Der Bote. Hans-Joachim Rech

Der Bote - Hans-Joachim Rech


Скачать книгу
Sibirien nach Klein Ljachow mit Zwischenstopp in Nighneyansk zu fliegen. Dort sollte eine große Überraschung auf uns warten. Aber was gab es hier auf den Ljachow Inseln - außer Gletscher, Tundra, Sumpf und Moor - und Mammuts, und zwar das kleinwüchsige Wollhaarmammut, etwa so groß wie unsere heutigen Elefanten. Es existierten auch Mammuts, die waren etwa doppelt so groß und bevölkerten die weiten Steppen des Eurasischen Großraumes und brachten es auf ein Gewicht von rund fünfzehn Tonnen bei fast vier Metern Schulterhöhe - ein Koloss von einem Säugetier - ein gewaltiges Geschöpf der Evolution das Tag und Nacht nur ein Bedürfnis hatte - fressen ohne Ende, um seinen mächtigen Leib am Leben zu halten. Es soll in der Tat auch Angehörige der menschlichen Population geben, die ohne Maß und Ziel alles in sich rein stopfen, dessen sie habhaft werden können, und gegen die sich ein Flusspferd im wahrsten Sinne des Wortes „grazil“ ausnimmt. In Nagano, Präfektur Nagano nahe dem Jigukudani Affenpark, der berühmt ist für seine Rotgesichtmakaken die in strengen Wintern regelmäßig aus dem Bergland ins Tal zu den heißen Quellen pilgern, um dann darin ausgiebige Bäder zu genießen, gönnte ich mir noch vor dem großen Tsunami und der Reaktorhavarie in Fukujima einen Besuch im Katsimoto Stadion, wo die traditionellen Honshu Sumo Meisterschaften ausgetragen werden. Die größte der japanischen Inseln hat einiges zu bieten, das für Fotografen, Buchautoren, Wissenschaftsjournalisten, Sexualtherapeuten, Masseure jeglicher Art sowie ergraute Abenteurer aufregender und spannender ist als vieles von dem, was mir mein Leben, das wahrlich nicht arm ist an bewegenden Erinnerungen, bislang bescherte. Die Makaken in den heißen Quellen bei ihren Badezeremonien zu beobachten ist eine von diesen Erinnerungen, die mich bis heute in ihren Bann ziehen. Eine weitere ist die Begegnung mit diesen Fleischbergen - genannt Sumo Ringer, die oftmals ein Körpergewicht von zweihundertfünfzig Kilogramm und mehr erreichen, dabei aber extrem muskulös und beweglich sind, was ob der Masse an Fleisch und Fett nicht zu vermuten ist. Eintöpfe sind das Lieblingsgericht der Sumo Ringer, welche sich die Nimmersatte selbst zubereiten, was zum einen der Samurai Tradition und ihrem Kodex entspricht, zum anderen halt der spezifischen Zutaten wegen, die von Protein und Eiweiß nur so strotzen. Hier hat jeder Sumo seinen eigenen Ernährungsstil, den er hütet wie seinen Augapfel. An diese menschlichen Kolosse muss ich denken, wenn es auf das Thema Ernährung einerseits und das pausenlose futtern bei bestimmten Pflanzenfressern andererseits kommt. Da wundert es nicht, dass diese pflanzenfressenden Kolosse extrem abhängig waren von klimatischer Beständigkeit, denn ihr Überleben hing zweifelsohne vom Wachstum der Gräser und Kräuter ab, die Jahrein Jahraus die schier endlosen Steppenlandschaften wie einen dichten Teppich überzogen. Das hat in letzter Konsequenz zum Aussterben zahlreicher großer Pflanzenfresser geführt, wobei der aufstrebende, jagende Steinzeitmensch sicher auch einen gewissen Anteil am Untergang der Riesensäuger trug, aber das nur am Rande. Der Klimawandel sorgte letztlich auch dafür, das weite Teile der Nordhalbkugel unseres Planeten von riesigen Eismassen überzogen wurde, und die Mammute zu Anpassungen zwang, die sie nicht stemmen konnten, was letztlich zu ihrem Tod führte. Das Eis der Jahrtausende und der Permafrostboden konservierte die sterblichen Überreste der Mammute in zum Teil erstaunlich guten Zustand. Es rotieren Geschichten, wonach sibirische Elfenbeinjäger das Fleisch gefrorener Mammute an ihrer Schlittenhunde verfütterten, um sich so die Jagd auf Elche und Rentiere zu ersparen. Die Hunde haben das überlebt, sind aber später rasend geworden, als ihnen fingerlange Zähne durch die Kiefer wuchsen, so die unheimlichen Geschichten aus dem Eiskeller des größten Landes der Erde. Ob der Genuss alten Fleisches auch bei Menschen zu langen Zähnen führt? Immerhin könnte man dann die Existenz von Werwölfen mit ein wenig Glaubwürdigkeit unterbauen. Dass die Russen daran arbeiten den Mammuts in der sibirischen Taiga und Tundra eine zweite Chance zu gewähren, ist hinlänglich bekannt. Auf Ljachow, jener kleinen Inselgruppe im Neusibirischen Eismeer, fanden Naturwissenschaftler und Paläontologen in jenem Jahr 2013, als es mich und andere Kollegen von Wrangel über Jakutsk nach Ljachow verschlug, ein Mammutkalb, dem sie den Namen „Butterblume“ gaben. Das war an sich nicht übermäßig sensationell - Mammutkälber - ja komplette Mammutfamilien wurden schon häufiger gefunden, aber an diesem Kalb war alles anders. Es war vollständig erhalten, in keiner Weise verwest und sein Fleisch schimmerte rosa und roch entsprechend seines Alters „angenehm“. Was aber die Wissenschaftler schier aus dem Häuschen brachte war die Tatsache, dass das Blut im Körper das Kalbes noch flüssig war und kräftig rot schimmerte. Das war damals die große Überraschung die uns auf Ljachow versprochen wurde, und bei der ich zugegen sein durfte die große Ehre hatte. So ein Erlebnis gewährt einem das Schicksal nur einmal im Leben. Soviel zu Jakutien und dem anderen drum herum.

      Rückruf in die Murmansker Realität durch Natalie zwei und ihr sinnliches Lippenpaar, welches selbst Eisbären zum Schwitzen bringt.

      „Meine Damen und Herren“ unterbrach die Stimme von Valeria Dernikowa meinen gedanklichen Ausflug in die geistigen Abstellkammern meines Erinnerungsvermögens - auch Langzeitgedächtnisses genannt, die mich wie das Schlagholz eines Baseballspielers in die Jetztzeit des Jahres 2016 zurückschleuderte - gerade noch rechtzeitig, um vor dem Einschiffen oder Einchecken an Bord der Georgi Schukow die letzten Anweisungen und Empfehlungen zu vernehmen, bevor wir dem Saal der Marine auf Wiedersehen sagten.

      „Gibt es noch allgemeine Fragen zum Verlauf der Unternehmung, die nicht in ihren Unterlagen abgehandelt wurden? Also keine speziellen Fragen zu den einzelnen Forschungsaufgaben, Experimenten oder Tauchgängen - selbige werden sie an Bord der Georgi Schukow mit Kapitän Viktor Satchev und seiner Mannschaft besprechen. Der Zeitplan dazu wird ausschließlich nach Maßgabe der Wetterbedingungen im Einsatzgebiet festgelegt, so dass hier und jetzt darüber nicht diskutiert werden kann. - Also - noch Fragen - wenn nicht, dann schließe ich die Begrüßung und bitte sie Ihre Unterlagen an sich zu nehmen und den markierten Weg zum Ausgang der Empfangshalle zu gehen. Dort wird sie das Einschiffungspersonal der Hafenmeisterei begrüßen und sie nach Abgleich mit den personifizierten Kennkarten, die sie alle umgehängt tragen, bis zum Passagieraufzug geleiten, der sie hinauf in den Empfangsbereich bringt, wo ihre Personalien erneut festgestellt werden, damit niemand unterwegs verloren geht. Ihre Sicherheit und ihr Wohlbefinden an Bord der Georgi Schukow hat bei uns und der Mannschaft der Georgi Schukow höchste Priorität. Also dann - begeben wir uns zum Ausgang der Empfangshalle“ endete Valeria Dernikowa ihren Einführungsvortrag zum bevorstehenden Fahrt der Georgi Schukow in das Atlantische Nordmeer.

       Rosenstrauch - Klon oder Chimäre?

      „Eine Frage habe ich - bitte schön an sie Frau Dernikowa. Ich heiße Rosenstrauch - Sarah Rosenstrauch vom Koninklijk Nederlands Instituut vor Onderzoek der Zee, kurz NIOZ in ´t Horntje auf Texel.“

      „Bitte Frau Rosenstrauch - aber nur eine Frage - kurz und knapp“.

      „Haben Sie Serum gegen SARS-Vo-1 Covid an Bord - und sind alle Teilnehmer und Mannschaften dagegen geimpft? Es gibt doch eine Krankenstation auf der Georgi Schukow“, schloss Sarah Rosenstrauch ihre Frage.

      „Für die medizinischen Fragen ist der Bordarzt zuständig. Sie haben später Gelegenheit sich mit ihm darüber zu unterhalten. Also dann - meine Damen und Herren, auf geht es - ein großes Ereignis steht ihnen bevor“ antwortete Valeria Dernikowa ebenso kühl wie höflich auf die Frage von Sarah Rosenstrauch.

      Während wir den Saal der Marine in Richtung Empfangshalle verließen, öffneten sich die großen Türflügel des Saales der U-Boote, aus dem nun gleichfalls die Kolleginnen und Kollegen der fernöstlichen Teams heraustraten, um sich unseren Teams anzuschließen. Derweil liefen in meinem Kopf die Erinnerungen an jene Expedition wie ein Film ab, die ein gewisser Yoshua Rosenstrauch im Jahre 1995 im Eisbunker Amerikas, in Alaska, durchführte, von wo aus das bis dahin als ausgestorben geltende Virus H1N1 der Spanischen Grippe, eines extremgefährlichen Erregers, erneut in die Welt kam, was damals nicht wenige Wissenschaftler und Forscher als genialen Forschererfolg bejubelten. Sarah Rosenstrauchs Großvater, ein gewisser Valentin Roskastowitsch, der dem stalinistischen System zunächst gesonnen, später aber auf mysteriöse Weise bei den Israelis auftauchte, denen das Einmaleins der Atomphysik sehr anschaulich beibrachte, im Handumdrehen zum jüdischen Glauben konvertierte und sich den Namen Menachem Rosenstrauch patentieren ließ, klopfte anschließend bei den US-Amerikanern an und bat um Asyl, was er innerhalb weniger Stunden erhielt. Die Staatsbürgerschaft mit amtlichem Pass war da reine Formsache. Dieser


Скачать книгу