Nordroute. Lutz Geißler

Nordroute - Lutz Geißler


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draußen, müssen wir die kleine Nebengasse gar nicht verlassen, um uns neuen Gelüsten zuzuwenden: Hier ist eine kleine Teeküche, in der es den obligatorischen Milchtee „Chiya" gibt. Meine Begleiter nippen an den kleinen Gläsern und genießen - ich kann mich auch in den nächsten vier Wochen nicht wirklich daran gewöhnen ....

      „Yakman" ist übrigens in Nepal, Tibet und allen asiatischen Ländern, die Claude schon bereist hat, bekannt wie ein „bunter Hund": Er nennt nämlich sein Mountainbike „Yak": Stabil und genügsam, langsam und dafür große Anstrengungen gewohnt, für manche Menschen sogar lebenswichtig!

      Wir müssen noch einkaufen! Hier in Thamel, wo es an jeder Ecke einen kleinen Laden für Trekker-und Bergsteigerbedarf gibt, decken wir uns noch mit notwendigen Dingen für unsere große Reise ein: Warme Daunenjacken für das abendliche Zusammensitzen im Zelt, gefütterte Outdoor-Multifunktionshosen, Thermo-Radjacken, Faserpelz-Innenschlafsäcke und tibetische Wollmützen. Die Preisunterschiede sind abenteuerlich: Kostet eine typisch tibetische gefütterte Wollmütze in einem Laden 100 Rupien (= 1,24 Euro), so ist dieselbe Mütze in einem anderen Laden erst für 500 Rupien zu haben. Wir müssen also zuerst genau wissen, was wir brauchen, dann die entsprechenden Läden dafür finden und deren Preise vergleichen, dann gezielt einkaufen. Feilschen lohnt sich in jedem Fall.

      Wobei das Feilschen auch komplett danebengehen kann: In einem Laden für Bücher, Kalender und Reiseführer stoße ich auf einen gebrauchten deutschen Nepal-Reiseführer für ursprünglich 15,90 Euro. Ich frage die Dame an der Kasse, was er denn kosten soll, und sie antwortet „2.000 rupies" - das ist mehr als der empfohlene Verkaufspreis. Ich wundere mich und schlage ihr die Hälfte vor, was für ein gebrauchtes Buch immer noch ein stolzer Preis ist. Daraufhin wird sie unwillig und schickt mich aus dem Laden: „You should go now!"

      Ich weiß nicht, ob ich mich mehr über meine eigene Unfähigkeit zum Feilschen oder über die Sturheit der Frau ärgern soll. Jedenfalls drehe ich eine kleine Runde am Platz, betrete den Laden abermals und kaufe den Reiseführer für 1.500 Rupien. Ich ärgere mich, dass ich ihn nicht schon in Deutschland gekauft habe.

      Um 18 Uhr sind wir alle wieder im Hotel und erwarten in der Lobby eine weitere Einweisung durch Gurung, der wohl so eine Art „Chef" des nepalesischen Partners von BAT zu sein scheint. Er begrüßt „Yakman" wie einen alten Freund und heißt uns alle herzlich Willkommen. Er selbst würde uns nicht begleiten, wohl aber würde sein Sohn Tenzing der Guide auf dem MTB sein. Tenzing. Was für ein Name in Nepal! Tenzing Norgay und Edmund Hillary, die Erstbesteiger des Mt. Everest im Jahre 1953. Die beiden, nach denen z.B. der kleine Flughafen Lukla in der Nähe des südlichen Basislagers umbenannt wurde. Laut Gurung gäbe es nicht nur - wie schon mittags berichtet - Probleme wegen des Erdrutsches im Sunkoshi-Tal, sondern auch auf dem Pang La (La = Pass) kurz vor dem Mt. Everest-Basislager Nord, der gerade asphaltiert würde und daher gesperrt wäre. Daher müsse man hin und zurück zum Basislager dieselbe Route über den Nam La nehmen.

      Sechs Transporter für sieben Mountainbiker

      Überhaupt wird mir jetzt erst bewusst, welch ungeheure logistische Leistung unsere Himalaya-Überquerung des Jahres 2014 darstellt: Ein erster Transporter bringt Ausrüstung und Gepäck bis zum Erdrutsch im Sunkoshi-Tal. Trägerinnen und Träger bringen das Ganze zu Fuß etwa 3 km weiter zu einem zweiten Transporter jenseits des Erdrutsches. Der fährt dann weiter auf dem gefährlichen „Ar(a)niko Highway" bis zur „Friendship Bridge", der Grenze zwischen Nepal und Tibet. Da diese nur zu Fuß überquert werden darf, muss erneut ausgeladen werden, und Trägerinnen und Träger bringen die Last zu einem tibetischen LKW, der im Dauerstau jenseits der Grenze wartet. Der LKW fährt auf dem Friendship Highway weiter nach Lhasa. Zurück dasselbe noch einmal - macht 6 verschiedene Transporter bzw. LKWs.

      Abends gehen wir sechs ins „Ying Yang" in der Chha zum Essen - dort gibt's köstliche Speisen (ich esse Prawns mit Knoblauchsoße). Wir sitzen bei Schummerlicht (der Strom fällt trotzdem alle paar Minuten aus) auf sauberen Teppichen auf dem Boden, diskutieren und genießen. Wir entschließen uns für eine gemeinsame Kasse und zahlen erstmal pro Nase 100 Euro ein. Claude bezahlt erstmals aus dieser Kasse.

      Jakob

      Jakob ist mein langjähriger Bike-Begleiter und normalerweise für alle „Bike-Schandtaten" bereit. Mit ihm habe ich bereits den Mont Blanc und das Matterhorn (die Theodulhütte ist auf 3.317 m Höhe und hatte ihm nichts ausgemacht) umrundet, mit ihm bin ich den Meije hinuntergedüst und mit ihm habe ich schon mehrere

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      Lutz (links) und Jakob haben das Matterhorn fast umrundet. Hier die Abfahrt von der Theodulhütte

      Trans Alps unternommen. Jakob legt extremen Wert auf seine Figur (bei ca. 1,75 m Größe wiegt er nur 65 kg) und ist deswegen (aber nicht nur deswegen) ein begnadeter Bergfahrer. Er ist eigentlich Ex-Bauer und hat damit einen eigenen Wald (er nennt ihn seinen eigenen!), in dem er mit Säge und Hammer, mit Holzbohlen und Nägeln, mit Astschere und Laubbesen eigene knifflige Trails anlegt. So knifflig und eng, dass man als Gelegenheits-Biker auf dieser Strecke schon höllisch aufpassen muss, wenn man nicht die Lenkerhörnchen zwischen zwei Bäumen einhängen oder auf dem oft rutschig-lehmigen Untergrund abschmieren will.

      Und Jakob sollte mich nach Tibet begleiten. Ihm sei schon einmal richtig schlecht während einer Bergtour auf knapp 4.000 m Höhe geworden, wehrte er ab, und ließ sich auch bis zum Schluss nicht umstimmen. Er begleitete mich zwar zum Infotag nach Zürich, aber das war's (in dieser Hinsicht) auch schon.

      Ich allerdings bekam dadurch einen Riesenrespekt vor der Höhe, informierte mich in diversen Foren, las diesbezügliche Abhandlungen in Büchern und probierte die Höhe selbst aus: Während eines einwöchigen Skiurlaubs in Les Houches bei Chamonix im März 2014 reservierte ich einen Tag für die legendäre Skitour durch's Vallée Blanche. Man fährt mit der Seilbahn von Chamonix auf den Aiguille de Midi (3.842 m) und von dort zurück durch's Vallée Blanche, das Mer du Glace und Montenvers zurück nach Chamonix. Mit über 22 km Länge die längste Skiabfahrt der Welt. Oben auf dem Aiguille du Midi probierte ich meine Leistungsfähigkeit aus: Von der Terrasse beim Ausstieg stieg ich auf der Außentreppe zwei Stockwerke hoch ins Restaurant: Ich war zwar außer Atem, musste alle 5 Stufen verschnaufen und spürte die Höhe, weiter war aber nichts.

      Übrigens, Jakob ist Jahrgang 1942.

      Kathmandu, 2. Tag

      Obwohl wir trotz einer im Flugzeug durchwachten Nacht erst um 23 Uhr zu Bett gegangen sind, fühle ich mich am Morgen erfrischt und bin total neugierig auf Neues. Wir frühstücken in einer mit Pflanzen und Tonkrügen reichhaltig ausgestatten und geschmackvoll möblierten Loggia und genießen die angenehme Wärme des Morgens. Später holt uns ein gut deutsch sprechender Guide namens Santos per Minibus vor dem Hotel ab und beginnt eine Besichtigungstour durch Kathmandu. Das erste Ziel ist der (es heißt wirklich „der" und nicht „die") ...

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      Stupa (7) von Swayambhunath, der weiß glänzend auf einem von unzähligen freilaufenden und hier hoch geschätzten Affen bevölkerten Hügel steht. Oben in dem buddhistischen Tempelkomplex angekommen, erkennen wir rechts und links des Stupas jeweils einen hinduistischen Turm - ein gutes Beispiel für die Verzahnung von Buddhismus und Hinduismus in Kathmandu und Zentral-Nepal. Natürlich dürfen Läden mit billigen Souvenirs hier oben nicht fehlen - es werden aber auch kunstvoll geschnitzte Marionetten und Holzmasken hinduistischer Götter (wie Brahma, der ersten Gott; Shiva, der Zerstörer und Erneuerer; Durga, die 10-armige „schwer Zugängliche", Gütige und Strafende; Ganesh, der Elefantengott u.a.) oder CDs des allgegenwärtigen Mantras „om mani padme hum" (8) in immer der-selben Instrumentalfassung feilgeboten.

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      Schade,


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