NY Phönix. U. Kirsten

NY Phönix - U. Kirsten


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besuchte. Obama hatte über die Wurfquote von Rondo gewitzelt. Das ging durch die ganze Presse und nun hatte der sensible Spieler einen Blackout. Ja, die Erwartungen an die Spieler waren immer groß. Das kannte Lenny bereits. Abends waren Lenny und sein Vater in die Innenstadt von Boston gezogen. In einer Studentenkneipe gab es Tortellini und eine große Coke für Lenny. Lenny fand es toll, dass sein Dad ihn schon wie einen Großen behandelte. Trotz seiner fast 50 Jahre war sein Vater echt cool. Er trug am liebsten Jeans und All-Star Chucks und sein Lieblings - Led Zeppelin T-Shirt. Am Handgelenk hatte er ein paar bunte Bänder. Seine Haartolle war in der Woche passend zum notwendigen Anzug nach hinten mit Haar-Gel angelegt. Jetzt trug er die Haare offen und mit seiner neuen Brille sah er beinahe Johnny Depp etwas ähnlich. Abends hatten sie noch bei Dad in seiner Bude übernachtet und vor dem Schlafen über Basketball gefachsimpelt. Am nächsten Morgen gab es Frühstück in einem Café um die Ecke und dann ging es über den Highway zurück nach New York.

      Die Tröten und das Gebrüll der Zuschauer reißen Lenny nun aus seinen Gedanken. Miami hat gleichgezogen. Lenny möchte sofort aufs Spielfeld rennen, um seinem Team zu helfen. Sein Verstand hält ihn jedoch zurück. „Den Ärger vom Schiedsrichter kann ich wirklich nicht gebrauchen.“ Ziellos gleitet sein Blick über die Zuschauer. Dabei bleibt sein Blick an einem merkwürdigen Typen hängen. Er hat schulterlange, schwarze Haare, die er in einem Zopf nach hinten gekämmt, zusammen hält. Ein schwarzer Parka verdeckt umhangartig seine restliche Kleidung. Der Mann schaut in seine Richtung. Besser gesagt, er schaut ihn direkt an und das scheinbar schon gefühlte Minuten. Das erste mulmige Gefühl lässt sofort nach. Der Blick des Mannes hat nichts Beängstigendes. Ganz im Gegenteil, er strahlt innere Ruhe und Kraft aus. Lenny schaut in dessen Augen und ihn selbst durchströmt eine kraftvolle Energie. „Lenny … Lenny!“, beim zweiten Mal energischer, ruft sein Trainer. „Los Du wechselt mit Luc.“ Lenny springt auf. Luc läuft auf ihn zu und sie klatschen sich am Spielfeldrand ab. Lenny schließt sich seinem Team an, das gerade wieder den Ball zum Angriff nach vorn trägt. Lenny nimmt seine Position an der Dreierlinie ein. Ein kurzer Blick nach draußen sagt ihm, dass das Wetter sich beruhigt hat. Die Sonne beginnt bereits wieder, an einigen Stellen hinter den Wolken mit ihren Lichtstrahlen den Regen zu verdrängen. Der Anblick verschlägt ihm jedoch die Sprache. Ein riesiger doppelter Regenbogen nimmt fasst die gesamte Fensterfront ein. So etwas Einzigartiges hat er noch nie gesehen. „Lenny!“ ruft jemand hinter ihm. Er sieht aus den Augenwinkeln seitlich einen Schatten, den Ball, auf sich zurasen. Sein Kopf scheint von dem Schlag fast zu explodieren. Vor seinem inneren Auge vermischen sich tanzende Sterne mit einem farbigen Regenbogen. Ein regenbogenfarbener Vogel steigt in den Himmel empor. Dann wird alles schwarz.

      Der Mann mit dem Zopf murmelt leise vor sich hin. „Tut mir Leid Großer. Wir brauchen Dich.“

      In den Straßen von New York

      Lenny schreckt auf. Er liegt am Boden. Es ist dunkel um ihn herum. „Was ist los? Wo sind die Anderen?! Ist das Spiel schon vorbei? Hat er etwa das Ende verpasst?“ Er erinnert sich an die letzten Bilder, die er abgespeichert hat: der regenbogenfarbene Vogel, das Gesicht des Mannes mit dem Zopf und der Schlag, der seinen Kopf innerlich explodieren ließ. Wo sind seine Eltern, sein Trainer. „Die können mich doch hier nicht einfach so liegenlassen.“ Es ist bereits Nacht. Er liegt auf den breiten Stufen einer riesigen Treppe. Über ihm ragen stolze Säulen in den Himmel, deren Enden von zierlichen Blättern und Stängeln gekrönt sind. Korinthische Säulen sagt ihm sein Geist, der sich noch immer im Dämmerzustand befindet. Sein Blick wandert nach rechts, wo sich die Reihe der Säulen fortsetzt. „Bin ich im Himmel, im Olymp bei den Göttern“, geht es ihm durch den Kopf. Ihm fällt der Schriftzug oberhalb der Säulenkolonnade auf. Er versucht, diesen zu entziffern: “Weder Schnee, noch Regen, noch Hitze, noch die Dunkelheit der Nacht können die Kuriere von der Überbringung ihrer Nachrichten abhalten“ Das kommt Lenny bekannt vor. Sein Gehirn beginnt zu rattern, bis es eine gespeicherte Information findet, bei der es einrastet. „Ich bin gerettet. Ich bin in New York. Lenny kennt das Gebäude, an dessen Mauern er rücklings liegt. Jede Woche hatte er es mehrmals unbewusst passiert, wenn es zum Basketballtraining ging. Es ist das Central Post Office an der 34 Straße/ Ecke 8th Avenue gegenüber der Pennsylvania Station in New York. Dahinter liegt seine Basketball-Heimat, der Madison Square Garden.

      Unwillkürlich muss er an seinen Vater denken. Dieser hatte ihn einmal auf die prächtige Säulenkolonnade aufmerksam gemacht und gemeint, es wären korinthische Säulen. Sein Vater liebt Architektur und gemeinsam waren sie in New York, ihrem geliebten „Big Apple“ immer wieder, all die letzten Jahre auf Streifzüge gegangen. Sein Vater konnte ihm zu vielen der Gebäude, Wolkenkratzer, Museen, Kirchen, Synagogen Geschichten erzählen. Unter welchen Umständen, in welcher Zeit war das Gebäude errichtet worden. Wer hatte hier gelebt und geliebt. Welches Glück, welche Krisen hatten die Häuser und ihre Bewohner erlebt. New York war eine pulsierende, sich ständig anpassende, wachsende Stadt, eine Stadt mit Herz, mit Geist, mit ihrer grünen Lunge, dem Central Park, mit den eigenständigen Stadtteilen Brooklyn, der Bronx, Queens und Staten Island, die sich wie Gliedmaßen um Manhattan wanden. New York lebte mit und durch seine Menschen, die ständig auf den Beinen waren. Sein Vater hatte die gemeinsamen Streifzüge durch New York immer als „Schatzsuche“ bezeichnet. Als Lenny und Mati noch klein waren, drückte er ihnen eine „Seeräuber“-Karte in die Hand, die Bilder und Fotos von Gebäuden, Kirchen, Brunnen, Details, wie ein Wasserspeier, eine Verzierung, ein gotisches Kirchenfenster, eine interessante Eingangspforte oder eine Skulptur zeigten. Dann waren sie gemeinsam mit Lennys kleiner Schwester losgezogen, auf Schatzsuche. Sein Vater motivierte sie dazu, die auf der Karte abgebildeten Sehenswürdigkeiten zu entdecken, zu finden. Er wollte sie dazu anregen, auch auf die vielen kleinen versteckten schönen und einmaligen Details und Kleinigkeiten zu achten. Wenn sie als Team alles entdeckt hatten, versteckte der Vater eine Plastikdose mit Schokolade, Fußball- oder Starwars - Karten und der Schatz wurde gefunden und wenn möglich verspeist.

      Lenny dreht sich zur Seite, um die Straße besser ins Blickfeld zu bekommen. Diese ist wie ausgestorben. Kein einziger Mensch ist weit und breit zu sehen. Aber irgendetwas stimmt nicht mit seiner Wahrnehmung. New York schläft niemals! Und trotzdem sieht er keine Menschenseele auf der Straße. Parkende Autos aber weit und breit keine Passanten. Lenny setzt sich auf. „Es kann nur ein Alptraum sein. Was mache ich jetzt?“ Lenny ist noch völlig benommen. Vielleicht sind Menschen im Central Post Office. Es hat 7 Tage die Woche, 24 Stunden geöffnet. Einer der über 2000 Postbeamten, die hier arbeiten, wird ein offenes Ohr für ihn haben. Er steigt die breiten Stufen empor und ist wieder einmal vom Anblick der unendlich vielen korinthischen Säulen beeindruckt. Er hat das Gefühl, er würde den Olymp hinaufsteigen, um Zeus einen Besuch abzustatten. Die riesige Säulenkolonnade soll die längste der Welt sein. Mit seiner Klasse war er einmal hier bei einem Tagesausflug. In seiner Phantasie malt er sich aus, dass zwei riesige, antike Krieger, die Wächter des Gebäudes, aus den Pavillons mit den pyramidenartigen Dächern, die sich jeweils an beiden Seiten des Säulenforums befinden, ihm entgegen treten. Aber niemand hält Lenny auf. Oben angekommen, hat er die Wahl, durch welche der vielen Türen, je eine zwischen zwei der mächtigen Säulen, er eintreten soll. Abwechselnd sind die Pforten mit goldenen Rundbögen oder klassizistischen Giebeln geschmückt. Er drückt sich gegen die messing-farbene Drehtür, die ihn mit sich in die Postschalterhalle befördert. Die Halle ist 10 bis 15 Meter breit und erstreckt sich zwischen den sie links und rechts eingrenzenden Pavillons. Auch hier ist niemand zu sehen. Lenny schaut hinauf zu den über den Drehtüren gelagerten Fenstern, die nur spärliches Licht einfallen lassen. Sein Blick wandert zu der reich dekorierten Decke, die mit einem auffälligen sechszackigen Sternenmuster verziert ist. In der Mitte eines jeden Sterns prangt ein doppelköpfiger Adler und die Initialen R.F.

      Der Stil des Gebäudes ist prächtig und imposant, wirkt aber auf Lenny trotzdem etwas zusammengewürfelt. Er erinnert sich, dass sein Vater diesen Baustil als Beaux-Arts bezeichnete. Paris war Mitte des 19.Jahrhunderts der Ursprung dieses neuen Architekturstils. Bei den rationalen Deutschen und insbesondere in Preußen war er als Historismus verbreitet. Später zu Beginn des 20.Jahrhunderts hatte sich dieser Stil dann rasant auch in den Vereinigten Staaten verbreitet. Die jungen amerikanischen Architekten ließen sich in Ihrer Begeisterung von der italienischen Renaissance, der griechischen Antike leiten und nahmen auch Anregungen


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