Die Pferdelords 05 - Die Korsaren von Umbriel. Michael Schenk
gebracht hatten, kamen die breite Holztreppe, die in den Bauch des
Schiffes führte, wieder herunter und würdigten die Korsaren keines Blickes.
»Sie haben Niederträchtiges vor, diese Bestien der See«, raunte einer von
ihnen Nunnes zu. »Die Männer an Deck tragen die Rüstungen unserer
erschlagenen Soldaten.«
Nunnes vergewisserte sich, dass die Korsaren mit sich selbst beschäftigt
waren, und nickte dann. »Ja, sie lieben unser Schiff nicht. Für sie ist es keine
wertvolle Beute, und es gibt nur einen Grund, warum sie noch an Bord sind.
Sie wollen es benutzen, um unsere Truppen zu täuschen. Deshalb tragen sie
auch unsere Kleidung.«
»Meinst du, sie wollen noch ein Schiff nehmen?«
Nunnes schüttelte den Kopf. »Nein, Schiffe haben sie genug, und sie
mögen die unseren nicht besonders. Sie wollen größere Beute machen.«
»Bei den Finsteren Abgründen.« Einer der Brennsteinmänner sah Nunnes
betroffen an. »Du meinst, sie wollen … sie wollen eine Stadt überfallen?«
»Nicht irgendeine Stadt.« Nunnes spuckte wütend aus, und sein Speichel
verkochte zischend an der heißen Kesselwand. »Ich wette, sie wollen
Gendaneris nehmen.«
»Das wird ihnen nicht gelingen«, ächzte einer der anderen.
Erneut spuckte Nunnes aus. »Warum sollte es nicht gelingen? Sie kommen
mit unseren Schiffen und unseren Rüstungen. Keine der Wachen wird eine
Gefahr wittern, bis es zu spät ist.«
»Sie sind zu wenige«, raunte ein Mann überzeugt. »Man wird sie
erschlagen und uns befreien.«
»Du Narr.« Nunnes warf einen vorsichtigen Blick zu den Korsaren, die
sich zu einer Gruppe zusammengefunden hatten und miteinander sprachen.
»Der ›Aivaar‹ und der ›Shanvaar‹ folgen noch andere Schiffe. Mit sehr viel
mehr von diesen Schlächtern an Bord.«
Einer der Matrosen erblasste. »All die Frauen und Kinder … Wenn die
Bestien Stadt und Festung nehmen, liegt der Westen des Reiches offen vor
ihnen.«
»Die Truppen des Königs werden sie vertreiben.«
»Ja, doch bis sie sich gesammelt haben und gegen sie vorrücken können,
werden die Bestien viel Elend über unser Volk gebracht haben.«
»Wir müssen etwas unternehmen. Wir müssen sie daran hindern.«
»Schön, und wie soll das gehen?« Nunnes sah die anderen an. »Wir sind zu
wenige, um die ›Aivaar‹ wieder in unsere Gewalt zu bekommen …«
Der Anführer der Wachen wurde auf sie aufmerksam und sah sie drohend
an. »Füttert den Kessel, ihr Landmänner, oder wir füttern die Dornfische mit
euren unnützen Leibern!«
Die fünf Männer, mehr waren von der alnoischen Besatzung nicht mehr
übrig, zuckten zusammen und begannen hastig wieder Brennstein in das
Kesselfeuer zu schaufeln. Auf Nunnes’ Gesicht mischten sich Blut und
Schweiß, denn die drückende Schwüle im Kesselraum ließ das Blut nicht
richtig gerinnen. Wieder einmal ertönte der Pfiff des Überdruckventils, und
der Hebel schob sich nach oben, um dem übergroßen Dampfdruck
nachzugeben. Automatisch langte Nunnes über sich und zog den Hebel nach
unten, damit nicht zu viel des kostbaren Drucks nutzlos entwich.
»Hört mit diesem furchtbaren Lärm auf«, brüllte der Wachführer der
Korsaren.
Der Brennsteinmann neben Nunnes fuhr wütend herum. »Manchmal muss
es pfeifen! Das …«
Der Matrose ächzte, als Nunnes ihm in die Rippen stieß. Dann wandte sich
dieser dem Korsaren zu und hielt dabei demonstrativ den Hebel nach unten
gezogen. »Wie Ihr befiehlt, Schwarmmann. Habt keine Sorge, es wird nicht
mehr pfeifen.«
»Das will ich euch Landmännern auch geraten haben«, grunzte der Korsar.
Der andere Matrose sah Nunnes betroffen an. »Bist du wahnsinnig? Es
pfeift immer, wenn der Überdruck zu groß wird und der Ventilhebel nach
oben geht. Sonst platzt uns …«
Der Mann verstummte, und Nunnes nickte bedächtig. »Ja, sonst platzt uns
der Kessel.«
Einer der anderen Alnoer sah Nunnes leichenblass an. »Es wird die
›Aivaar‹ zerreißen …«
»Und mit ihr die verfluchte Korsarenbrut«, zischte Nunnes wütend. »Sie
werden uns ohnehin töten, wenn sie ihr Ziel erreicht haben. So nehmen wir
wenigstens einen Teil der Bestien mit uns.«
Die Männer waren keine Helden. Ihre Gesichter waren blass, die Augen
weit aufgerissen, und die Lippen und Hände zitterten. Vielleicht hätten sie
Nunnes behindert, wenn sie eine Chance gesehen hätten, von den Korsaren
verschont zu werden. Aber Nunnes hatte in allem recht, und so sprang ein
zweiter Mann hinzu, als der Druck immer größer wurde und er den
Ventilhebel nach oben zu drücken begann.
Schwarmführer Elek-Mar T’os und sein Stellvertreter Segu-Mar T’os
standen nebeneinander auf der Brücke der eroberten »Shanvaar«, als der
Kessel der »Aivaar« explodierte.
Obwohl der Sturm noch immer tobte, war der mächtige Schlag zu hören,
mit dem der Brennsteinkessel dem Überdruck nachgab und
auseinanderplatzte. Dampf und Feuer hüllten Nunnes und die anderen Männer
im Kesselraum ein, doch sie spürten nichts mehr von den metallenen
Fragmenten des Kessels, die durch den Rumpf des Schiffes rasten und Leiber
und Holz gleichermaßen zerschlugen. Bordwand und Oberdeck schienen sich
nach außen zu wölben und für einen kurzen Augenblick so zu verharren,
bevor das alnoische Dampfkanonenboot in eine Wolke aus Gischt und Dampf
gehüllt wurde.
Die Korsaren auf der