Die Pferdelords 05 - Die Korsaren von Umbriel. Michael Schenk
Kormund erhob sich und trat neben seinen kleinwüchsigen Freund. »Du
musst das Banner aufnehmen, Nedeam. Erst den Wimpel eines Beritts und
dann das Banner der Hochmark.«
»Garodems Sohn Garwin ist noch nicht so weit«, drang Dorkemunts
Stimme an Nedeams Ohr. »Eines Tages wird er Pferdefürst der Hochmark
sein, aber er ist nicht der Mann, um die Pferdelords in die Schlacht zu führen.
Noch nicht.«
Nedeam nahm die Kritik kaum wahr, die in diesen Worten mitschwang.
Was seine älteren Freunde da sagten, überwältigte und verwirrte ihn. Das
Angebot, das man ihm machte, bedeutete eine riesige Chance für einen
Kämpfer, aber auch eine gewaltige Verantwortung. Nedeam scheute sich vor
keinem Kampf, aber es war ein gewaltiger Unterschied, in der Schlacht nur
für sich selbst und den Nebenmann Verantwortung zu tragen oder als
Kommandeur über den Ausgang des Kampfes zu entscheiden.
»Ich … ich weiß nicht, ob ich es kann«, murmelte er betroffen und
verstummte dann vollends.
Kormund beugte sich vor und legte Nedeam die Hand auf die Schulter. »Es
ist deine Entscheidung, Nedeam, mein Freund. Niemand wird dich zwingen.
Niemand wird dich verurteilen, wenn du die Verantwortung nicht
übernehmen willst. Aber alle werden es begrüßen, wenn du das Angebot
Garodems annimmst. Und es würde uns mit Stolz erfüllen, dir in den Kampf
zu folgen.«
»Selbst unser nörglerischer Freund Mortwin ist dafür«, fügte Dorkemunt
hinzu, und die Worte nahmen Nedeam etwas von seiner Beklemmung.
Dann straffte sich Kormund. »Was es zu sagen gab, ist nun gesagt. Ich
werde zurück nach Eternas reiten. Du, Nedeam, wirst morgen folgen und dem
Hohen Lord Garodem deine Entscheidung mitteilen.« Der alte Scharführer
schloss Hemd und Wams und lächelte die beiden anderen Pferdelords an.
»Und wie immer deine Entscheidung ausfallen mag, Nedeam, ich weiß, sie
wird ehrbar sein.«
Kormund nickte ihnen nochmals zu und verließ dann das Haus.
Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sah Nedeam seinen Freund
Dorkemunt hilflos an. »Was soll ich tun, Dorkemunt? Wie soll ich mich
entscheiden?«
Sein alter Freund zuckte die Schultern. »Ich vermag in der Schlacht an
deiner Seite zu stehen, Nedeam, mein Sohn. Doch diese Entscheidung kann
dir niemand abnehmen.«
Kapitel 3
Die »Aivaar« stampfte in der schweren See. Der Rumpf des
Dampfkanonenschiffes hob und senkte sich ungleichmäßig und rollte dabei
von der einen zur anderen Seite, sodass die unvorhersagbaren Bewegungen
selbst den erfahrensten Seeleuten zu schaffen machten. Nur eine Handvoll
Männer von der ursprünglichen Besatzung war noch an Bord. Die
entkleideten Leichen der anderen hatte man kurzerhand über Bord geworfen,
und nun zeugten nur noch die getrockneten Blutflecke auf den Planken des
unteren Decks von den Männern, die das Schiff einst mit Leben erfüllt hatten.
Auf dem Oberdeck und der Brücke verriet nur wenig, welch heftiger Kampf
zuvor auf der »Aivaar« getobt hatte.
Das Oberdeck war vorbildlich aufgeräumt, und die Hände, welche die
Leinen der Segel führten und das Steuer des Schiffes bedienten, waren kundig
und verrieten die Erfahrung der Mannschaft. Einige Seesoldaten in den
Uniformen und Rüstungen des Königreiches Alnoa versuchten, die
Bewegungen des Schiffes mit den Beinen auszugleichen, was nicht immer
gelang und gelegentlich Spott bei den anderen Männern hervorrief.
Nur wer die Ausrüstung der Männer näher betrachtete, erkannte die
frischen Schrammen und Beulen in so manchem der Harnische und die hastig
und nur grob vernähten Risse in der Kleidung.
»Dieses ganze metallene Zeug engt mich ein«, brummte einer der Männer
missmutig. »Es behindert mich in meinen Bewegungen und macht Lärm.«
»Du brauchst es nicht lange zu tragen«, erwiderte ein anderer mit den
Abzeichen eines Offiziers der alnoischen Seesoldaten. »Nur so lange, bis wir
die Wachen von Gendaneris überrumpelt haben.«
Das Dampfkanonenschiff hob sich in der schweren See, sein Bug kam frei
und klatschte dann mit brutaler Wucht ins Wasser zurück. Gischt sprühte über
das Vorschiff, bis über den sorgsam mit Leinen festgebundenen Kanonenturm
hinweg, und das Knarren des hölzernen Rumpfes mischte sich mit dem
Ächzen der metallenen Verstärkungen.
»Dieses alnoische Schiff fährt sich wie ein Stein«, brüllte einer der
Steuerleute dem Kapitän zu.
»Hauptsache, es sinkt nicht wie ein solcher.« Der Kommandant der
Korsarenbesatzung lachte und wischte sich Spritzwasser aus Gesicht und
Haaren. Er konnte sich mit dem ungewohnten Helm eines alnoischen
Kapitäns nicht anfreunden und ließ ihn lose am Kinnriemen vom Arm
baumeln. Er würde ihn erst aufsetzen, wenn es wirklich erforderlich wurde
und sie sich der Hafenfestung Gendaneris auf Sichtweite näherten.
Der Korsar am Steuer rief ihm eine unverständliche Antwort zu, die vom
Tosen des Sturms verschluckt wurde. Das Unwetter war mit unerwarteter
Schnelligkeit und Stärke über die Schiffe des Verbandes hergefallen, und
selbst die seeerfahrenen Korsaren hatten Mühe, ihn mit ihren Schiffen
abzureiten. Die Segler hatten die meisten Segel gerefft und fuhren nur noch
mit den kleinen Sturmsegeln, welche die Schiffe steuerbar hielten. Die beiden
erbeuteten Dampfkanonenboote hingegen fuhren nur mit der Kraft ihrer
Brennsteinantriebe.
Die Korsaren verstanden sich darauf, ihre Schwarmschiffe über das Meer
zu führen, aber die mächtigen Brennsteinmaschinen im Rumpf der
Dampfkanonenboote