Der Bote. Hans-Joachim Rech

Der Bote - Hans-Joachim Rech


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ab. Schuss und Explosion des Geschosses in der Brust des Russen waren fast eins - der Generaloberst riss die Arme hoch und wurde durch den Schlag des Geschosses förmlich an die Rückseite des Gefechtsstandes geschleudert, wo er langsam zu Boden sank und den Blicken von Hans und Rudi entschwand. Schukow ließ sich davon nicht sichtbar beeindrucken und schwang drohend seine rechte Faust in unsere Richtung weil er wusste, dass wir als Verteidiger nicht den Hauch einer Möglichkeit hatten, heil aus diesem Krieg herauszukommen. Hans und Rudi machten so schnell sie konnten die Fliege und mit ihrem LKW Gespann ab in Richtung Westen - Berlin - Joachimsthal, zuvor lieferten sie noch im Lazarett bei Müncheberg ein Dutzend Verwundete ab, die sich als Versprengte bei Nacht und Nebel über die Oder retteten und nun die Hoffnung hegten, dem finalen Inferno entkommen zu sein. In Joachimsthal sollten sie anschließend weiteren Nachschub für die Oderfront laden und in die Hölle zurückkehren. Dann kam doch alles anders - Gott oder wem auch immer sei es gepriesen. Am Neunten Mai Neunzehnhundert-fünfundvierzig nahm Georgi Schukow in Berlin-Karlshorst die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht entgegen. Mein Vater und sein Beifahrer Rudi erhielten noch rasch vom Kompaniechef die Belobigung zum EK Eins, in Empfang zu nehmen nach dem Endsieg in Emden. Darauf wartete mein Vater bis nach dem Krieg, dann schmiss er die Unterlagen in den Ofen -kein Endsieg - kein EK Eins. Was wäre wenn - die Offensive der Roten Armee fand auch ohne Kirilenkow ein siegreiches Ende - Millionen Tote auf beiden Seiten waren der Preis dafür und Schukow - hätte sein Tod auf dem Reitweiner Sporn einen Abbruch der Offensive nach sich gezogen? Keineswegs, der Iwan wäre noch verbissener und blindwütiger gegen die deutschen Stellungen auf den Seelower Höhen angerannt, als er es dann tatsächlich tat. Nun saß ich an Bord jenes Eisbrechers, der den Namen des legendären Feldmarschalls der ehemaligen Sowjetunion trug - Georgi Schukow - und verlor mich in Gedanken an eine Zeit, in der mein Vater als untauglicher U-Boot Fahrer und Scharfschütze der Marinekraftfahrabteilung mit seinem Beifahrer Rudi auf den Seelower Höhen in Tarnung liegend den Feldmarschall der Weißrussischen Front, Georgi Schukow in seinem Gefechtsstand auf dem Reitweiner Sporn durch das Zeiss Zielfernrohr seines Suhler Scharfschützengewehres im Fadenkeuz fixierte. Was wäre wenn - nein, das mochte Hans dann doch nicht, einen so erfahrenen und taktisch hochbegabten Heerführer aus dem Hinterhalt abknallen, das hatte Schukow nicht verdient - nein - er sollte weiterleben - musste weiterleben, um Stalin wenigstens halbwegs an der Leine zu halten, denn der rote Diktator und Massenmörder an seinem eigenen Volk, trachtete nach dem Leben aller Deutschen, die er für diesen mörderischen Krieg kollektiv verantwortlich machte. Die Protagonisten dieses Dramas mit rund sechzig Millionen Toten sind allesamt zu Staub zerfallen oder Asche verbrannt, geblieben sind Erinnerungen in Form von Bildern, Filmen, Tonaufzeichnungen, Büchern, Biografien und endlosem Historikergeschwätz, von denen eins unwichtiger und unbedeutender ist als das andere. Als wenn es nichts anderes gäbe auf dieser Welt als die Nazis, zwölf Jahre Deutschland in der Dunkelkammer und die unaufhörliche gebetsmühlenhafte Wiederholung einseitiger Schuldzuweisungen zur einen Seite und heldenhafter Taten zur anderen Seite - ein Verhalten zum dauerhaften Auskotzen, welches sogar die Anfälle während einer Hochseefahrt bei Windstärke zehn in den Schatten stellte. Erinnern ja und Erinnerung bewahren, aber nicht um der eigenen Eitelkeit und Selbstdarstellung Willen auf Kosten der Opfer auf allen Seiten, denn selbige können nichts mehr gegen ihre Vereinnahmung tun.

      Da saß ich nun und lauschte den Ausführungen von Valeria Dernikowa zu den organisatorischen Abläufen an Bord der Georgi Schukow, einem der größten und stärksten arktischen Eisbrecher weltweit. Rein mechanisch blätterte ich in den Unterlagen über die bevorstehende Fahrt in die arktische Nordatlantikregion, die mir durch eine seit Jahren zurückliegende Reise nach Grönland ein wenig vertraut war, also noch vor Beginn der großen Eisschmelze, die im Jahr 2016 die fünfhundert Milliarden Tonnen Grenze erreichte und überschritt. Ein gigantischer Aderlass für die größte Insel der Welt im arktischen Norden des Planeten Erde. Der Einfluss des Klimawandels war nicht mehr zu leugnen, die Wärme des Meerwassers nahm in den nördlichen Regionen kontinuierlich zu, was letztlich, so die Computermodelle, zu einem Stillstand des Golfstroms und damit Zusammenbruch der atlantischen Wasserpumpe aus dem Golf von Mexiko bis hinauf in die Arktis führen würde. Die Folgen dieses Desasters wären verheerend und derzeit kaum vorstellbar, weil schleichend und eher unterschwellig - aber bei dem aktuellen rasanten Tempo der Erderwärmung, ist mit einem Kollaps des Golfstroms noch in diesem Jahrhundert zu rechnen, das ist ein Fakt - eine Tatsache, an der sich niemand auf dieser Welt vorbei stehlen könnte.

       Lokis Castle - Lokis Schloss

      LOKIS Castle - LOKIS Schloss - ein Geothermalgebiet in der arktischen Tiefsee, benannt nach dem nordischen Gott des Feuers - LOKI. Das eigentliche Thermalgebiet wurde weltberühmt durch seine „Smoker“ oder „Raucher“, röhrenförmige Gebilde, die an manchen Stellen bis zu zwölf Meter hoch werden können. Ich schrieb darüber einen Beitrag in Science News, einem renommierten Geophysikalischen Magazin, der große Beachtung fand. Die Smoker oder Raucher unterscheiden sich in der Art des Rauches, den sie ausstoßen. Immerhin lasten auf dem Meeresboden in diesen Gebieten bis zu 300 bar Druck, das Wasser wird in Gesteinsspalten gepresst, bis es auch den glutheißen Untergrund am Schnittpunkt der tektonischen Platten trifft, dort wird es in heißen Dampf umgewandelt, der anderorts durch andere Spalten und Risse im Tiefsee Untergrund unaufhörlich austritt. Bei seinem Weg durch die Gesteinsschichten löst dieses Wasserdampfgemisch Mineralien in hoher Konzentration, die sich beim Eintritt in das eisige Tiefseewasser rund um den Schlot ablagern und ihrem Verhalten gemäß röhrenförmige Gebilde erzeugen - mithin einen Kamin oder gleich mehrere. Verschiedenartige gelöste Stoffe erzeugen also unterschiedliche Rauchfarben, die röhrenförmigen Gebilde werden allgemein auch als Schornstein bezeichnet. Im Atlantik auf dem Mittelatlantischen Rücken befindet sich eines der interessantesten und am besten studierten Hydrothermalfelder weltweit, allerdings nur punktuell gesehen, denn die Tiefseeforschung in ihrer anspruchsvollen Komplexität steht auch im Einundzwanzigsten Jahrhundert erst am Beginn tiefer gehender Forschungen, die grundsätzlich eine dauerhafte Station auf dem Meeresboden voraussetzt, was aber aufgrund technischer, finanzieller und vor allem internationaler Leistungsfähigkeit weiterhin noch Wunschdenken bleibt. Eine Ölbohrplattform auf dreihundert bis vierhundert Meter Tiefe auszubringen, ist eine Sache, da spielt die Musik größtenteils an der Oberfläche, lediglich die Pylone und Anschluss Pipelines Unterwasser müssen von Tauchern entsprechend installiert werden. Dazu wohnen und leben diese Männer für zwei bis vier Wochen in Unterwassermodulen in Sichtweite zum Bohrloch, welches durch mächtige Ventile gesichert ist. Schon hier ist der Einsatz von speziellen Techniken wie Dekompressionskammer, Arbeits-, Schlaf- und Notfallmodul unabdingbar. Das kostet die Ölgesellschaften Hunderte Millionen Dollar, die erwirtschaftet werden müssen. Die Tiefsee um LOKIS Schloss ist eine andere Liga, hier verlässt niemand mehr eine schützende Station, würde es sie dann irgendwann einmal geben. Aber die immens kostspieligen Tauchmanöver zum Tiefseeboden und zurück wären Geschichte, könnten Forscher und Wissenschaftler aus einer Station in der Tiefsee heraus mittels ferngesteuerter Roboter ihre Arbeit verrichten. Das ist bei allem Forscherdrang in der Tat noch Science Fiktion, da hilft alles Schönreden nichts. Von besonderem Interesse der diesjährigen Expedition mit geplanter Tauchfahrt zum Logatschew Hydrothermalfeld in dreitausenddreihundert Metern Tiefe sind die Schwarzen Raucher, in deren Umfeld vom Sockel bis zum Schornsteinaustritt - dem Schlotmund, sich große Kolonien Röhrenwürmer, Herzmuscheln und Krebse angesiedelt haben, die von den Mineralien zum einen und durch Strömung angetriebene Kleinstlebewesen zum anderen ein gutes Auskommen unter diesen archaischen Umständen finden - es ist halt wie ein Besuch in der Urzeit, der Entstehung des Planeten Erde. Hier haben sich Lebensgemeinschaften etabliert, deren Mitglieder auf sich allein gestellt in dieser Tiefe trotz Thermalquelle nicht überlebensfähig wären - dies ist nur in der Zusammenarbeit einer Gemeinschaft möglich. Ähnliches ist auch im Japanischen Meer und Pazifik um den Untermeervulkan Eifuku beobachtet worden, allerdings finden sich hier ausschließlich die Weißen Raucher - White Smoker. Im Thermalfeld um LOKIS Schloss arrangieren sich erstaunlich vitale, wenn auch archaische Lebensformen, so Bartwürmer, Schwefelbakterien, die bereits umfangreiche genetische Daten lieferten, so ein Gen, das bislang nur bei Tieren, Pflanzen und Pilzen nachgewiesen wurde. Allerdings wurde dieses Gen noch nie in Reinform Kultur gezüchtet oder vor Ort in der Tiefsee lokalisiert. Selbige kommen auch in konzentrierter Form in den Virenstämmen von SARS-CoV-2 und COVID - 19 vor. Daher weht


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