Aeternitas - Die komplette Trilogie. Sabina S. Schneider

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die Ernsthaftigkeit und sie lädt mich mit einer Handbewegung ein, mich zu ihnen setzen. Dann streckt sie mir ihre Hand entgegen und sagt: „Ich heiße Mandy. Willkommen im Paradies!“

      „Danke! Ich bin E …“, ich mache eine Pause, denke kurz darüber nach, welchen Namen ich Nikk genannt habe und sage: „Emilia!“ Nikks Augenbrauen fahren hoch und ich weiß, dass ich einen Fehler begangen habe. Doch Nikk bleibt stumm und Mandy sagt: „Schön dich kennenzulernen, Emilia! Du darfst uns nicht alle wegen Adrian abschreiben. Er ist ein Tier und gewohnt, zu bekommen, was er will. Deine Art ihn abzuweisen … ist neu.“ Ein leises Lachen entschlüpft ihren Lippen. „Er hat das und mehr verdient. Er ist eine Schande für das ganze Programm.“

      Ich schlucke hart und mein Mund ist trocken, als ich frage: „Wird er mich in Ruhe lassen?“

      „Adrian sucht sich normalerweise einfache Frauen aus, die ihm schon verfallen sind, bevor er einen Schritt auf sie zugemacht hat. Ich … nimm dich vor ihm in Acht. Und vor seiner momentanen Eva. Sie ist ein Biest und zieht bereits jetzt über dich her.“

      „Momentan?“, spreche ich meine Gedanken ungefiltert aus, „spielt ihr hier Bäumchen wechsle dich?“ Mandys Wangen färben sich rot und sie erwidert: „Manche Pärchen bleiben zusammen.“ Ihr Blick streift Nikk, als sie fortfährt: „Doch das ist nicht gern gesehen. Es bedeutet Stillstand und das Eva und Adam Projekt ist für den Fortschritt und die Entwicklung ins Leben gerufen. Aber das weißt du sicher.“ Ja, sicher. Leider habe ich nicht, die Geistesgegenwart zu nicken, und schüttle nur dümmlich den Kopf. Mandy zieht die Luft ein und flüstert leise: „Dann ist es wahr? Bist du eine Wilde?“

      „Eine Wilde?“ Es hört sich an, als wäre ich eine prähistorische Frau, die nackt durch Höhlen rennt und auf Fellen schläft. Mandy hat den Anstand rot zu werden und Nikk greift ein.

      „Viele halten es für ein Gerücht, dass Menschen außerhalb des Staates leben … überleben. Der vierte Weltkrieg hat doch alle in Schutt und Asche gelegt. Nur noch wenig Lebensraum ist nicht verseucht …“ Mein Herz bleibt bei seinen Worten stehen. Vierter Weltkrieg? Ich werde blass und bin dankbar, als eine Durchsage uns unterbricht.

      „Alle Evas begeben sich in das Schminkzimmer. Die Adams werden in der Theaterhalle erwartet.“

      Mandy rollte mit den Augen und Nikk klatscht freudig in die Hände.

      „Das wird eine Show! Zeig mir, was du kannst, Baby!“ Er lehnt sich vor, drückt seine Lippen mit einem fetten Schmatzer auf ihre Wange und Mandy weicht kichernd zurück. Ich wende den Blick ab, als Nikks Augen meine treffen und kralle meine Hände ineinander, um nicht zu der Stelle zu fahren, an der Nikk mich berührt hat. Seine Augen werden dunkel, dann springt er auf und schlendert davon, während Mandy ihm hinterherruft: „Das nächste Mal bist du wieder an der Reihe!“ Sie steht auf und hält mir lächelnd die Hand hin. Ich lasse mir aufhelfen und folge ihr. Alle um uns herum kichern.

      Als wir in einen großen, vollbepackten Raum kommen, steuert Mandy zielsicher auf eine Staffelei zu und greift nach kleinen Farbtuben. Dann dreht sie sich zu mir um und fragt: „Was brauchst du für deinen Auftritt?“ Meinen WAS? Mir wird schlecht und ich weiche einen Schritt zurück.

      „Oh … entschuldige. Ich hatte vergessen, dass du neu bist. Wir zeigen heute eine spontane Aufführung für die Adams. Evas Verführung sozusagen. Aber es ist eher eine Talentshow. Jeder tut irgendetwas, um den Herrschaften seine Gabe zu präsentieren.“ Ich kann Mandy nur voller Entsetzen anblicken.

      „Ich mache meist eine Kunstperformance. Malen ist mein Talent. Gerta begleitet mich mit der Geige im Hintergrund.“ Mein Entsetzen wächst zur Panik.

      „Andere tanzen, singen, führen Zaubertricks auf. Einmal hat Caroline auf der Bühne gebacken. Das war witzig. Das ganze Theater hat Tage danach noch nach Schokosplitter-Walnuss-Keksen gerochen. Was wirst du aufführen?“ Ich schüttle den Kopf. Ich habe kein Talent, ich kann nichts.

      „Jeder ist hier, weil er ein Gebiet hat, in dem er oder sie hervorsticht. Du musst auch etwas können.“ Ja, wegrennen, mich verstecken. Mandys Augen werden groß, als ich nichts erwidere. Sie tätschelt meine Hand und sagt: „Das erste Mal ist immer das Schlimmste. Es wird einfacher und irgendwann macht es Spaß! Vertrau mir!“ Wo habe ich diese Worte schon einmal gehört?

      „Du könntest ein Gedicht vortragen. Etwas vorlesen. Du hast eine bezaubernde Stimme.“ Mir wird schlecht und ich wende mich ab. Ein Fehler. Eine kleine, zierliche Frau packt mich an der Hand. Ihr Harr leuchtet rot, ihre Augen sind von einem Mintgrün.

      „Ich bin dafür, dass die Neue als erstes auf die Bühne geht. Sie soll uns zeigen, was sie kann!“ Ich schaue in die Runde. Ein paar weichen meinem Blick aus, viele nicken zustimmend und die Rothaarige grinst.

      „Lass sie in Ruhe, Harriett! Sie kann nichts dafür, dass Adrian sich ihr aufdrängt“, höre ich Mandy sagen.

      „Schlange!“, zischt Harriett und will mit zu Krallen gebogenen Fingern auf sie zustürmen. Doch Mandy bringt sie mit einem kalten Blick zu Räson: „Ich wäre vorsichtig, Harriett. Du von uns allen solltest am besten wissen, was Adrian für seine Favoritinnen tut.“ Harriett wird bleich. Ich frage mich, ob ich so weiß bin wie Harriett, als Mandy sich Farbe, Pinsel und eine Staffelei schnappt und im Vorbeigehen eine hübsche Brünette fragt: „Würdest du wieder meine musikalische Muse spielen, Gerta?“ Die Brünette lächelt schüchtern, umklammert ihre Violine und folgt ihr. Wie aufgescheuchte Gänse laufen die Frauen Mandy nach, kreisen mich ein und mir bleibt nichts anderes übrig, als mit dem Strom zu schwimmen.

      Ich traue meinen Augen nicht, als Mandy zuerst zu sanften Klängen zarte Linien auf die Leinwand zaubert und diese dann unter steigendem Rhythmus Konturen annehmen. Kräftige Farben vermischen sich und die abstrakten Formen werden zum Leben erweckt. Mit dem letzten verklingenden Ton lässt Mandy den Pinsel fallen und verlässt die Bühne, ohne einen Blick auf ihr Kunstwerk zu werfen. Ihre Wangen sind gerötet, ihre Brust hebt und senkt sich schnell. Sie ist wunderschön und ich verstehe, warum Nikk sie zu seiner Eva gewählt hat.

      Dann tritt Gerta auf die Bühne, spielt eine dramatische Melodie, die mir den Atem raubt. Danach schlängelt sich eine Blondine wie ein Reptil über den Boden, stellt Dinge mit ihrem Körper an, die mir die Schamesröte in die Wangen treiben. Eine Sängerin folgt mit einer Ballade. Als sie die Bühne verlässt, spüre ich eine Hand auf meinem Rücken, jemand schubst mich und ich kann nur noch mit viel Glück verhindern, dass ich mit der Nase auf den Holzbrettern lande. Mein Kopf schwirrt, ich richte mich auf, lasse meinen Blick über den gefüllten Raum schweifen.

      Das Rauschen des Blutes in meinen Ohren wird lauter. Ich weiß nicht, wie lange ich bewegungslos dastehe, bis einer in der Menge laut „Ausziehen!“, schreit. Mein Blick fixiert den Übeltäter, bringt ihn zum Schweigen. Wut kocht in mir hoch. Was für ein beschissener Traum. Ich blicke kurz an mir herunter und bin froh, anstatt nackter Haut den hellbraunen Stoff meiner Hose zu erblicken. Verzweifelt krame ich in meinem Gehirn nach irgendetwas Sinnvollem. Aber da ist nur Leere und Dunkelheit. Hoffnungslosigkeit steigt in mir auf und meine Knie drohen unter mir wegzuknicken. Doch dann sehe ich ein Licht.

      Eine Erinnerung an meine Mutter … meinen Vater. Ich sehe eine Bühne vor mir und denke an die Bewunderung, die ich empfunden habe, und an die Zeilen, die ich danach so oft gelesen habe, dass sie sich für immer in mein Hirn gebrannt haben. Die mir immer Kraft geben, wenn ich am Boden bin. Die Worte, die meinen verwirrten Verstand gefangen genommen haben und meine Gefühle so ausdrücken können, dass ich mich selbst fast verstehe. Der Monolog eines Unglücklichen, eines geistig Verwirrten. Ich schließe meine Augen, während die Worte voller Leidenschaft und Inbrunst wie ein Eid meine Lippen verlassen:

      „Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:

       Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern

       Des wütenden Geschicks erdulden oder,

       Sich waffnend gegen eine See von Plagen,

       Durch Widerstand sie enden? Sterben - schlafen -

       Nichts


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