Oliver Hell Todeshauch. Michael Wagner J.
der Umhängetasche.
»Noch einmal vielen Dank für Ihre Zeit. Wir haben es extrem schwer, uns ein Bild von Ihrem ehemaligen Chef zu machen«, begann sie und bewegte den Stift nervös zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her.
»Donatus Monzel also«, sagte Frau Weyres und setzte eine ernste Miene auf, »das hätte ich nicht gedacht, dass er auf diese Art und Weise aus dem Leben gerissen wird. Das hat er nicht verdient.«
»Sie haben sich gut verstanden?«, fragte Lea Rosin.
»Oh ja, er war der beste Chef, den man sich nur vorstellen konnte. Immer zuvorkommend, stets höflich und für die Kinder hätte er sein letztes Hemd geopfert!«
Rosin tadelte sich insgeheim, weil nach dem Wort ‚Hemd‘ ihre Gedanken sofort wieder in eine nicht jugendfreie Richtung abdrifteten. Sie musste sich zusammenreißen.
»Wir müssen uns ein umfassendes Bild von Herrn Monzel machen«, fuhr Rosin dann fort und betrachtete Frau Weyres, wie sie geistesabwesend mit den großen Holzperlen ihrer Halskette spielte.
»Sie waren wie lange Arbeitskollegen?«
»Über zwanzig Jahre haben wir zusammengearbeitet, über zwanzig Jahre«, wiederholte sie.
»Hatte er Feinde? Ich meine, erinnern Sie sich an jemanden, der ihm vielleicht nicht so freundlich zugetan war wie Sie?«
»Feinde? Donatus Monzel hatte keine Feinde!«, stieß sie hervor und Rosin bemerkte einen unfreundlichen Unterton in ihrer Stimme.
»Und trotzdem gibt es jemanden, der ihn erschossen hat«, entgegnete Rosin und hielt daraufhin dem Blick der alten Dame stand.
»Wer sollte einen Wohltäter wie Donatus Monzel töten? Das geht mir nicht in den Kopf«, antwortete sie matt und Rosin gewahrte mit einem Mal, dass sie die ganze Zeit über nur die Starke gespielt hatte. Tränen rannen ihr über das Gesicht und Rosin beeilte sich, ihr ein Papiertaschentuch zu reichen.
»Hatten Sie auch nach der Schließung des Heims noch Kontakt zu Herrn Monzel?«, fragte Rosin, nachdem Frau Weyres sich wieder gefangen hatte. Sie hielt das Papiertaschentuch in ihrer Hand geknüllt und überlegte.
»Nein, nicht wirklich. Wir trafen uns ein paar Jahre hintereinander auf einem Wohltätigkeitsball. Sonst nicht, nein.«
»Was war das für ein Ball? Wer war der Schirmherr?«, wollte Rosin wissen.
»Der Schirmherr war der Rotary-Club Bonn. Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
Rosin machte sich Notizen. Endlich eine Spur, der man nachgehen konnte.
»Wissen Sie, was seine Aufgabe dort war?«
Weyres schüttelte den Kopf.
»Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen. Donatus Monzel war ein bekanntes Bonner Gesicht. Viele waren froh, wenn man sie mit ihm an der Seite ablichtete. Ja, das war so, junges Fräulein.«
Rosin überhörte dieses Wort. Dieser liebenswerten alten Dame konnte sie nicht böse sein. »Wie war er?«, fragte sie stattdessen. »Können Sie mir bitte etwas über Donatus Monzel erzählen?«
Nachdem Edeltraut Weyres gegen Rosins Protest einen Tee aufgebrüht hatte, saßen die beiden Frauen bald da und Lea lauschte den Worten der alten Dame. Das Bild, das sie von Donatus Monzel zeichnete, wollte in keinster Weise zu dem potentiellen Kinderschänder passen, der in Rosins Hinterkopf herumspukte. Ihre freundliche Gastgeberin zeichnete stattdessen mit farbigen Pinselstrichen eine Skizze eines warmherzigen Menschen, der die Belange seiner Schützlinge immer in den Vordergrund stellte. Sie brachte keine dramatischen Enthüllungen zutage. Rosin machte sich wieder Stichpunkte. Auch flossen in die Beschreibung immer wieder Szenen aus dem Heimalltag ein, so wie sie ihn in den zwanzig Jahren erlebt hatte. Auch das notierte sich Rosin pflichtbewusst. Beinahe konnte sie vor ihrem inneren Auge die beiden Menschen sehen, wie sie sich über jedes aus dem Heim entlassene Kind freuten.
»Ich werde immer das Strahlen in den Augen sehen, wenn eines der Kinder in ein eigenes Zuhause gehen konnte und das Heim für immer verließ. Er hat dann immer ein Foto gemacht, besser gesagt, ich musste dieses Foto machen und er hat es sich dann daheim an seine Wand gehangen. Das waren seine Lieblingskinder, die dort einen Ehrenplatz erhielten.«
Wieder rührte sich etwas in Rosins Nacken. Lieblingskinder. Was taten diese Kinder wohl, um diesen Status zu erhalten? Sofort hakte sie ein.
»Waren Sie oft in der Monzelschen Villa?«
»Nein, nicht oft. Vielleicht fünf Mal in all den Jahren.«
»Das ist nicht sehr oft«, sagte Rosin skeptisch, »gab es nicht genügend Anlässe?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Donatus Monzel wollte daheim seine Ruhe haben. Dort ist meine Oase der Ruhe, hat er immer gesagt. Er hat leidenschaftlich gerne klassische Musik gehört und besaß eine außerordentlich große Schallplattensammlung«, antwortete sie und Rosin überlegte, wieso das bisher niemand aus der KTU erwähnt hatte. War das nicht ein Mordmotiv? Von einem Freund wusste sie, dass unter Liebhabern für guterhaltenes Vinyl leicht horrende Preise gezahlt wurden.
»Haben Sie mal zusammen mit ihm Musik gehört?«
Frau Weyres schüttelte wieder den Kopf.
»Nein, nie.«
Ihr Bedauern darüber war leicht zu erkennen. Rosin notierte sich ‚Platten‘ auf dem Block und malte einen Pfeil dahinter, schrieb dann KTU auf. Nachdem Frau Weyres mehrmals hintereinander auf ihre Armbanduhr gesehen hatte, deutete Rosin das als freundliche Aufforderung, zu gehen. Nach dem Tee und den original englischen Keksen empfand sie es als reichlich schwer, sich aus dem bequemen Sessel wieder herauszuarbeiten. Sie bedankte sich artig und fragte noch zum Abschied, ob sie am nächsten Tag mit ihrem Chefkommissar - wieso sie Hell in diesem Moment so nannte, wusste sie auch nicht - erneut vorbeischauen dürfte. Falls ihnen noch Fragen einfallen würden. Die alte Dame hatte nichts dagegen und begleitete Rosin noch zur Tür. Lea Rosin nahm ein gutes Gefühl mit und als sie sich in ihren VW-Polo setzte, bemerkte sie, dass sie sich darauf freute, die alte Dame zu treffen. Und auf Kekse und englischen Earl Grey Tee.
Unterwegs fiel ihr noch eine Frage ein, die sie hätte stellen können: Sie kannte seine Gewohnheiten über all die Jahre hinweg sehr gut. Aber kannte sie auch seine Freunde? Und: Gab es eigentlich eine Frau Monzel?
*
»Wie war noch ihr Name?«, fragte Hell und runzelte die Stirn, »Weyrich?«
»Weyres, Edeltraut Weyres«, antwortete Rosin und Hell korrigierte den Namen auf der Glasscheibe.
»Was kannst du uns berichten?«, fragte Hell und setzte sich an den Besprechungstisch, an dem außer Rosin nur Akuda Platz genommen hatte.
Hell schaute auf seinen Stift, während Rosin über die Dinge sprach, die ihr die alte Dame anvertraut hatte.
»Sie ist also der Meinung, dass ihr Chef ein grandioser Wohltäter war?«, fragte Akuda.
»So negativ würde ich es nicht sehen, aber wenn man sagen würde, dass sie ihn verehrt hat, ja, das würde ich unterschreiben.«
»Man hat es ja nicht selten, dass Sekretärinnen heimlich in ihre Chefs verknallt sind«, erklärte Akuda seinen Zweifel.
»Ich kann es nicht sagen, ob sie in ihren Chef verknallt war. Es ist eine liebenswerte alte Dame, für die Loyalität noch etwas zählt«, antwortete Rosin und strafte Akuda für seinen Zynismus mit einem Seitenblick. Sie konnte es nicht erklären, aber sie hatte das Gefühl mitgenommen, dass sie auf diese Frau nichts kommen lassen würde. Vor allem keine üble Nachrede.
»Diese alten Schachteln leben doch oft in einer völlig verklärten Realität«, sagte Akuda, der sich von ihrem Blick nicht abhalten ließ, seine Meinung zu äußern.
»Diesen Eindruck kann ich nicht bestätigen. Ich denke, dass sie ziemlich genau weiß, worüber sie redet.«
»Nein,