Rufe aus Morgania. Brigitte H. Becker
Wie ertappt zuckte sie zusammen, als sich ein Leichtgewicht auf ihrer Schulter niederließ.
Sie wendete den Kopf, als sie etwas antippte, das sich wie ein Fingerchen anfühlte.
Das rosige Puppengesicht einer winzigen entzückenden Blumen Elfe lachte ihr schelmisch entgegen. „Darf ich dir meine Tochter übergeben?“ zwitscherte sie ihr zu. „Wollte dich nicht länger auf die Folter stellen und bin schon mal vorgeflogen.“
Nellyfer übernahm den Winzling und hob die Augenbrauen. Die Elfenmutter wies in Richtung Wald- und Feld. Als Nellyfer die von dort anschwirrende Elfenwolke erblickte, nickte sie der Blumen Elfe erleichtert zu, die daraufhin aufgeregt loszwitscherte:
„Wir haben solange zum Schönmachen fürs Fest gebraucht. Viele kostete es etliches Herumzaubern, um das passende Festgewand zu finden, weil sie keine Ruhe dazu hatten. Weiß der Himmel, was unsere Töchter so verstört hat, dass sie uns dauernd am Rockzipfel hingen! Ihr ohrenbetäubendes Plärren und Quengeln hat manche Mutter so verwirrt, dass sie bald überhaupt nicht mehr wusste, was sie bestellen sollte. Du hättest das mal sehen sollen!
Kleider in den unmöglichsten Schnitten und Mustern sind kreuz und quer durch die Luft geflogen und mussten zurückgeschickt werden. Ein fürchterliches Chaos ist entstanden und viel Zeit vergangen, bis alle voll und ganz mit sich zufrieden waren. Aber jetzt sind sie ja da.“ Nun sah Nellyfer es auch. Elfen in allen erdenklichen Größen flogen wie ein schillernder Farbenregen herbei, um kurz darauf schwungvoll vor ihren Füßen zu landen.
Junge Elfenmütter übergaben ihr die Weidenkörbe mit ihren Kleinen, begutachteten zufrieden nickend den Schlafsaal, und waren ihr behilflich, die Körbe an Bastseilen an den untersten Zweige zu befestigen, dass ein leichter Windstoß genügte, um sie sanft zu schaukeln.
Als sie ihre Mädchen auf den Arm nahmen, um sie zum Abschied zu küssen, klammerten sich nicht wenige weinend an ihre Mutter an, was ungewöhnlich war.
So quengelig hatte Nellyfer sie noch nie erlebt!
Alle hatten bereits laufen gelernt, und sie hatte alle Hände voll zu tun, ihrer Herr zu werden.
Kreischend schienen sie vor etwas die zu Flucht zu ergreifen, was nicht auszumachen war.
Sie fielen hin, kullerten übereinander und ließen sich weder füttern, noch beruhigen, geschweige denn, zu Bett bringen. Als alle leidlich gesättigt glücklich in den Betten lagen, hatte ihre Schürze etliche Flecken hinzubekommen.
Jetzt sprang sie hin und her, um sie in den Schlaf zu wiegen. Was ihr mittags mühelos gelang, wurde zum entnervenden Spiel. Aus Leibeskräften Wiegenlieder singend versagte ihr die Stimme, was noch nie vorgekommen war.
Die Zeit verstrich, und es waren immer noch nicht alle eingeschlafen.
Einige schien noch immer etwas zuhöchst zu beunruhigen.
Plärrend im Bett herumhüpfend hielten sie andere vom Schlaf ab, die sich unruhig hin und her zu wälzen begannen, um es ihnen schließlich gleichzutun, ein wahrer Teufelskreis.
Auf einmal ächzte der Baumstamm, und eine tiefe Stimme donnerte:
„Was ist denn das für ein Radau? Ist ja nicht auszuhalten!“
Die Kinder zuckten zusammen und waren augenblicklich still.
Als Nellyfer sich umwandte, gewahrte sie erstaunt den betagten Baumgeist, der allmählich leicht gebeugt seinem Stamm entstieg, erst schemenhaft sichtbar und sich nach und nach mehr und mehr verdichtend. Er war eine imposante Erscheinung mit schlohweißem, schulterlangem Haar und ebenso langem, zerzaustem grauen Spitzbart in einer bodenlangen Borkenkutte, um die Mitte von einem Schilfband gehalten.
Sie machte einen Knicks. „Guten Abend Buchwart. Du lässt dich früh erblicken.“
Unwirsch abwinkend richtete sich der Greis zu voller Größe auf.
„Kein Wunder bei dem Höllenlärm und dem Gestank! Ich wittere förmlich Störenfriede!“
Nellyfer sah überrascht zu ihm auf. „Ich rieche überhaupt nichts.“
Sie kritisch beäugend wiegte er den Kopf. „Du bist ja völlig aufgelöst! In dem Zustand kannst du auch nichts wahrnehmen.“
Nellyfer stutzte. Das konnte doch nicht sein, doch machte einen Sinn.
„Aber die Schattengeister kommen doch immer erst mitten in der Nacht.“
„Dann haben sie es sich eben anders überlegt. Die sind auch nicht auf den Kopf gefallen und werden längst bemerkt haben, dass um die Zeit viele so in Eile sind, dass sich ihre Sinne trüben. Ist doch die Gelegenheit für sie, schon vorher ihren Spaß zu haben.“
Nellyfer fiel es wie Schuppen von den Augen. Dass sie da noch nicht drauf gekommen war!
Es passte alles gut zusammen, der Bericht der Mütter, ihre eigenen Erfahrungen.
Der Baumgreis nickte verstehend, als sie es ihm mitteilte.
„Meinst du, dass die wiederkommen?“
„Worauf du dich verlassen kannst! Der Mitternachtsspuk ist ja schon Tradition.“
Buchwart ließ den Blick prüfend im Raum umherschweifen und rief den Kindern zu:
„Keine Sorge, mit den paar Flatterschatten werde ich schon fertig! Die meisten sind sowieso getürmt, als sie mich in voller Größe erblickten Ich geh mal eben raus, bevor ich mir den Rest vornehme.“ Er zog die buschigen Augenbrauen hoch und drohte den Kleinen mit dem Zeigefinger, die ihn aus großen Augen anstaunten. „Und ihr verhaltet euch derweil mucksmäuschenstill. Dass ich keine Klagen höre!“ Er zog Nellyfer mit sich zur Eingangstür. „Bleib du hier und halte Ausschau nach der Elfenpolizei. Ich könnte Unterstützung gebrauchen. Der Spuk muss bald ein Ende haben. Die Kleinen sehen ja alle hundemüde aus.“
Als sie ihm von Walfred erzählte, grinste er sie wissend an.
„Na dann kann ja gar nichts schief gehen. Der wird sicher nach dir sehen wollen.“
Sie erröte bis über beide Ohren, doch als er sich entfernen wollte, hielt sie ihn zurück.
„Wie du weißt, versammeln sich alle Elfen am Weiher bei Sonnenuntergang. Ich müsste vorher noch nach Meridors Seerosenknospe sehen, komme aber hier erst weg, wenn alle eingeschlafen sind.“ Sie schaute hilfesuchend zu ihm auf. „So wie es aussieht, werde ich nicht einmal pünktlich zum Treffpunkt kommen können.“
Buchwart schmunzelte in seinen Bart. „Traust dich nicht zu fragen, wie? Passe gern auf deine Kinder auf. Hast doch gesehen, wie gut die bei mir spuren. Mal sehen, ob es so geblieben ist.“
Nachdem er den Schlafraum inspiziert hatte, kam er triumphierend zurück.
„Nichts zu hören außer gelegentlichem Stöhnen, obwohl noch Flattergeister rumschwirren. Sollst mal sehen, sobald ich die vergrault habe, fallen alle in die Kissen und sind ruck zuck eingeschlafen.“ Er entgegnete Nellyfers zweifelndem Blick. „Und wenn alle Stricke reißen, ich beherrsche Wiegenlieder.“ Er räusperte sich vernehmlich, um dann in tiefstem Bariton „Guten Abend, gut Nacht“ zu schmettern.
Nellyfer lachte hellauf. „Das würdest du wirklich für mich tun? Mir fällt ein Stein vom Herzen! Du strahlst solch eine Ruhe aus, die du sicher auf Kinder übertragen kannst.“
„Worauf du dich verlassen kannst“, grunzte er geschmeichelt.
Stürmisch fiel sie ihm um den Hals. „Vielen, vielen Dank, lieber Buchwart. Das werde ich dir nie vergessen!“
„Schon gut, schon gut.“ Sichtlich verlegen schob sie der Hüne sacht beiseite. „Muss die
Eindringlinge jetzt vertreiben.“
„Sehen wir und hinterher beim Fest?“ Er zog die Augenbrauen hoch, worauf sie ihn beschwichtigte. „Wenn alle eingeschlafen sind, kannst du ruhig gehen. Die schlafen alle