Rufe aus Morgania. Brigitte H. Becker

Rufe aus Morgania - Brigitte H. Becker


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besondere Zauberkraft verleihen, um dem Schattenmeister zuzusetzen.

      Welche wundersamen Kräfte sollten das denn sein, die seine Mutter nicht besaß?

      Bloß keine Verstärkung großmütterlicher Kräfte oder gar von Windgeistern, womit sich normale Elfen kaum zusammentaten! Schon eher welche, um Menschenkinder anzulocken. Dass sie selbst es nicht vermochte, war nämlich Meridors Problem.

      Nellyfer schnaubte verächtlich. Das könnte sie sich schenken!

      Wie die meisten Elfen hielt sie nicht viel von Menschen. Es wird schon seinen Sinn haben, wenn keine mehr herfinden. Wir können sehr gut alleine für unsere Pflanzen sorgen und sich nicht auf ihre Hilfe angewiesen. Was die alles zurechtstutzen, um es in ihre Vorstellungen hineinzuzwängen! Diese gewissenlosen Rohlinge beschmutzen und beuten Mutter Erde aus, aus reinem Eigennutz, obwohl sie auf Gedeih und Verderb auf ihre Gunst angewiesen sind.

      Es ist nicht von ungefähr, dass sie ein Wort aus ihrer Heiligen Schrift allzu wörtlich nehmen, das lauten soll: „Macht euch die Erde untertan.“

      Es sieht ihrer aufgeblasenen Gattung ähnlich, sich als Herren aufzuspielen. Es geht gegen ihren Strich, dass noch andere Welten existieren, nur eben feinstofflich und nicht für alle sichtbar. Sollen sie doch am hoch gelobten logischen Verstand und ihrem beschränkten Weltbild kleben bleiben! Sollte es wider Erwarten gelingen, ein Exemplar zu erreichen, würde es doch nur glauben, einer Täuschung zu unterliegen.

      Dienstbare Naturgeister und anmaßende Menschen ohne Respekt vor der Natur, die unsereins hegt und pflegt, passen einfach nicht zusammen und sollten sich besser aus dem Weg gehen.

      Ein deutlich vernehmbares Summen riss Nellyfer aus ihren Überlegungen heraus.

      Glück gehabt. Bloß nicht in so was hineinsteigern, sonst gehen dir deine Fähigkeiten ab!

      Als sie ihren Blick prüfend über die Wasseroberfläche schweifen ließ, konnte sie mit ansehen, wie sich zwei weitere Blütenblätter im Zeitlupentempo von der weißen Knospe ablösten. Sieht ganz nach Vorwehen aus, versuchte sie sich zu beruhigen. Es fallen einzelne Blätter ab, wenn es dem Kind da drinnen zu ungemütlich wird und es sich gegen die einengende Hülle zur Wehr setzt. Aber bis zur eigentlichen Geburt zieht es sich dann meist noch ein- bis zwei Wochen hin, und die ist ohnehin nur in tiefster Dunkelheit möglich, für Menschenaugen unsichtbar, eine Vorsichtsmaßnahme aus früherer Zeit, als Hellsicht noch verbreitet war.

      Doch ist die Nacht noch jung und Zeit bis zur Sommer-Sonnenwende.

      Wie um sie eines Besseren zu belehren, ertönte ein erneutes Summen, höher, lauter, eindringlicher, beinahe schrill. Nellyfer schreckte hoch.

      Sie musterte die Knospe aufmerksam aus zusammengekniffenen Augen, konnte aber nichts Auffälliges entdecken. Aber danach blieb sie auf der Hut.

      Der Tonfall erinnerte sie an einen Notfall, der sich vor geraumer Zeit ereignet hatte.

      Ähnlich hatte es geklungen, als der Stiel einer prallen Blütenknospe beim Nachschauen umknickte, bevor das Wasser sie verschluckte. So schnell war sie noch nie geflogen und konnte gerade noch das Ertrinken des Elfenbabys verhindern, das in heller Panik aufschrie. Nellyfer konzentrierte sich auf die magische Stelle zwischen ihren Augenbrauen, um den inneren Blick zu aktivieren, der ihr Einblick ins Knospeninnere verschaffte.

      Aufatmend registrierte sie, dass sich dort ein leichtes Kribbeln einstellte, das sich verstärkend in die Lage versetzte, einen Lichtstrahl zur Knospe auszusenden.

      Er durchdrang sie Schicht für Schicht, bis das Elfenbaby sichtbar wurde.

      Nellyfer atmete erleichtert auf und lächelte. Welch ein Temperament!

      Mit Fäustchen und Füßchen trommele das Kleine gegen die Blütenwand und hatte sicher nur wütend aufgekreischt. Es war groß genug, um auf die Welt zu kommen. Verhalf sie ihm dazu, wenn sich die Sonne wendete, könnte das frohe Ereignis mitgefeiert werden, und sowohl der Prophezeiung als auch dem sehnlichsten Wunsch der Mutter wäre Genüge getan.

      Aus einem erneuten Summen war eindeutig ein Schrei herauszuhören.

      Ein ganzer Blätterkranz sprang ab, als das Kind der Blütenwand von innen erst einen Tritt, dann einen Hieb versetzte. Nellyfer stöhnte auf.

      Aus mit der Ruhe und dem Frieden, Zeit, der Königin Bescheid zu geben!

      Langsam stand sie auf und zog dann ihren Zauberstab aus dem Ärmel, um durch mehrmaliges Kreisen die Decke und das Kissen aufzulösen.

      Prüfend sah sie sich nach allen Seiten um, konnte aber keine unliebsamen Gäste entdecken.

      Ihre Sinne waren zwar geschärft, doch waren Schattenwesen jetzt schlechter auszumachen. Sie würde sich unterwegs vorsehen müssen. Hoffentlich war nichts zu denen vorgedrungen. Auch hatten sie angeblich einen guten Sterndeuter auf der Schattenburg.

      Durch Antippen ihres Zauberstabs schoss Sternstaub heraus, der ihr den Weg ausleuchtete.

      Ihre durchscheinenden, lichtblauen Schwingen ausbreitend erhob sich Nellyfer, um im Eilflug die Elfenlichtung anzusteuern.

      4. Sommer-Sonnenwende

      Sommer-Sonnenwende

      Die Sonne steigt

      allmählich

      vom Gipfel herab

      die Erde mit Küssen

      inbrünstig wärmend

      die ihr mit Kantaten

      und Blütenfontänen

      wallt jubilierend

      entgegen.

      Schon von weitem strahlte der Elfenprozession ihr Ziel durch die Baumstämme entgegen.

      Auf der silbrig schimmernden Lichtung wurden die Elfenkönigin mit ihren Hofdamen und kleinen Leibwächtern von der Waldfee und ihren Zwergen mit vor der Brust aneinander gelegten Händen empfangen. Gemeinsam suchten sie den fein sandigen Elfenhügel in der Mitte der Lichtung auf, worauf der Lotusthron den Silberglanz verströmte.

      Der schmaler gewordene Bach schlängelte sich munter plätschernd am Waldrand entlang, hier gesäumt von vereinzelten Birkenkindern und am anderen Ufer von kleinen Erdhügeln mit Stechginster und wedelnden Farnen zwischen drei umfangreichen Baumstümpfen.

      Mitgekommene Baumgeister gesellten sich zu den Wachmännern, die etwas abseits Stellung bezogen. Ihre Kollegen hatten ihre liebe Mühe mit allzu quirligen Elfen. Unterstützt von Aufsichtspersonen versuchten sie sie, teils mit kleinen Schubsen, zur Raison zu bringen, um dem Geschehen Würde zu verleihen.

      Die gestrengen Blicke und herrischen Gesten von Mamarena, der Dienstältesten Hofdame, verfehlten am Fuße des Elfenhügels ihren Zweck, und das heftige Armeschwenken des Chefleibwächters Alfrono neben ihr, wurde erst recht nicht wahrgenommen.

      Erst nach dem Anschlagen einer großen Glockenblume, das die Thronbesteigung ankündigte, legte sich der Tumult, und das Geplapper und Gelächter ebbte ab.

      Fast alle schauten auf. Kleine Elfen reckten sich fast die Hälse aus oder kletterten auf die Schultern größerer, um mitzubekommen, wie ihre Königin die bodenlangen Schwingen ausbreitete, um nach kurzem Steilflug in graziösem Schwung auf dem Elfenhügel zu landen, gefolgt von ihren sechs etwas kleineren Hofdamen und zwölf halb so großen Leibwächtern.

      Applaus ertönte, nachdem Meridor mit Hilfe von Marmarena, die ihre Schleppe trug, feierlich die Stufen zum Lotusthron hinaufgestiegen war.

      Die erste Hofdame bezog mit würdevoller Miene zur Rechten Position und Alfredo mit respektgebietender zur Linken, flankiert von ihresgleichen.

      Die kleinen Leibwächter standen da wie Ölgötzen mit aufgestellten Speeren, während die Hofdamen erst ihrer Festkleider zurechtrückten, bevor


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