NY Phönix. U. Kirsten

NY Phönix - U. Kirsten


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In New York kann man sich einfach nicht verlaufen. Im Gegensatz zu den europäischen Großstädten, wie Paris, London oder Berlin, die über Jahrtausende wuchsen und bei denen sich oft ein Labyrinth von Straßen, ein Wirrwarr an Häusern planlos aneinanderreihte, waren die amerikanischen Städte nach einem klaren Schema gewachsen. Das „Schachbrettmuster“ der amerikanischen Städte entstand, als die Siedler vor nahezu 300 Jahren begannen, das Land zu besiedeln. Das neu erschlossene Land wurde vermessen und in Quadrate eingeteilt. Diese wiederum wurden in kleinere Einheiten aufgeteilt und den Neuankömmlingen zur Besiedelung angeboten. Jeder dieser quadratischen Blöcke maß zirka 100 Meter. Die Straßen und Gassen wurden zur natürlichen Begrenzung der Grundstücke. In New York waren es die Streets, die sich vom Atlantik und Downtown im Süden hoch in den Norden zum Central Park, Harlem und der Bronx erstreckten. Erstaunlicherweise begannen die 1st, 2nd, 3rd Street jedoch erst nördlich der Stadtteile Little Italy, der Lower East Side bzw. Soho. Bis dorthin hatten sich die ankommenden Europäer in ihrer bisherigen Gewohnheit eher „chaotisch“ angesiedelt. Die Streets werden von den großen Magistralen, den Avenues gekreuzt. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Broadway, der beginnend an der südlichen Spitze Manhattans sich auf einer Länge von 25 km quer durch die gesamte Halbinsel erstreckt. Die New Yorker haben den Broadway, den vormals hier lebenden, einheimischen Indianern zu verdanken. Ein Stamm der Delawaren hatte einen Pfad durch die Wildnis, entlang der Sümpfe und felsigen Erhebungen angelegt. Die später hier siedelnden Holländer befestigten ihn und bauten ihn zum breiten, „Breede Weg“, dem Broadway aus. Lenny war jetzt auf der 34. Straße / Ecke 7th Avenue. Wenn er sich, was er vorhatte, auf dieser nach Norden wendete, würde er auf der 42. Straße den Broadway kreuzen. Und genau an dieser Stelle, wo er auf den Times Square trifft, wird der Broadway zu dem, wofür er für Millionen von Menschen wirklich steht, dem Mittelpunkt der größten Bühne der Welt, dem Theater Distrikts, dem Traum von jungen Künstlern aus aller Welt, einmal in einem der über 40 Theater zu spielen.

      Lenny biegt nach links auf die 7th Avenue. Links von ihm an der Ecke erhebt sich der Nelson Tower, zur Zeit seiner Erbauung in den 30er Jahren eines der größten Gebäude New Yorks. Nun wirkt er gegenüber dem One Penn Plaza wie ein Wolkenkratzer-Zwerg. An der rechten Ecke befindet sich über dem Eingang zur Subway und einem „Footaction USA“ Outlet eine gigantische Reklame-Leinwand. Gestern war Lenny noch mit seinen Eltern hier aus der Subway gestiegen. Ihm war natürlich die überdimensionale Air-Jordan Basketball-Werbung mit Carmelo Anthony, von den New York Knicks, aufgefallen. Carmelo drehte ihnen auf dem Plakat den Rücken zu. Auf dem blauen Shirt der New York Knicks prangte eine orangene Sieben. Er trug sein orangenes Stirnband und über ihm stand in fetten Lettern der Spruch: „Der Stadt, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin und mir das Spiel gegeben hat. Thanks Carmelo“ Ja, New York hatte ein Basketball-Herz. In jedem Bezirk gab es an allen Ecken und Enden einen Basketball – Court. Besondere Berühmtheit erlangte der „Rucker Park“ in Harlem. Viele NBA-Stars, wie Kobe Bryant, von den Los Angeles Lakers, oder Kevin Durant, jetzt bei den Houston Rockets, haben in ihren Anfängen Streetball auf diesem Platz gespielt. Wenn in einem Hollywood-Streifen oder Musikvideo ein New Yorker Basketball-Court als Kulisse auftaucht, ist es oft der Rucker-Park. Holocombe L. Rucker war ein New Yorker Lehrer, der Basketball als soziales und erzieherisches Instrument einsetzte. Er schaffte es, über 700 Kindern aufgrund ihres Basketball-Talents ein College-Stipendium für ein Studium zu organisieren. Lenny musste dabei an den genialen Basketball Film „Coach Carter“ denken. Ein Muss für jeden, der verstehen möchte, welche Anziehungskraft Basketball auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene hat und wie die Leidenschaft zu dieser Sportart, die Einstellung zum Leben positiv verändern kann. Beim Basketball tobten sich die Kids in jeder freien Minute auf dem Platz aus. Sie lebten ihren Traum, so wie auch Lenny, der fest daran glaubte, einmal in der NBA ein Basketball-Star zu werden. Lennys Vater hatte von Zeit zu Zeit dienstlich in Europa zu tun. Oft kamen auch europäische Arbeitskollegen nach New York und sein Vater ging mit Ihnen zu Spielen der New York Knicks. Die Deutschen, Franzosen, Italiener, Spanier kannten eigentlich nur ihren Fußball und Hunderttausende rannten am Wochenende mit Fanschals in die lokalen Stadien. Basketball war in Europa nur eine Randerscheinung. Umso mehr waren sie fasziniert, wenn sie im riesigen, ausverkauften Madison Square Garden, der selbst ernannten „berühmtesten Arena der Welt“ (vielleicht nach dem Kolosseums in Rom) sich von der Leidenschaft der fast 20.000 New Yorker Basketball Fans und von der Schnelligkeit und Akrobatik dieses Spiels anstecken ließen. Basketball war einzigartig. Und Basketball war eine junge und wahrlich amerikanische Sportart. Der kanadische Trainer James Naismith hatte sie erst 1891 für die Halle in der Wintersaison erfunden. Er ließ den Hausmeister seines Colleges in Springfield, Massachusetts zwei Pfirsichkörbe auf der zufällig gewählten Höhe von 3,05 Metern anbringen. Basketball konnte sich in kürzester Zeit an den Colleges und Universitäten durchsetzen und es entstand bereits 1906 daraus die NCAA, die National Collegiate Athletic Association. Erst 1949 wurde dann die zweite große, professionell ausgerichtete NBA, National Basketball Association gegründet, in der 30 Mannschaften in einer Eastern- und einer Western Conference gegeneinander spielen. In der Vorrunde, der Regular Season, bestreitet jede Mannschaft 82 Spiele, größtenteils in der eigenen Conference. So spielen an der Ostküste die New York Knicks regelmäßig gegen die Boston Celtics, die Miami Heat oder die Chicago Bulls. Die besten 8 Mannschaften jeder Conference ermitteln dann in den Playoffs gegeneinander im k.o.-System den jeweiligen Finalisten der Ost- und Westküste, die wiederum im Finale (Best of Seven) gegeneinander spielen.

      Dieses Jahr sah es für die New York Knicks richtig gut aus. Sie waren neben Miami, Oklahoma einer der Favoriten für den Meistertitel. Und sie würden es dem amtierenden Meister Miami Heat richtig zeigen.

      Lenny legt wieder an Tempo zu. Er konzentriert sich auf die Straßen, die er auf dem Weg nach Norden überquert: 35th, 36th, 37th … Ab der 41st Street hat er das Gefühl, dass die 7th Avenue an Farbe und Intensität zulegt. Über jedem Geschäft sind überdimensionale Plakatwände angebracht, die für Fahrzeuge, Kameras, Mobiltelefone und andere so überlebenswichtige Konsumgüter werben. Und dann ist er bereits an der 42nd Street, der Straße, nach der das gleichnamige Musical benannt wurde. Vor ihm liegt der Times Square, der sich von hier bis zur 47th Street erstreckt. Namensgeber war das Gebäude Times Square No.1 gleich rechts von ihm an der Ecke. Anfang des letzten Jahrhunderts als Verlagsgebäude der New York Times erbaut, ist es nun mit seinen 25 Stockwerken nur ein Zwerg. Der einzige verbliebene Mieter ist im Gebäude eine Apothekenkette. Lenny hatte gelesen, dass es sich nicht mehr lohnte, die Klimaanlage des Gebäudes auf den neuesten technischen Stand zu bringen. Das ganze Gebäude war stattdessen von riesigen Leuchtreklametafeln nahezu vollständig in einen Werbe-Kokon gesponnen. Lenny fällt das in roten Lettern, Worte spuckende Nachrichten-Laufband auf. Normalerweise wurden hier von der Börsen-Agentur Dow Jones die neuesten Nachrichten publiziert. Lenny buchstabiert die einzelnen, fetten Buchstaben, die der Ticker nacheinander ausspuckt: „Die Ausgangsperre ist konsequent von 22 bis 5 Uhr morgens einzuhalten. Zuwiderhandlungen werden mit Lagerhaft geahndet … “ Ausgangssperre!!! Lenny bleibt verdutzt stehen und plötzlich sickert ein Gedanke in sein Bewusstsein. Seit er auf den Stufen vor dem Central Post Office aufgewacht ist, hat er keine Menschenseele gesehen. Abgesehen von dem unnatürlichen Wesen mit den giftgelben Augen, das versucht hat, ihn in seinen Bann zu ziehen, hat er keinen Menschen getroffen. Seit wann gibt es eine nächtliche Ausgangssperre in New York. Was ist passiert, seitdem er im Madison Square Garden beim Spiel sein Bewusstsein verloren hat? Panik steigt in ihm auf. Die ganze Geschichte ergibt für ihn keinen Sinn. Es kann nur ein Alptraum sein. Er möchte laut aufschreien, aber da ist die Angst, dass in dieser Nacht jemand unterwegs ist, der es auf ihn abgesehen hat. Überall auf seinem Weg tauchen diese giftgelben Augen auf. Erst im Central Post Office, dann auf den Fahnen vor dem One Penn Plaza, später auf der Turmspitze des Empire State Building. „Ich muss hier einfach nur weg. Am besten, ich suche erst einmal einen Unterschlupf, bevor ich mich am kommenden Morgen nach Hause zum Central Park West durchschlage“ geht es ihm durch den Kopf. Lenny hält sich jetzt dicht im Schatten der Häuser. Er hastet weiter nach Norden. Die 7th Avenue hat sich inzwischen mit dem Broadway vereint.

      An der Ecke 43rd Street nimmt er auf der linken Seite die überdimensionale Gibson Gitarre wahr, die über dem Eingang des Hard Rock Cafés in gleißenden Farben erstrahlt. Lenny ist mit seinen Eltern oft hier. Früher war hier im Paramount


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