NY Phönix. U. Kirsten
das Gebäude in den 20er Jahren, als seine Firmenzentrale und als Premierenkino für seine größten Filmproduktionen. Lenny hebt seinen Kopf. Er kann so die pyramidenartige Spitze des Art-Deco-Gebäudes erkennen. Diese Form sollte das Firmensymbol, den Berggipfel von Paramount symbolisieren. Hoch oben thronte noch immer der überdimensionale Globus. Das Gebäude wirkte wie ein Tempel. Und wirklich hatte es noch immer bei den New Yorkern den Spitznamen „Kathedrale des Kinos“. Welche Kirche konnte es schon damals mit 3600 Besuchern aufnehmen. Später sank sein Stern. Lenny bewundert den theatralischen, reich verzierten Baldachin, der den Eingang zum ehemaligen Kino überdacht. Darüber erhebt sich ein überdimensionales Rundbogenfenster im Art-Deco-Stil, das es mit der Anmutung eines Kathedralen-Fensters aufzunehmen vermag. In fetten Schriftlettern prangt hier der Schriftzug von Paramount.
Lenny war gern hier. Das Hard-Rock Cafe hatte eine einmalige Gitarren-Kollektion von den Beatles bis hin zu Kurt Cobain. Auch fanden hier immer noch kleinere Rockkonzerte statt, zu denen sein Vater Lenny immer einmal wieder mitnahm. Die „Wall of Guitars“ im Hard Rock Cafe hatte es Lenny besonders angetan. Hunderte von E-Gitarren-Klangkörpern bedeckten wie Fliesen die Wand eines ganzen Raumes. Der Effekt war einzigartig.
Lenny erinnert sich, dass er genau an dieser Stelle mit seinem Vater in einen Streit geraten war, welche Gitarre die bessere wäre. Lenny besaß eine Fender, während sein Vater auf die Gibson Les Paul schwor. Generationen von Gitarristen und Rockfans entzündeten ihre Leidenschaft an dieser rockphilosophischen Grundsatzfrage. Zu den Legenden der Fender-Dynastie gehörten einzigartige Gitarristen, wie Jimmy Hendrix, der als Linkshänder seine Fender rechtsseitig spielte und ihr dabei noch nie gehörte, kreischende, verzerrte Töne und Akkorde entlockte. David Gilmour von Pink Floyd experimentierte meist auf seiner schwarzen Fender Stratocaster. Mark Knopfler von den Direstraits war ebenso ein Fender-Jünger. Seine einzigartigen Soli von Sultans of Swing oder „Down to the waterline“ waren nur mit einer Fender ein Original. Jedes neue Album-Cover von den Direstraits verzierte eine andere Fender-Gitarre. Die Fender Stratocaster war eine Design-Ikone schlechthin. Sie konnte es sogar mit der weltweiten Bekanntheit der Coca-Cola Flasche aufnehmen. Keine elektrische Gitarre wurde so oft kopiert. Diese elektrische Gitarre stand für modernes Design, für Rebellion. Sie war der Inbegriff des Rock n’ Roll. Lennys Vater wiederum war Gibson - infiziert. Er war einer der späten Led Zeppelin Fans. Mitte der 60er geboren, erlebte er noch den Ausklang der Led Zeppelin Ära. Der Tod von John Bonham, der durch das Schlagzeugsolo „Mobby Dick“ in den Rock-Olymp aufgenommen wurde, warf Lennys Vater und seine Freunde völlig aus der Bahn. Es war ein tragischer Tod, an seinem eigenen Erbrochenen zu sterben und noch tragischer war es, dass der „bleierne“ Zeppelin sich von nun ab nicht mehr in die Lüfte erhob. Robert Plant und Jimmy Page, der „Hexer“ auf der Gibson Gitarre waren noch jahrelang solo unterwegs, aber sie konnten nie mehr die Himmelsleiter von „Stairway to heaven“ wirklich beschwören. Lenny musste unwillkürlich lächeln, als er sich an den exzentrischen Spruch des Gitarren-Titanen Jimi Hendrix erinnert: „Zu der Zeit, als ich meine Gitarre verbrannte, war das wie eine Opfergabe. Man opfert die Dinge, die man liebt. Ich liebe meine Gitarre.“ Ja Gitarren konnten eine wirkliche Leidenschaft entfachen.
Gedankenverloren war Lenny inzwischen weitere zwei Straßen den Broadway hinaufgerannt. Ein gleißendes gelbliches Strahlen lässt ihn erneut aufschrecken. Auf der gigantischen Reklametafel des Times Square Two - Eckgebäudes, vor dem er nun steht, blitzen zwei giftgelbe Raubtieraugen auf und starren ihn an. Lenny schreit auf und taumelt rückwärts. Er ist wie benommen. Erneut spürt er dieses nagende, ziehende Gefühl in seinem Kopf. Schraubzwingen pressen seinen Schädel zusammen. Der Schmerz ist unerträglich. Nur mit äußerster Willenskraft kann er Herr seiner Gedanken werden, die vor Panik Kapriolen schlagen. Er versucht sich zu konzentrieren und kann mit enormer Kraftanstrengung seinen Kopf und sein Blickfeld nach rechts wenden. Lenny schleppt sich mühsam in die Seitenstraße und lehnt sich schwer atmend an die Hauswand. Er fühlt sich wie ausgelaugt. Alle Energie ist aus seinem Körper gewichen. Sein Brustkorb hebt und senkt sich, wie wild. Sein Herz rast noch immer. Lenny versucht, sich zu orientieren. Einige Meter neben ihm ist an einer Fußgängerampel ein Straßenschild angebracht. Er ist in der 45. Straße gelandet. Aus den Augenwinkeln kann er auf dem Broadway das Marriott Marquis Hotel erkennen. Erneut wird er sich seiner misslichen Lage bewusst. Lenny gibt sich einen Ruck. Hilf dir selbst, sonst hilft dir gerade mal keiner. Hier kann er definitiv nicht bleiben. Zwar ist ihm der direkte Weg nach Hause, in Richtung Central Park abgeschnitten, aber er wird schon eine Lösung und einen Weg finden. Lenny spürt bei diesen Gedanken, dass neue Lebenskräfte seinen Körper und Geist beflügeln. So leicht würde er sich von diesen „Zitronen“ - Augen nicht einschüchtern lassen. Lenny stößt sich von der Hauswand ab. Ich werde versuchen, auf der Americas Avenue nach Norden zu gelangen. Lenny läuft einige Meter die 45. Straße nach Osten. Auf der linken Seite befindet sich das Lyceum Theater. Unter dem Vordach strahlen Dutzende von Laternen in allen Regenbogen-Farben. Lenny fühlt sich von dieser Farbenpracht magisch angezogen und wechselt die Straßenseite. Er erinnert sich, dass das Lyceum das älteste, noch existierende Theater am Broadway ist und es war das erste Theater, das um 1900 komplett mit elektrischem Licht versorgt wurde. Thomas Edison hatte bei der Elektrifizierung persönlich Hand angelegt. Das Theater hat drei schwere, eichene Holztüren. Über dem Baldachin tragen 6 griechische Säulen die geballte Pracht und den Prunk des aus weißem Kalkstein gebauten Beaux Art Gebäudes.
Lenny wirft einen Blick in die Vitrinen, in denen Plakate für kommende Veranstaltungen werben. Neugierig entziffert er die fetten Lettern einer Überschrift: „Premiere von Mozarts „Zauberflöte“ am 22.Juli 2020 in der Metropolitan Opera. Der ehrwürdige Kanzler Crow wird persönlich zur Veranstaltung erscheinen.“ Darunter prangt das Bild eines Mannes im schwarzen Umhang. Er hat die Kapuze seines Umhangs über den Kopf gezogen und sein Gesicht ist bis auf die große gebogene Nase und zwei eindringlich blickende, giftgelbe Raubtieraugen verdeckt. Es sind die Augen, die ihn bereits vorhin im Central Post Office mit ihrer boshaften Intensität fast um den Verstand gebracht hätten. Jetzt wusste Lenny, wer sein Verfolger war und wo er ihn seinerseits finden konnte. Es brachte nichts, ständig davonzurennen. Lenny hatte nicht vor, das Opfer zu spielen. Er war keine Marionette, egal was hier gespielt wurde. Er würde das Spiel erst lernen und wenn er es verstanden hatte, würde er die Spielregeln ändern. Dann fällt ihm die Absurdität auf. Lenny liest die letzten Zahlen ein zweites Mal: 2020!!! Erst jetzt wird ihm die Ungeheuerlichkeit bewusst. Das Spiel gegen die Jugendmannschaft der Miami Heat war heute am 21.Juli 2014. Er hatte sich dieses Datum Wochen vorher fest eingeprägt. Hier musste ein Druckfehler vorliegen oder es war definitiv ein Traum, besser ein riesiger Alptraum. Lenny hatte das Gefühl, er müsste gleich den Verstand verlieren. Genervt rüttelt er an der Eingangstür des Theaters. Die große Schwingtür öffnet sich quietschend. Er geht hinein. Vielleicht gibt es hier Menschen, die er nach dem Weg fragen kann. Durch ein mit lila Samt ausgelegtes Foyer kommt er in einen prachtvollen, feudal gestalteten Theatersaal. Die Bühne und die Emporen sind reich mit goldenen Stuckelementen verziert. Ein sattes Lila ist die dominierende Farbe der Stuhlreihen und Wände. Seine Augen gewöhnen sich nur langsam an das Halbdunkel. Er schaut zur Zuschauertribüne empor und ihm läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Seine Magengegend zieht sich krampfhaft zusammen. Von einer Loge aus starrt ihn ein gelb - glühendes Augenpaar an. Lenny bekommt eine Gänsehaut. Er zittert am ganzen Leib. Was ist das?! Er kennt dieses intensive Gefühl nicht. Nicht in dieser Intensität. Soviel Angst hatte er noch nie. Die gelben, blutunterlaufenen Augen fixieren ihn voller Kälte und Hass. Er hat das Gefühl, dass sie sich in sein Herz krallen. Plötzlich erscheinen im Dunkel weitere giftgelbe Augenpaare auf der Bühne und seitlich neben ihm. Er bekommt Panik, dreht sich um und möchte wegrennen. Als er zwei Schritte gelaufen ist, sieht er in Richtung der Eingangshalle zwei schwarze Gestalten, die seine schlimmsten Alpträume Wirklichkeit werden lassen. Lenny hat das Gefühl, dass er sich übergeben muss. Aber die Panik ist größer als seine Übelkeit. Die Horrorgestalten haben die Größe von ausgewachsenen Menschen, aber es sind im eigentlichen Sinne eher Spinnen: Vogelspinnen! Ihre katzenartigen Raubtieraugen sind giftgelb und blutunterlaufen. Ihre Haut ist mit Stacheln, wie die Beine einer Vogelspinne, übersäht. Auf ihrem Kopf wimmelt es von Schlangen, die sich gierig winden und zischend in seine Richtung strecken. Die Monster haben sechs Arme und acht spinnenartige Beine. Lenny hatte schon immer viel Phantasie, aber was er hier sah, übertraf all seine tiefsten, ekligsten