Zeitkapseln - Botschaften in die Welt von morgen. Bertwin Minks
Positionen in Übereinstimmung zu bringen. Das kann natürlich nicht wirklich gelingen, denn Vernunft und Glaube sind wie Feuer und Wasser, zwischen denen es keine Kongruenz geben kann. Dennoch habe ich die Mühe auf mich genommen, bestimmte religiöse Positionen und Vorstellungen mit astrophysikalischen Erkenntnissen und kosmologischen Fragestellungen abzugleichen. Dabei habe ich die Suche nach vermeintlichen Übereinstimmungen mit theologischen Deutungen sogar interessant und vergnüglich gefunden. Um den Witz und den spirituellen Schalk der Angelegenheit nachvollziehen zu können, bedarf es aber eines bestimmten naturwissenschaftlichen Wissens. Wem nicht bekannt ist, dass sich das Standarduniversum aufgrund der (nicht verstandenen) wachsenden Stärke der dunklen Energie ausdehnt und dieser Prozess vielleicht nur durch den gravitativen Einfluss von dunkler Materie aufgehalten werden kann, wird die Ironie in Kapitel 4 nicht verstehen können. Matti, ich hoffe, dass du mit zwanzig Jahren in der Lage sein wirst, diese und andere Pointen meines hier und da durchaus provokanten, aber auch schelmischen Traktates nachzuempfinden.
Zur Religion möchte ich vorab anmerken, dass sie eine sehr einfache Sicht auf die komplexen Lebensverhältnisse der Menschen darstellt. Sie nutzt vor allem die Sehnsüchte der Leute nach einem sie weise lenkenden übernatürlichen Wesen aus. Diese göttliche Entität soll ihnen sagen, was zu tun oder zu lassen ist. Wenn man sich mit Gott-Glaube und Religion beschäftigt, sollte man sich bewusst sein, dass diese Vorstellungen aus den Kindertagen der menschlichen Zivilisationen stammen. Damals hatten die Menschen die Wirklichkeit von Raum und Zeit und die Struktur des Standarduniversums mit seinen Myriaden von Sternenwelten, Milliarden Galaxien und zahlreichen schwarzen Singularitäten noch nicht erkannt. Sie glaubten tatsächlich, dass Naturgewalten wie Erdbeben, Stürme und Gewitter mit Blitz und Donner Ausdrücke eines göttlichen Zorns waren. Den Himmel ihres Herrn haben sie sich dabei ganz gegenständlich direkt über ihnen in den Wolken oder darüber vorgestellt.
Das Traktat von der kosmologischen Theologie soll dir deutlich machen, dass religiöse Gedankengebäude einer umfassenden naturwissenschaftlichen Betrachtung und Beurteilung nicht standhalten können. Die wissenschaftlichen Befunde, Erkenntnisse und Einsichten, die religiöse Überzeugungen infrage stellen, sind erdrückend. Daher kann ein göttliches Wesen in den Weiten des Standarduniversums keinen Platz haben. Der berühmte französische Mathematiker und Physiker Pierre Simon de Laplace hat diesen Sachverhalt erstaunlicherweise schon vor über 200 Jahren erkannt. Auf eine entsprechende Anfrage Napoleons soll er nämlich geantwortet haben, dass die Annahme eines Gottes eine ganz und gar überflüssige Hypothese sei.
Freilich halten viele Menschen auch zu Beginn des dritten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung nach wie vor am Glauben an einen wie auch immer gearteten Gott fest. Davon solltest du dich aber nicht irritieren oder beeindrucken lassen. Religion scheint im gesellschaftlichen Leben der Menschheit im Großen und Ganzen dennoch eine Angelegenheit von gestern zu sein. Dass es heute (immer noch) ein lebendiges kirchliches Leben gibt, ist das Resultat von jahrhundertelangen gesellschaftlichen Entwicklungen, historischen Traditionen und soziokulturellen Gepflogenheiten. Sie wirken in Verbindung mit Defiziten im naturwissenschaftlichen Denken vieler Menschen mehr oder weniger nachhaltig fort. Der Zenit der soziokulturellen Wirksamkeit dieser Vorstellungen und Überzeugungen ist jedoch seit Langem überschritten. Religion und Theologie befinden sich zunehmend in einer intellektuellen und gesellschaftlichen Defensive. Kirchliche Dogmen und religiöse Glaubensvorsätze haben jahrhundertelang von der Unwissenheit ihrer Anhänger profitiert. In einem zunehmend von der Wissenschaft und rationalem Denken geprägten Zeitalter werden sie eines (zwar wohl noch fernen) Tages nur noch ein gesellschaftliches Nischendasein fristen können!
Diese Prognose mag heute vielen Menschen noch unvorstellbar erscheinen, doch der Prozess der Säkularisierung wird in der fortschreitenden soziokulturellen Evolution nicht aufzuhalten sein. Der Wandel in der Bewertung von Glaubensfragen könnte in klerikal beherrschten Gesellschaften allerdings noch lange dauern, weil religiöse Überzeugungen in den Köpfen überwiegend bildungsferner Menschen nicht von heute auf morgen verschwinden werden. Dennoch wird sich auch dort irgendwann die Erkenntnis durchsetzen, dass der Glaube an einen Gott der Vision eines auf Treibsand gebauten gedanklichen Zauberschlosses gleicht, die im Angesicht der Wirklichkeit ins Nichts zerfließen muss.
Mein Junge, du wirst dich im Leben irgendwann entscheiden müssen, ob du geistig und emotional in einer Welt zu Hause sein möchtest, die von Vernunft und Verstand ohne religiöse Ideologien bestimmt wird, oder ob du der irrationalen Gemeinschaft gottgläubiger Menschen angehören willst. Diese Entscheidung musst du selbst treffen, sie kann dir niemand abnehmen.
Falls du dich für eine wissenschaftliche Weltanschauung entscheidest, solltest du dich dennoch bemühen, religiöse Grundsätze zu verstehen, dich mit den Überzeugungen gläubiger Leute vertraut zu machen und ihre Ansichten zu respektieren. So eine tolerante Einstellung wird auch der Überprüfung deines eigenen Standpunktes und der Verifizierung deiner intellektuellen Position zugutekommen.
Falls dich im Leben irgendwann einmal Leute für eine religiöse Überzeugung zu missionieren versuchen oder dir in Glaubensfragen in Bezug auf das Seelenheil das „Blaue vom Himmel“ verheißen, musst du vorsichtig sein und die Dinge besonders kritisch hinterfragen. Was ich damit meine, soll ein Beispiel aus einem ganz anderen geistigen Bereich deutlich machen:
„Stell’ dir einen Ingenieur vor, der ja durchaus einem anerkannten und geschätzten Berufsstand angehört. Wenn er für eine Berechnung eine komplizierte technische Formel anwenden muss, wird er die Parameter unter Berücksichtigung ihrer Schwankungsbreiten und von Sicherheitszuschlägen verantwortungsbewusst auswählen. In den allermeisten Fällen dürfte er mit seinem akribischen Vorgehen in der Praxis brauchbare und vernünftige Ergebnisse erzielen. So weit, so gut! Jetzt konfrontiere in Gedanken einen Naturwissenschaftler mit derselben Formel. Er wird die Struktur der 100.000-fach bewährten Formel wohl in aller Regel erst einmal kritisch hinterfragen. Um herauszufinden, ob es sich nur um eine Zahlenwertgleichung oder zugeschnittene Größengleichung handelt, dürfte er die Maßeinheiten der einzelnen Parameter betrachten oder die eine oder andere Variable gegen 0 oder ∞ gehen lassen. Vielleicht setzt er hier und da auch negative Werte ein und macht sich Gedanken über die Genauigkeit der verwendeten dynamischen Größen oder Konstanten. Falls bei diesen Betrachtungen nichts Vernünftiges herauskommen sollte, wird der Naturwissenschaftler die bewährte Formel vermutlich verwerfen, über Änderungen nachdenken oder sie als eine praktikable Näherung klassifizieren und ablegen.
Mein Junge, mit diesem Beispiel möchte ich dir den Unterschied zwischen einem formalen (hier technischen oder handwerklichen) Herangehen und einer substanziellen (hier wissenschaftlichen) Vorgehensweise verdeutlichen. Aber was hat die Botschaft des Vergleiches mit Glaubensfragen zu tun, wirst du dich vielleicht fragen?
Ich möchte dir damit auf eine ungewöhnliche Art und Weise bewusst machen, dass du, wenn es darauf ankommt, den Dingen immer auf den Grund gehen musst. Aus meiner Sicht betrifft das weniger die heutzutage und hierzulande geäußerten Verschwörungstheorien und andere abstruse Lebensphilosophien. Diese Ansichten scheinen so irrwitzig und gedanklich verbogen zu sein, dass ich glaube, mir diesbezüglich keine Sorgen um deinen Verstand machen zu müssen. Im Fokus meiner Besorgnisse steht vielmehr der Missbrauch des Glaubens an einen Gott. Das Gedankengut sektiererischer Vereinigungen kommt nämlich oft geschickt verklausuliert und raffiniert getarnt daher. Arglose oder naive Zielpersonen werden häufig durch die scheinbare Plausibilität und vermeintliche Vernunft der Argumente getäuscht. In so einem Fall muss religiöse Propaganda nicht nur formal, sondern auch substanziell hinterfragt werden. Daher kann eine kritische Einstellung zu scheinbar überzeugenden Offerten religiöser Ideologen oder ein gesundes Misstrauen gegenüber sektiererischen Missionsaktivitäten für einen jungen Menschen mitunter sogar lebensbedeutsam sein!
Herzliche Grüße aus der Vergangenheit!
Opa
Anlage
Himmel und Erde und die Verbindung dazwischen – Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie
Himmel und Erde sowie die Verbindung dazwischen Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie
1. Der Himmel und die Erde – Definitionen, Lokalisierungen – Verbindung
Der theologische Kosmos der allermeisten Religionen kennt als