Mit schwarzen Flügeln. Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln - Daimon Legion


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Reste blieben im Erdgeschoss zu­rück.

      Auf den Weg nach oben stoppte er in jeder Etage und ver­gewisserte sich, weiterhin allein zu sein.

      Spinnweben versperrten die kahlen Gänge, die eher an ein Gefängnis als an ein ehemaliges Mietshaus erinnerten. Oder eine Hühnerbatterie. Zelle an Zelle.

      Je mehr er aufstieg, umso besser wurde seine Stimmung. In erster Linie fühlte er hier die ersehnte Sicherheit – aber auch, weil er nicht der Typ war, der am Boden haftete. Gefallen oder nicht, Engel waren Wesen der zugigen Lüfte. In großer Höhe, wo selbst Schwindelfreie sich nicht hinwagten, da ging es ih­nen blendend.

      Die Geräusche des Hauses konnten ihn da nicht beunruhi­gen. Sogar wenn es kurz davor wäre, zusammenzustürzen, würde es ihn nicht kümmern. Ein Mensch hätte an so einem Ort sein Leben riskiert. Jedoch nicht ein Mann wie Deacon.

      Oben angekommen, lief er nur noch auf Trümmern. Teil­weise war der Boden komplett verbrannt und seine Augen blickten in tiefe Abgründe. Mit jedem Schritt fürchtete manch anderer den letzten getan zu haben. Er ging weiter. Vorbei an Mauern, deren Ziegelwerk schon deutlich sichtbar war. Rot, wie das Muskelfleisch unter der Haut, brach es aus Rissen her­vor. Moos und Schimmel wuchsen überall. Fenster waren ent­weder vernagelt oder leere Rahmen, die mit scharfen Splittern drohten.

      In einem Zimmer im Westen fehlte die gesamte Außen­wand und gab eine weite Aussicht über das Gelände frei. Hin­ter dieser schlammigen Steppe aus Abfall, sah er auf die Un­terstadt, dann auf das Geschäftsviertel und die wenigen Wohn­siedlungen derer, die zwar nicht viel, aber genug besaßen. Und schließlich funkelte am Horizont die Glasstadt im trüben Däm­merlicht.

      Rein theoretisch war Deacon also am niedrigsten Stand an­gekommen und doch schaute er jetzt auf alles hinab. Was für eine Ironie.

      Er setzte sich auf den blanken Boden, der zwar ächzte, aber ihm standhielt.

      Der Regen prasselte unaufhörlich herab und das Wasser drang in vereinzelten Tropfen durch die Decke. Das Netz einer Spinne war ungünstig gelegen und, nach einigen nassen Erfah­rungen, beschloss sie, endgültig auszuziehen. Deacon half ihr dabei etwas und nahm das Tier auf seine Hand, um es eine Armlänge hinter sich im Trockenen abzusetzen.

       Wenn der Regen doch alles genauso schnell wegspülen könnte. Nur steht Gott nicht mehr der Sinn nach Sintfluten. Das hat ja schon einmal nicht funktioniert ...

      Die Menschen hatten eine zweite Chance in der Geschichte der Existenz bekommen und – für die einen Glück, die andern Pech – sich dafür entschieden, die Sünde fortbestehen zu las­sen und mit ihr die Rasse zu verderben. Die Verantwortung für die Erde lag nicht mehr in Gottes Hand.

      Gott hatte es schlicht satt, ständig die Fehler anderer gera­dezubiegen, weswegen auch kein Eingreifen zu erwarten war. Genervt wollte Gott nicht mehr die Gebete der Gläubigen er­hören, die unmögliche Dinge verlangten, nur um dann als Spottfigur herhalten zu müssen, wenn etwas dabei schiefging. Gott hatte schließlich noch anderes zu tun. Wenn die selbstge­fällige Menschheit glaubte, alles drehe sich nur um sie ... war das nicht ganz falsch, doch Gottes Hauptaufgabe bestand dar­in, die eigene Welt im Gleichgewicht zu halten. Auch die Him­melsbewohner wollten auf keinen Fall Gott gänzlich missen, sonst kämen sie sich wieder benachteiligt vor.

      Bereits lange vor seiner Zeit war es geschehen, dass Gott sprach, die Schotten dichtzumachen und den Menschen die Geschicke ihrer Welt selber in die Hand zu legen, so wie jede andere Kreatur ihren zuständigen Lebensraum verwaltete. Was aus dieser Fehlentscheidung wurde, sah man hier im Regen davonschwimmen.

      „Gottverlassen“ war wirklich die treffende Bezeichnung.

      Und die Rolle der Engel in diesem Spiel?

      Die meisten Geflügelten hielten sich der Erde – Assia – fern. Nannten die Menschen bei Tiernamen und wollten nichts mit ihnen zu tun haben. Einige stiegen ab und zu herab, inspi­rierten ein paar Künstler. Andere trieben ihre Scherze mit den Schafen und waren dabei nicht weniger zimperlich als die Dämonen. So manch himmlische Eingebung endete in einer Katastrophe.

      Die Welt der Menschen war zu einem Spielball verkom­men. Eines Tages hatte Gott bestimmt endgültig genug davon und ließ die Luft ab.

      Ein Fingerschnippen und es war aus.

      Vielleicht gab es irgendwann eine neue Welt, aber für die der Menschen war es vorbei.

      Deacon zuckte die Schultern. Und wenn schon, ihn als Ge­fallenen ging der Zyklus nichts mehr an.

      Sollte irgendwann mal Neues kommen, fänden sich auch dort Energiequellen, die er für seinen Herrn sammeln konnte. Sünder würde es immer geben und auch seine Arbeit war zeit­los.

      Wen kümmerten da diese Menschen? Die waren doch nur Werkzeuge des Lebens.

      Seufzend beobachtete er die graugelben Wolken und fragte sich, wie lange er noch ihren Anblick ertragen musste, bis die große Tabula rasa kam. Bis der Himmel wieder blau sein wür­de.

      „Steh auf!“

      Ein Tritt folgte.

      „Los, bewege dich!“, brüllte die Stimme und ihr Echo schallte durch die leeren Räume.

      Stöhnend öffnete Deacon die Augen. Es kam ihm vor, als hätte er sich eben erst schlafen gelegt und auch die Himmels­farbe sagte ihm, dass es mitten in der Nacht sein musste. Der Regen war endlich vorbeigezogen und hinterließ einen Geruch nach modriger Nässe.

      Doch trotz Finsternis war sein Umfeld unnatürlich erhellt. Nicht vom Schein einer Lampe, sondern von der Kleidung de­rer, die ihn umzingelt hatten.

      Sofort war er auf den Beinen. Gleichzeitig spürte er silber­ne Klingen an seiner Kehle.

      Die vier Männer waren ihm in der Erscheinung recht ähn­lich und wiederum verschieden. Allesamt waren sie stroh­blond, wenn auch wie er mit stahlblauen Augen. Gleichwohl trugen sie weiße Mäntel, aber darunter genauso weiße Unifor­men, und man musste kein Hellseher sein, um zu wissen, zu wem sie gehörten.

      Deacon hatte nur nicht damit gerechnet, dass die himmli­sche Weiße Garde so auf Zack war. Er dachte, er könnte sich davonstehlen, ehe die Gegenpartei seine Spur fasste.

      „Wo sucht man eine Schabe? Natürlich im größten Dreck.“

      Ein fünfter weißer Engel erschien in seinem Blickfeld. Fe­minine Züge und Haar wie Weizengold. An seiner Dienstklei­dung trug er unnötig viele Orden zur Schau, die ihn als Anfüh­rer dieser Gardisten auswiesen. Um nicht gar zu sagen als obersten Befehlshaber der ganzen feindlichen Armee.

       Beim letzten Zusammentreffen war der bloß ein gewöhnli­cher Soldat gewesen ...

      Mit seinem abschätzigen Lächeln auf den dünnen Lippen sah er auf Deacon herab und genoss den Moment, ihn in der Zange zu haben. Ein Wunsch, den er schon seit Jahren hegte.

      Oft hatte dieser Kerl bereits versucht, Deacon beim Hohen Rat für irgendwelchen Nonsens anzuschwärzen und genauso oft war er den Fängen der Garde entwischt, was den Engel nur jedes Mal mehr in Rage brachte, wenn sie einander begegne­ten. Mit dem neuen Posten im Gepäck konnte der Blondschopf endlich Nägel mit Köpfen machen.

      Schon komisch, wie aus zwei einstigen Kameraden – sogar Freunden – so erbitterte Feinde werden konnten. Nur weil ei­ner die Seite wechseln musste.

      „Virel“, nannte er ihn beim Namen und stopfte alle Verach­tung, die er aufbringen konnte, in seine Stimmlage.

      „Deacon Heat“, griente sein Gegenüber recht diabolisch. „Lange nicht mehr gesehen, was?“

      „Ich könnte auch in Zukunft darauf verzichten.“

      Virel gab seinen Soldaten einen stummen Befehl und die ließen ihre Waffen sinken. Dennoch blieben sie kampfbereit, sollte der Gefallene es wagen, aufzubegehren. Der richtete aber nur lässig den Sitz seines Mantels.

      „Du weißt, warum wir hier sind, nicht wahr?“

      Er spielte


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