiffen auftauchen, die internationale Seefahrtsflagge hissen, an der Kaimauer festmachen und den Hafenmeister um Asyl ersuchen. Es gab den einen oder anderen an Bord, mit dem er sich mehr aus Spaß als aus Absicht darüber hinter der Hand unterhielt, was wohl geschehen würde wenn… Es kam nie dazu, wie die Sache ausging ist hinlänglich bekannt. Auf das Mittelmeer folgte der Heimatschuss und die Verlegung nach Emden zur Kraftfahrerabteilung - Versorgung der Marine im Westen und Osten, nachdem Zusammenbruch der Westfront blieb nur noch der Osten - Preußen, Pommern und Schlesien. Von Joachimsthal, wo sich in der Schorfheide riesige Munitionslager befanden, fuhr er mit seinem Beifahrer Rudi Markes, ehemaliger Hauptfeldwebel, degradiert, Strafbataillon, Bewährung, Ostfront, Kraftfahrerabteilung - Beifahrer von Hans von Bergerdamm, ehemals U-Boot Fahrer und Torpedotechniker, beinahe täglich voll beladen in den Oderbruch, nach Küstrin, Schwedt und Seelow, wo sich auf der anderen Seite der Oder die Armeen Schukows und Konjews für den letzten finalen Schlag gegen die deutsche Wehrmacht und den Sturm auf die Reichshauptstadt in Stellung brachten. Von den Seelower Höhen aus ließ sich das Treiben der Iwans, so Rudis Titulierung der russischen Soldaten, ausgezeichnet beobachten. Von der Wehrmacht hatten sie nichts zu befürchten, da selbige dieser Bereitstellung an Waffen, Munition und Soldaten nicht das Geringste entgegenzusetzen hatte. Da Hans von Bergerdamm als besonders guter Schütze in seiner Kompanie bekannt war, wurde er mit seinem Kameraden Rudi Markes regelmäßig an exponierte, gut getarnte „Ansitze“ geschickt, um dem Iwan auf den Teller zu schauen. Hin und wieder bliesen sie einem Russen die Kerze aus, um sich dann schleunigst aus dem Staub zu machen. Einer dieser besonders guten „Ansitze“ befand sich auf den Seelower Höhen, in Sichtweite zum Reitweiner Sporn. So kam mein alter Herr auch in den fragwürdigen Genuss der Begegnung mit Georgi Schukow, dem Befehlshaber der Weißrussischen Front, welche den Hauptschlag der Offensive im April Neunzehnhundert-fünfundvierzig über die Reichsstraße Eins und die Seelower Höhen nach Berlin führen sollte. Auf dem Reitweiner Sporn, einem vorgelagerten Höhenrücken, hatte der Marschall der Sowjetunion seinen Bunker und Gefechtsstand anlegen lassen. Ihm gegenüber, so um die Eintausendfünfhundert Meter entfernt, lagen mein alter Herr und sein Beifahrer Rudi in ihrem Versteck und beobachteten das Geschehen am Reitweiner Sporn durch ihre hervorragenden Marinegläser, die Hans sich aus dem Arsenal in Emden „organisierte“, so der Fachausdruck der Landser für das Beiseite schaffen von Material jeglicher Art einschließlich Schnaps, Fressalien und Rauchwaren. Rudi war plötzlich wie aus dem Häuschen - wischte sich über die Augen und blickte hernach angestrengt durch das Zielfernrohr seines Scharfschützengewehrs. Da stand er, bis zum Koppelschloss frei zu sehen, wie in einer Schießbude, der Marschall der Sowjetunion, der Führer der Weißrussischen Front, Marschall Georgi Schukow mit weiteren Offizieren, so dem Führer der 8. Gardearmee Wassili Tschuikow, der ebenso wie Schukow ziemlich unbekümmert in die Kamera des russischen Kriegsberichterstatters blickte.

      „Hier Hans - die Knarre, blas dem Iwan die Birne weg, dann ist der Krieg aus für uns“ so Rudi zu meinem alten Herrn.

      „Tatsächlich, das ist Schukow - und neben ihm stehen Tschuikow und Kirilenko - fehlt nur noch Konjew, aber der hat im Süden genug zu tun. - Wenn ich den Schukow wegputze, dann ist der Krieg garantiert aus für uns, aber im wahrsten Sinne des Wortes. Wir kommen hier nicht mehr weg - der Iwan wird uns mit Granaten zuscheißen bis nichts mehr übrig ist von uns. Aber Kirilenko - das wäre ein passendes Begrüßungsgeschenk der deutschen Wehrmacht für die siegreichen Führer der Roten Armee. Also denn - nehmen wir den Kirilenkow.“

      Gesagt - getan, Hans visierte den Generaloberst durch das Zeiss Zielfernrohr an, lud sein Suhler Scharfschützengewehr mit Explosivmunition und ging konzentriert und eiskalt auf „Fühlung“ mit dem Ziel,


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