Der Bote. Hans-Joachim Rech

Der Bote - Hans-Joachim Rech


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zerplatzten, was aber die dickfälligen Walrosse, Robben und sogar Eisbären, die immer wieder in Sichtweite der in Brunft befindlichen Walrosse auftauchten, in keiner Weise zu beeindrucken schien. Es war Frühling auf der Wrangel-Insel, die Hochsaison für Walross Sex und überhaupt Balz- und Paarungszeit für alles was schwimmen, fliegen und laufen konnte. Nicht umsonst wurde die Wrangel Insel von der Unesco zum Weltnaturerbe erklärt. Unser Beobachtungseifer ließ gezwungener Maßen nach, denn unser Leitwolf Nikolaus Tachinsky machte uns nachdrücklich auf den Zeitplan aufmerksam und darauf, dass wir die Basisstation in plus -minus sechs Stunden erreichten mussten, wollten wir nicht in der baumlosen Tundra übernachten, was im Hinblick auf die beachtliche Eisbär Population in keiner Weise empfehlenswert erschien. Nach zwei Stunden Marsch durch den zeitweilig nachgiebigen Tundraboden, aus dem das Schmelzwasser quatschend unter unseren Stiefeltritten hervorquoll, vernahmen nicht nur meine Ohren das dumpfe Brummen eines nur zu vertrauten Flugobjektes, das sich innerhalb weniger Minuten zu einem brausenden Dröhnen steigerte und die Luft und den Tundraboden um uns herum in höllische Schwingungen versetzte. Dies war untrüglich der Atem eines Mil MI-26, die unheilvolle Stimme des größten Transporthubschraubers der Welt in Diensten der russischen Luftwaffe. Knapp Hundert Meter von uns entfernt setzte dieses fliegende Ungeheuer wie eine riesige Raublibelle genau auf Augenhöhe zu unserem Team in den sandig-kiesigen Grund der Tundra, um uns das Ende unseres Forschungsauftrags auf der Wrangel Insel zu verkünden.

      „Das war es dann Kollegen, die nächsten Jahre genießen wir Gratisaufenthalt in einem Gulag - oder verschwinden in einer Sumpfgrube - wie jene Mammuts vor viertausend Jahren, die wir so gerne ausgraben würden“ tönte eine Stimme aus der kleinen Schar erschrockener Forscher und Archäologen. Nichts von dem geschah, alles kam anders.

      „Rückflug nach Jakutsk, der Hauptstadt von Jakutien„ - mehr war vom Piloten des Mi-26 und dem begleitenden Offizier des zuständigen Ministeriums in Jakutsk nicht zu erfahren. Alles einsteigen, unsere Ausrüstung wird bereits vom Basislager abgeholt und gleichfalls nach Jakutsk gebracht. Im allgemeinen Tohuwabohu tauschte ich die Fotochipkarte meiner Kamera gegen eine No-Name Karte mit weniger bedeutenden Gelegenheitsaufnahmen von den Kollegen des Teams; während die Fotochipkarte mit den pikanten Aufnahmen vom Havaristen, des Atom U-Bootes K-217, den Weg in einen Ort fanden, zu dem sonst nur mein Facharzt, seines Zeichens Proktologe, Zugang hat. Die Mil Mi-26 verfügt dank meiner Kenntnisse aus früheren Flügen mit diesem Ungetüm über zwei Toiletten - eine für die Crew und eine für die Passagiere. Diesen technischen Vorteil machte ich mir zu Nutze, und mein vorgetäuschtes Flugunwohlsein erzeugte weder bei der Crew noch beim Offizier des Ministeriums Argwohn, und so trat ich rasch den Gang zur Toilette an, derweil sich die Mil Mi-26 mit dem infernalischem Gebrüll ihrer Turbinen in den graublauen Wrangelhimmel hob, eine scharfe Süd-Ost Kurve beschrieb, um dann ihren Weg auf Jakutsk zu nehmen, wo uns sonst was erwartete - und hoffentlich nicht der Gummifingerling eines Internisten der danach trachtete, in meinem Allerwertesten auf Goldsuche zu gehen. Für besonders wertvolle Dinge aus Gold - etwa den Ehering oder eine Uhr, gab es kein besseres Versteck als den eigenen Arsch - so mein Vater, der als U-Bootfahrer aus Erfahrung wusste, dass weder die Amis noch die Tommys in den Arschlöchern ihrer Gegner nach Preziosen oder Gold - in welcher Form auch immer - suchten. In der Kacke anderer zu wühlen, entsprach nicht dem angelsächsischen Standeshabitus, also ließ man es bleiben, wenn auch der Gegner sich ungeachtet dessen für das arische Gehänge des Feindes interessierte - besonders die Assistentinnen der Ärzte und die Ärztinnen im Besonderen. Nichts dergleichen geschah, nicht einmal eine irgendwie geartete Vernehmung oder Untersuchung, was für russische Verhältnisse mehr als ungewöhnlich - wenn nicht zu sagen geheimnisvoll war, was für meine und die Stimmung der Kollegen im Team in keiner Weise förderlich schien, wussten wir doch dieses völlig konträre Verhalten unserer Gastgeber nicht zu erklären. Nach weiteren zwei Stunden des Wartens in einem separaten Saal des Flughafens von Jakutsk, der die Aussicht durch die Isolierglasscheiben des Saales der Raumfahrt auf die mächtige Lena gestattete, die ihre gewaltigen Fluten wie flüssiges Silber am Hauptstadtflughafen vorbei schob, wobei uns der Aufenthalt durch ein üppiges sibirisches Büffet mit allem was das Herz begehrte versüß wurde, betrat eben jener Offizier aus dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Jakutsien unseren Saal, in dem ein Dutzend Wissenschaftler und Forscher aus fünf Nationen in gelöster Stimmung - gutes Essen, Wein und Wodka taten ihre Wirkung, die offizielle Vertretung der Republik Jakutsien lautstark mit „Do bar dan - Gospondi General“ begrüßte. Dem Gesicht des Offiziers, seine ethnisch-kirgisische Herkunft ließ sich nicht leugnen, war keinerlei Regung zu entlocken, aus der man auf seine Gemütslage oder gar seinen Eindruck von dieser fröhlich fabulierenden Schar internationaler Wissenschaftler unter Leitung des anerkannten russischen Mammutexperten Nikolaus Tachinsky schließen konnte.

      „Meine Herren - darf ich um ihre Aufmerksamkeit bitten. Im Namen des Forschungsministeriums der Republik Jakutien darf ich sie herzlich in unserer Hauptstadt begrüßen. Wir bedauern es unendlich, dass sie ihren Forschungsauftrag auf der Mammutinsel Wrangel nicht durchführen können. Unvorhergesehen Ereignisse machten es leider notwendig ihren Aufenthalt auf Wrangel vorzeitig zu beenden. Wir haben stattdessen eine andere Forschungsreise für sie - sozusagen als Entschädigung für die erlittene Ungemach - und zwar zu den Ljachow-Inseln. Ihr Flug geht in einer Stunde von diesem Flughafen. Alle Ausrüstung befindet sich bereits in der Verladung - sie brauchen sich nicht zu beeilen - unsere Mitarbeiter werden sie abholen und direkt zum Flugzeug bringen. Von Jakutsk aus fliegen sie nach Nighneyansk, und von dort mit einer Mil Mi-26 zum Marinestützpunkt auf der Kleinen Ljachow Insel, wo wir für sie eine Überraschung bereit halten, die ihresgleichen auf dieser Welt nicht hat. Das war es auch schon von meiner Seite, ihnen allen einen guten Flug, viel Erfolg bei den Mammuts und weiterhin alles Gute. Dobar dan - Gospondis - druschba.“

      Jakutien - östlicher als dieses Mitglied der GUS in Sibirien geht nicht mehr. Dieses Land ist nicht nur das unwirtlichste, kälteste und klimatologisch extremste Land der russischen Föderation, sondern auch das Reichste. Dennoch leben hier von den rund 150 Millionen Russen gut 1 Million Menschen, die meisten in den wenigen größeren Städten, etwa 15 Tausend in den Abbauregionen der Reichtümer des Landes, wo Gold, Mangan, Erdöl, Diamanten und Elfenbein in traumhaften Mengen gefördert werden. Würde Russland alles Gold und alle Diamanten die es in seinen Tresoren hält auf den Weltmarkt werfen, käme das einem „Black Friday“ wie 1929 in New York gleich. Aber daran hat weder in Moskau noch in Jakutsk, der Hauptstadt Jakutiens irgend jemand auch nur den Hauch eines Interesses. So lernte ich nach dem kürzesten Aufenthalt meiner Laufbahn auf einer Insel in der Neusibirischen See nicht nur die Gastfreundschaft der Jakuten kennen und schätzen, sondern auch noch Sibirien von oben, eine kleine Ortschaft am Rande der Ljachow See und einen rund dreieinhalbstündigen Flug mit der Mil Mi-26 über das offene Meer, das im ewigen Licht der nahenden Mittsommernächte wie golden schimmerte und die Anstrengungen der vergangenen Tage und Stunden vergessen machte. Die Stimmung im Forscherteam an Bord der Mil Mi-26 konnte besser nicht sein, wenn auch die Folgen des Büffets in Jakutsk, vor allem der Genuss von Wein und Wodka ihre Wirkung nicht verfehlten und einen nach dem anderen in einen mehr oder weniger lautstarken Schlaf sinken ließ, der nur vom gleichmäßigen Heulen der Turbinen übertroffen wurde. Auf der Kleinen Ljachow Insel landeten wir kurz nach Mitternacht auf dem Versorgungsstützpunkt der Flugbereitschaft Marineaufklärung, deren Mitarbeiter uns wie Freunde begrüßten und sich alle erdenkliche Mühe gaben, uns angemessen unterzubringen. Wir bekamen sogar Einzelzimmer im Casino der Offiziere, was mehr war als nur eine freundliche Geste - es war eine große Ehre die uns dort zuteil wurde. Bevor mich die Engel der Nacht endgültig auf ihren Schwingen davontrugen, musste ich noch meinen intimen Freund von seinem Untermieter befreien, der sich inzwischen nachhaltig bemerkbar machte, sein enges und dunkles Asyl zu verlassen.

      „Das Leben hat im wahrsten Sinne auch beschissene Seiten“ brummelte ich halblaut vor mich hin, derweil ich meinen Enddarm mit eingeseiftem Zeigefinger von seinem Untermieter erlöste. Während dieses metaphysischen Vorgangs drängte sich mir die Vorstellung auf, dass die Deutschen stetig mehr zu einem Volk von Enddarmbewohnern mutieren; sie kriechen jedem in den Arsch, nur um ja nicht anzuecken - wie soll das in einem Enddarm überhaupt möglich sein? Scheiß der Hund drauf, Life ist halt eben Live. Nachdem ich diese Prozedur zu meiner Zufriedenheit erledigt ansah wurde mir nachhaltig bewusst, dass ich mit elf weiteren Kollegen durch die Havarie eines russischen Atom U-Bootes vor der Küste der Wrangel Insel nicht nur in die Hauptstadt


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