Spurlos. Manuela Martini

Spurlos - Manuela Martini


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Abschied lächelte er, und sie lächelte zurück. Ihr Schritt wurde leichter federnder. Sie spürte wieder die Perlen auf ihrer Haut und genoss das angenehme Kribbeln, das ihren Körper überlief.

      7

      Unkonzentriert und fahrig steuerte Alison durch den Feierabendverkehr der City. Im asiatischen Lebensmittelladen besorgte sie Kokosmilch, Thaibasilikum, Austernpilze und frische Chilischoten, um dann endlich um kurz nach halb sieben vor die Garage ihres Hauses zu rollen. Als sie in die Küche kam, klingelte ihr Handy. Matthew las sie auf dem Display.

      „Hi, Darling“, seine Stimme klang unnatürlich gut gelaunt. Welche Lüge hätte er parat? Sie wartete.

      „Ich musste nun doch schon nach Broome. Ich wollte auf dich warten, doch dann rief Erol an und meinte, wir müssten unbedingt heute Abend noch diesen Typen von der Firma treffen – du weißt schon, diesen Typen, der …“

      Es war ihr egal, wie der „Typ“ hieß. Sie war sicher, er existierte nicht.

      „Ich bin dann morgen Nachmittag – oder, oder spätestens am frühen Abend wieder zurück.“

      Sie wollte jetzt einfach auflegen, sich die Lügen und die Heuchelei nicht mehr anhören. Ihr Vorsatz, ihre Hoffnung waren dahin.

      „He, Darling, du bist doch jetzt nicht sauer, oder? Es ist doch für uns! Ich tue das alles doch nur für uns – und für Prudence. Ich liebe dich.“

      Sie hätte am liebsten das Handy in die Ecke geworfen, aus Wut darüber, dass er so schamlos log, doch sie sagte: „Gute Nacht.“

      „Gute Nacht? Willst du nicht, dass ich dich heute noch mal anrufe?“

      „Nein. Ich gehe früh ins Bett. Ich bin ziemlich erledigt.“ Warum schleuderte sie ihm nicht die Wahrheit ins Gesicht: Warum Valerie Tate?

      „Schlaf’ dich aus. Gute Nacht, Darling.“ Wahrscheinlich war er sogar erleichtert, dass er in der Nacht nicht mehr zu Hause anrufen und lügen müsste.

      Sie ließ die Tüten auf der Arbeitsplatte stehen, setzte sich an den Esstisch, vergrub den Kopf in die Hände und heulte. Als keine Tränen mehr kamen, stellte sie sich vor, wie zwei Schlägertypen die Tür eintraten und Valerie Tate die Finger brachen.

      Sie griff zum Telefon. Ihre Schwester war auf der Heimfahrt, sie saß im Auto.

      „Christine. Ich hab’s mir überlegt. Ich will, dass jemand Valerie Tate ganz klar zu verstehen gibt, dass sie mit Matthew Schluss machen soll!“

      „He, du hast dich also durchgerungen! Das wird aber was kosten. Ich rede mal mit Phil.“

      Als sie auflegte, fühlte sie sich etwas besser. Das Gefühl, ohnmächtig der Entwicklung der Dinge – und ihres Lebens – gegenüberzustehen, hatte sich gewandelt. Sie spürte wieder, dass sie die Dinge in der Hand hatte. Jeder ist für sein Glück verantwortlich, fiel ihr ein. Ja. Sie hatte gerade eben etwas für ihres – und das für Matthew – und Prudence getan. Sie verstaute die Einkäufe und rief Meg an, ob sie zum Abendessen kommen dürfe. Eine halbe Stunde später parkte sie vor Megs und Nicks Haus.

      „Hi, Alison!“ Meg empfing sie mit offenen Armen. „Wir haben kurzerhand unsere Barbecueparty auf heute verlegt und noch ein paar Leute eingeladen. Nun, einen kennst du ja schon.“ Alison folgte Megs Blick hinauf zur Veranda. Dort, am oberen Ende der Treppe lehnte Brett Horkay am Geländer und lächelte zu ihr herunter.

       Damals hätte er es erkennen müssen, das Zeichen. Das Zittern, das erst seine Füße, dann seine Beine und schließlich seinen ganzen Körper schüttelte! Noch wäre Zeit gewesen – doch er wollte das Zittern nicht spüren und den Riss in der Wand nicht sehen, wollte nicht wahrhaben, dass alles seinetwegen geschah.

       Er hat die Warnung nicht erkannt. Vielleicht hätte er noch alles verhindern können, dachte er und hob den Blick.

       Die spindeldürren Äste hielten den Mond gefangen. Die Stimme hallte in seinem Kopf, und er murmelte: „Ja, gleich.“ Er packte den Plastikumhang und das Messer aus der Einkaufstüte aus, zupfte die Handschuhe zurecht, zog den Plastikumhang über, nahm das Messer und kniete sich. Kaltes Mondlicht beschien das weiße Fleisch.

      1

      „Wir haben immer noch keinen Kaffee!“ Die Goldarmreifen von Alex Winger klimperten als sie die Hände in die Hüften stemmte und sich ungehalten nach dem Gerichtsdiener umsah. Halb zehn. Shane saß in der ersten Reihe der rot gepolsterten Sitze und sah zum wiederholten Mal auf seine Uhr. Er hätte auch nichts gegen einen Kaffee gehabt. Der Staatsanwalt warf nervöse Blicke auf seine Armbanduhr und rückte erneut die gelockte Perücke zurecht. Man schien auf etwas oder jemanden zu warten. Vielleicht hatte sich der Richter verspätet?

      Shane wollte nach Hause. Er hasste dieses Klima, die feuchte Hitze, von der die Einwohner behaupteten, sie sei trocken und erst ab August feucht. Er wunderte sich nicht, dass die holländischen Seefahrer, die als erste Europäer im siebzehnten Jahrhundert auf die nördliche, unwirtliche Küste des Kontinents stießen, recht bald wieder die Flucht ergriffen – um sich, wie andere Europäer auch, zweihundert Jahre lang nicht mehr sehen zu lassen.

      Gestern Abend hatte er allein in einem Pub in der belebten Mitchell-Street ein paar Bier getrunken und war dann ein paar Meter weiter in seinem Hotel ins Bett gesunken. Er schlief schlecht, die Aircondition heulte und rasselte die ganze Nacht gerasselt und er lag da, und dachte an sein neues Leben, das er ab nächster Woche führen würde. Wie ginge es mit Carol weiter, wenn sie sich öfter sehen würden? Gab es für sie beide überhaupt eine Zukunft oder würden Gewohnheit und Alltag nach und nach ihr Leben besiegen? Er dachte an seinen Vater, dem er noch immer nicht die Frage nach seiner Rolle im Korruptionsfall der Polizei gestellt hatte. Und schließlich dachte er an Jack. Jacks Frau hatte durch den Schock ihren kleinen Sohn viel zu früh zur Welt gebraucht, doch er hatte die kritischen Monate überlebt und entwickelte sich gut. Seine, Shanes Tochter, hatte sich zum Glück von ihrem ehemaligen Berufswunsch abgewendet: Sie wollte nicht mehr Polizistin werden, sondern Anwältin. Er hoffte nur, sie würde sich nicht zu einem solchen Exemplar wie Alex Winger entwickeln.

      Anwältin und Staatsanwalt sahen in immer kürzeren Abständen auf ihre Uhren. Schließlich stand Shane auf und ging hinaus. Einer der Sheriffs lehnte am Geländer und blickte auf.

      „Warum geht’s nicht weiter?“, fragte Shane.

      Der Sheriff verzog das Gesicht. „Wir warten auf die Akten.“

      Shane sah seine kleinen gelben Zähne. „Und warum dauert das so lang?“

      „Keine Ahnung.“ Der Sheriff gähnte und kratzte sich an seinem kurz geschorenen Kopf. Die Fingernägel waren bis auf die Nagelhaut abgekaut.

      „Ist manchmal `ne langwierige Sache, so was.“

      Shane wusste nicht, was er meinte. Aber es war ihm gleichgültig. Er wollte nur endlich entlassen werden.

      „Ich wollte eigentlich heute noch abfliegen.“

      „Nur mit der Ruhe.“ Der Sheriff nickte bedächtig. Nebenan wurde die Tür aufgerissen, und der Staatsanwalt kam so schnell auf Shane zu, dass sich sein schwarzer Umhang bauschte.

      „Die Verhandlung wird unterbrochen. Es gibt ein Problem, Detective.“

      Das wusste er bereits. Er versuchte sich an die späteren Abflugzeiten zu erinnern.

      „Die Verteidigung hat Ihre Akten nicht.“ Shane hörte den schadenfrohen Unterton.

      „Warum holt sie sie dann nicht? Mrs. Winger scheint doch sonst so pragmatisch.“ Shane sagte es ironischer als beabsichtigt. Und wenn schon. In einer Woche hätte er mit all dem nichts mehr zu tun. Staatsanwälte, Verteidiger, Richter.

      „Ihre Assistentin hat sie. Und die ist heute Morgen nicht erschienen.“


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