Die Pferdelords 06 - Die Paladine der toten Stadt. Michael Schenk
hängt. Es interessiert mich brennend, welche neuen
Entdeckungen unsere menschlichen Freunde gemacht und auf ihr verzeichnet
haben.«
Garodem zeigte ein unverändert freundliches Gesicht, während sich
Tasmund verschluckte und dann beschämt errötete. Es war eine Karte der
Elfen, ein Geschenk an Garodem und die Hochmark, und es gab nichts, was
Menschen daran hätten verbessern können. Auf dieser Karte waren viele
Dinge eingezeichnet, die nie zuvor ein Mensch erblickt hatte. Zumindest kein
Mensch des Pferdevolkes. Ganz offensichtlich war es Jalan, der die Karte zu
ergänzen dachte. Aber warum diese Vorsicht? Hier war niemand im Raum,
der ein Geheimnis nach außen tragen würde.
Nedeam sah unterdessen die schöne Elfin Llarana forschend an. Er tat es
unter halb gesenkten Lidern, denn ihr Anblick machte ihn verlegen. Ihm fiel
auf, wie oft sie Blicke mit dem guten Grauen Marnalf wechselte.
Nedeam war ein schlanker Mann, durchtrainiert, aber nicht unbedingt
muskulös. Er hatte ein offenes und freundliches Gesicht, in dem seine großen
braunen Augen dominierten. Inzwischen hatte er sich einen sauber gestutzten
Bart wachsen lassen, da er dies praktischer fand, als sich jeden Morgen zu
rasieren. Das schulterlange Haar war mit einem schwarzen Band im Nacken
zusammengebunden, und er trug die uniform wirkende Kleidung der
Schwertmänner. Doch führte er statt des breiten Schwertes mit dem
Handschutz in Form des Pferdelordsymbols eine leicht gekrümmte elfische
Klinge.
Vor nicht allzu langer Zeit hatte die junge Frau Nedeam gepflegt und ihm
beigestanden, als ihn ein bösartiger Zauberer mit Hilfe seiner geheimnisvollen
Kräfte verhört hatte. Dabei war zwischen der Elfin und ihm eine Beziehung
entstanden, zumindest hoffte Nedeam das. Er hatte versucht, Llarana die
Gefühle, die er für sie hegte, zu erklären, aber sie war vor seiner Liebe
zurückgeschreckt. Sie konnte und wollte sich nicht mit einem Sterblichen
verbinden, denn es wäre ihr unerträglich, nach einer kurzen Phase
gemeinsamen Glücks zusehen zu müssen, wie der Körper des Geliebten
langsam verfiel. Das zumindest hatte sie Dorkemunt gegenüber behauptet.
Doch der enttäuschte Nedeam hoffte noch immer, seine unglückliche Liebe
zu dem elfischen Wesen werde Erfüllung finden.
»Gehen wir in meinen Amtsraum, meine Freunde«, sagte Garodem und
wies einladend zur Treppe, die ins Obergeschoss hinaufführte.
»Ich habe eine Bitte, Garodem, mein Freund«, sagte Jalan leise und legte
die Hand an den Arm des Pferdefürsten. »Eigentlich ist es eher eine Bitte von
unserem Freund Marnalf, dem guten Grauen Wesen. Er möchte mit Eurem
Ersten Schwertmann sprechen. Unter vier Augen, Ihr versteht?«
»Mit Nedeam?« Garodem sah forschend zu Marnalf und wirkte ratlos.
»Jetzt?« Er zögerte. »Wenn Ihr dringende Angelegenheiten mit uns
besprechen wollt, erscheint es mir doch sinnvoller, dass mein Erster
Schwertmann dabei ist.«
»Ich muss Euch dennoch bitten.« Jalans Blick wurde eindringlich. »Es ist
durchaus von Bedeutung, Pferdefürst Garodem.«
»Das muss es wohl sein.« Garodem sah Jalan nachdenklich an. Der Elf
setzte sich einfach über den Wunsch seines Gastgebers hinweg; eine
Unhöflichkeit, die zeigte, wie wichtig es dem Ältesten war, dass Marnalf mit
Nedeam sprach. Und dass Nedeam nicht an ihrem eigenen Gespräch
teilnahm. »Schön, dann werden wir es so machen, Hoher Lord Jalan.
Nedeam, seid so freundlich und begleitet den guten Herrn Marnalf.«
Nedeam nickte überrascht, und dann griff Garodem Jalans Arm. »Und Ihr,
mein elfischer Freund, werdet mir nun erklären, was das alles zu bedeuten
hat. Nedeam ist nicht nur mein Erster Schwertmann, sondern auch ein guter
Freund.«
»Ihr werdet es erfahren, Garodem, Ihr werdet es erfahren.« Jalan sah den
Pferdefürsten und dessen Berater Tasmund entschuldigend an. »Alles ist
wohlbegründet und wird sich zusammenfügen. Lasst uns nun zur Karte
gehen, Ihr menschlichen Freunde, denn sie ist von Bedeutung für Euch. Und«,
seine Stimme war ungewohnt ernst, »für Eure Zukunft.«
Normalerweise hätte Larwyn ihren Gemahl begleitet, denn alle
Entscheidungen, welche die Hochmark betrafen, berührten auch sie selbst.
Aber die Frau des Pferdefürsten hatte gespürt, dass dies nicht den Wünschen
der Elfen entsprochen hätte. Sie war eine höfliche Gastgeberin und
respektierte die Geheimnistuerei der Ältesten, zumal sie wusste, dass
Garodem sie uneingeschränkt ins Vertrauen ziehen würde. Trotz der Weisheit
eines langen Lebens waren die Elfen doch nicht weise genug, die Frauen an
ihrer Seite als wirklich gleichberechtigte Wesen zu akzeptieren. Für das
Pferdevolk galt das nicht. Zu oft hatten Männer und Frauen Schulter an
Schulter ihre Gehöfte und Weiler verteidigt. Man lebte, und starb nötigenfalls,
gemeinsam, und man tat dies bedingungslos und mit den gleichen Rechten.
So gab die Herrin der Hochmark ihrer Freundin Meowyn einen unauffälligen
Wink, und die beiden Frauen machten sich daran, die Bediensteten zu suchen,
um ihre Anweisungen für den Abend zu geben.
Die beiden Ältesten, Garodem und Tasmund, stiegen die Treppe zum
Obergeschoss hinauf und betraten den Amtsraum. Der Pferdefürst war
gleichermaßen neugierig wie missgestimmt, und er rätselte, was Jalan wohl
bewogen hatte, Nedeam aus ihrer Runde auszuschließen. Der Herr der
Hochmark umrundete den massigen Schreibtisch, der an der Stirnseite des
Raumes stand, und setzte sich in den hochlehnigen gepolsterten Stuhl. Hinter
ihm stand in einem Gestell seine Rüstung, die er nun schon einige
Jahreswenden nicht mehr getragen hatte, wenn man von der jährlichen Feier
absah, in der die neuen Pferdelords vereidigt wurden.
Tasmund trat zu einem kleinen