Zeitkapseln - Botschaften in die Welt von morgen. Bertwin Minks
entwarf neue innovative Baupläne und besetzte frei gewordene Nischen des Lebens mit originellen Kreationen. Allerdings sollten die mesozoischen Dimensionen auf dem Land und in der Luft nicht mehr erreicht werden.
Die Katastrophe am Ende der Kreidezeit öffnete das evolutionäre Tor zur großen Zeit der Säugetiere, die im folgenden Paläogen und Neogen eine unerwartete Blüte erlebten. Der Aufstieg der lebend gebärenden Fellträger resultierte vermutlich aus der Tatsache, dass sie warmblütig und nachtaktiv waren sowie ein verfeinertes Hör- und Sehvermögen besaßen und einen verbesserten Geruchssinn entwickelten. Die Evolution hatte die Ordnung der Säugetiere etwa 100 Millionen Jahre lang vergleichsweise stiefmütterlich behandelt. Vom Paläozän bis zum Pliozän schien es über 60 Millionen Jahre lang, dass die Geschichte des Lebens von der Evolution mit einer großartigen Blüte der Säugetiere einfach fortgeschrieben werden sollte. Doch dann begannen sich am Ende des Pliozäns vor über drei Millionen Jahren unerhörte Dinge zu ereignen. Nach und nach stiegen bestimmte Primaten von den schützenden Bäumen und begannen Verstand, Werkzeuge und eine Kommunikation mithilfe einer Sprache zu entwickeln.
Der Aufstieg der vernunftbegabten Primaten gestaltete sich am Anfang durchaus mühselig und beschwerlich. Die ersten Homininen waren zweifellos mehr Beute denn Jäger und hatten alle Hände voll zu tun, das Überleben ihrer Arten in einer gefährlichen und rauen Umwelt zu sichern. Zunehmende globale Vereisungen gestalteten die Lebensbedingungen in den nördlichen Breiten unwirtlich und lebensfeindlich. Sie beeinflussten auch das Klima in der afrikanischen Wiege der Menschheit nachhaltig. Den Fossilien-Funden zufolge scheint Ostafrika das bevorzugte Experimentierfeld der Evolution in Richtung Menschwerdung gewesen zu sein. Immerhin brauchte die Evolution mindestens fünf Millionen Jahre und zahlreiche Ansätze, um aus den Vorfahren der Menschenaffen über Affenmenschen, Vormenschen und Nebenmenschen vor etwa 2 Millionen Jahren schließlich Frühmenschen zu erschaffen. „Homa ergaster“ soll die erste Menschenform gewesen sein, die den afrikanischen Kontinent verließ und als aufrecht gehender Hominine Europa und Asien für mehrere 100.000 Jahre besiedelte. Die Evolution gab sich damit aber nicht zufrieden. Sie perfektionierte ihre Schöpfungen weiter und es erfolgten weitere Auswanderungswellen. Vor 200.000 Jahren entstanden in Asien und Europa als evolutionäre Antwort auf die dortigen eiszeitlichen Bedingungen die Neandertaler und Denisovianer. Etwa zur gleichen Zeit erschuf die Evolution in Afrika den modernen Menschen homo sapiens sapiens. Die evolutionär gelungenste Form einer vernunftbegabten Spezies besiedelte in weniger als 60.000 Jahren Europa, Asien, Australien und beide amerikanischen Kontinente. Dabei verdrängte die Art allmählich offenbar auch die anderen Homininen. Nach dem Ende der letzten Eiszeit stieg der moderne Mensch schließlich in weniger als 12.000 Jahren zum Herrn des Planeten Erde auf.
Vielleicht hätte das evolutionäre Experiment „Vernunft“ auch in anderen Bauplänen des Lebens verwirklicht werden können. Am Ende des Mesozoikums wären dafür möglicherweise Raptoren infrage gekommen, wenn der Evolution mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte. Darüber hinaus gibt es auch einige vielversprechende evolutionäre Ansätze bei rezenten Arten wie beispielsweise Delfinen oder den Menschenaffen. Doch der Mensch mit seinen vielfältigen globalen und oft zerstörerischen Aktivitäten dürfte der biologischen Evolution für weitere Experimente in Sachen „Vernunft“ und „Verstand“ weder Zeit noch Raum lassen.
Im Gegenteil, dem homo sapiens wird vorgeworfen, durch seinen Aufstieg an die Spitze der irdischen Fauna ein schleichendes sechstes Massensterben ausgelöst zu haben. Diese Sichtweise mag im Kern berechtigt sein, doch kann die Situation mit den Szenarien bei früheren Katastrophen nicht gleichgesetzt werden. Die fortschreitende Zerstörung der irdischen Biosphäre und der unwiederbringliche Verlust von Biodiversität sind der vernunftbegabten Spezies bewusst. Zunehmendes ökologisches Denken führt dazu, dass die Menschheit durchaus bemüht ist, nachteilige Folgen menschlicher Aktivitäten bei der Eroberung und Ausgestaltung von Lebensräumen zu begrenzen. Ob diese Anstrengungen und Initiativen ausreichen oder wirksam genug sein werden, um das beschworene sechste Massensterben zu verhindern, ist jedoch mehr als fraglich. In Anbetracht des ungebremsten Bevölkerungswachstums scheint den Menschen nämlich die Zeit für einen effizienten Schutz der Biosphäre des Planeten und der Erhaltung ihrer Diversität mehr und mehr davonzulaufen. Die fatalen Folgen und bitteren Konsequenzen dieser bedenklichen Entwicklung werden allerdings erst künftige Generationen im vollen Umfang zu spüren bekommen. Für die Menschen der Gegenwart bleibt nur zu hoffen, dass die Nachgeborenen unsere Überheblichkeit, Fehler, Ignoranz und Untätigkeit nicht verfluchen werden!
Das gelungene evolutionäre Experiment der Erschaffung einer Spezies, die über einen Verstand verfügt und zur Vernunft befähigt ist, wirft viele Fragen auf. Erstmals in der langen evolutionären Geschichte des Lebens auf der Erde könnte ein Kind der Evolution auf den Gedanken kommen, seiner Schöpferin ins „Handwerk“ zu pfuschen und die weitere evolutionäre Entwicklung mitbestimmen zu wollen. Sollte man diesen Gedanken als eine schöpferische Posse abtun, eine evolutionäre Panne betrachten oder als einen Geniestreich in einem mehr oder minder zwangsläufigen Prozess verstehen? Wie auch immer man diese Frage beantworten mag, die Entstehung einer zur Selbsterkenntnis und zum höheren Denken befähigten Art eröffnete ein neues evolutionäres Szenario. Die Evolution hat damit Abläufe in Gang gesetzt, die nicht mehr allein ihren Regeln und Gesetzen unterliegen.
Seit etwa 100.000 Jahren wird die biologische Evolution der Homininen durch eine Entwicklung überlagert, die zunehmend an Dynamik gewinnt. Es handelt sich um die soziokulturelle Evolution der menschlichen Gesellschaft. Anfänglich war diese Dynamik gesellschaftlicher Entwicklung noch unbedeutend, doch in den letzten 10.000 Jahren hat sie sich zu der bestimmenden Komponente in der Entwicklung der Menschheit entwickelt. Die biologische Evolution der Gattung homo sapiens ist jedoch keineswegs beendet, denn sie setzt sich nach wie vor fort. Allerdings wirken ihre Mechanismen in einer Zeitskala von einigen Zehntausend bis Hunderttausend Jahren. Die soziokulturelle Evolution vollzieht sich dagegen in Jahrzehnten oder Jahrhunderten und scheint sich weiter zu beschleunigen. Damit läuft dieser evolutionäre Prozess etwa drei Größenordnungen schneller ab als biologische Anpassungen. Insofern tritt die biologische Optimierung der Art in einem überschaubaren Zeitmaßstab hinter die weitere Ausgestaltung gesellschaftlicher und zivilisatorischer Prozesse zurück. Für die evolutionäre Entwicklung der Menschheit ist es nicht wichtig, was der Art in einer Million Jahren widerfahren könnte. Für die Weiterentwicklung und das Fortbestehen der Kultur der Art homo sapiens sapiens sollten vielmehr die nächsten 5.000 bis 10.000 Jahre entscheidend sein. Wohin aber könnte die soziokulturelle Evolution die Menschheit führen? Freilich lassen sich dazu nur Spekulationen anstellen. Seriöse Prognosen sind bekanntermaßen, insbesondere, wenn sie die Zukunft betreffen, schwierig. Diese frappierende Erkenntnis eines Witzboldes wird Mark Twain oder Karl Valentin zugeschrieben. Sie sollte einen Visionär eigentlich davon abhalten, sich darin zu versuchen. Doch ohne sich in Details verlieren zu wollen, scheinen aus heutiger Sicht wohl drei grundsätzliche Szenarien denkbar zu sein. Dabei tut es nichts zur Sache, dass diese gedanklichen Ansätze einem Science-Fiction-Roman entsprungen sein könnten.
Szenario 1 (eine Endzeit-Version)
Auf der Erde findet eine weitgehend irreversible Zerstörung der Biosphäre mit katastrophalen Folgen für die globale Umwelt und die Lebensqualität der Menschen statt. Darüber hinaus haben sich die wichtigsten irdischen Ressourcen durch Raubbau total erschöpft und sind zu zivilisatorischen Streitobjekten geworden. Diese Prozesse lösen gesellschaftliche Konflikte aus, in deren Folge es zu einer verheerenden globalen Auslöschung von Leben, der Vernichtung zivilisatorischer Errungenschaften sowie einer Zerstörung der Umwelt, einschließlich der Atmosphäre, kommt.
Für eine weltweite Vernichtungsorgie von höherem Leben kommen auch kosmische Ursachen wie ein kolossales Impakt-Ereignis mit einem großen Asteroiden, eine nahe Supernova oder ein Treffer durch einen verheerenden Gamma-Blitz infrage. Schließlich ist auch eine apokalyptische Pandemie als Auslöser für einen drastischen Niedergang der menschlichen Zivilisation denkbar.
Wenn die Gattung homo sapiens diese evolutionäre Zäsur biologisch überstehen sollte, könnten sich archaisch anmutende, nachzivilisatorische Kulturen entwickeln. Sie werden über keine Hochtechnologien verfügen, keine nennenswerte wissenschaftliche Forschung betreiben und geistig-kulturell wohl überwiegend im Dunkel fatalistischer Religiosität versinken. In diesem „Endzeit-Szenario“