Rufe aus Morgania. Brigitte H. Becker

Rufe aus Morgania - Brigitte H. Becker


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nicht mehr weg und beteiligen uns nur noch an dem, was sich direkt vor unserer Nase abspielt.“ Schelmisch zwinkerte er ihr zu. „Aber Du kannst uns ja bei den anderen entschuldigen.“

      „Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“, fragte sie in scherzhaftem Ton. Dann stutzte sie. „Soll ich Walfred holen gehen?“

      „Nee, lass den erst mal drüben wirken. Aber vielleicht könntest du ihn nachts mitnehmen. Dann veranstaltet die Schattenhorde immer ein Höllenkonzert, das meinen Nerven zusetzt.“

      „Er wird sicher mit den Seinen wieder kommen, und vielleicht hat er ja gleich noch Zeit.“ „Na dann bis bald.“ Sichtlich erleichtert stakste Buchwart in den Schlafraum.

      Während Nellyfer auf Walfred wartete, überlegte sie, welches Kleid für den heutigen Anlass wohl angemessen wäre. Es könnte noch eine Weile dauern, bis der Elf auftauchte.

      Als sie sich leidlich sicher war, huschte sie in ihre kleine Kammer, um die Kommode nach ihrem Zauberstab durchzuwühlen. Als sie ihn endlich am hintersten Ende einer Schublade entdeckte, stellte sie sich ein bis zum Boden fließendes, hellblaues Kleid mit hoher Taille vor. Sie zauberte es sich schnell herbei, schlüpfte hinein und warf noch schnell einen prüfenden Blick in den Spiegel. Es saß nicht einmal schlecht, stellte sie befriedigt fest, außer dass Ärmel und Saum etwas zipfelig geraten waren. Aber was soll`s? Es war halt ihr Stil.

      Flügel waren unpraktisch bei der Arbeit, aber nötig für die Reise. Durch Antippen ihrer Schultern mit dem Zauberstab wuchsen dort ein Paar durchscheinend hellblaue.

      Draußen sah sie Walfred aus der Kita herauskommen. Sie winkte ihm zu; strahlend winkte er zurück und formte die Hände zum Trichter.

      „Was machst du denn noch hier? Willst du zu spät kommen?“

      Errötend rief sie zurück. „Komm her, und ich erklär es dir!“

      „Einen Moment noch!“ Er blickte forschend zur Schulbuche herüber.

      Nellyfer hatte sich insoweit beruhigt, um bei näherem Hinschauen zu erkennen, wie Schatten dort zu allen Seiten dem Blätterdach entwichen. Zwei Mitstreiter traten vor die Tür und liefen auf Walfred zu, um sich kurz mit ihm auszutauschen und dann eiligst aufzuschwingen.

      Halb springend, halb fliegend hechtete der Zurückgebliebene auf Nellyfer zu und erschrak, als er sah, wie erblasst sie war, kaum mehr als ein Hauch.

      „Was ist los?“, fragte er besorgt. „Du siehst ja ganz geschafft aus.“

      Nachdem sie ihm berichtet hatte, was vorgefallen war, nickte er verstehend.

      „Bei Walfriede war es genauso. Sie ist als letzte dageblieben und wurde immer hektischer. Als ich endlich mit Buchgeist den letzten Störenfried vertreiben konnte, war sie fix und fertig.

      Der hat Walfriede übrigens auch angeboten, sich um ihre Kinder zu kümmern, damit sie nicht zu spät zum Treffpunkt kommt.“ Er wies zur Schulbuche herüber. „Die Kollegen haben soeben nebenan eine ganze Schattenhorde aufgescheucht."

      Nellyfer nickte. „Konnte sie flüchten sehen. Aber vorhin muss ich blind und taub gewesen. Auch mein Geruchssein hat mich im Stich gelassen.“

      „Meinte Walfriede auch. Das kommt von der ganzen Aufregung, und das wissen sie genau. Die Bande wird immer dreister! Jetzt kommt sie schon zweimal, doppelte Feiertagsarbeit. Hast du gehört, was sie in manchen Elfenclans angerichtet hat?“

      Nellyfer berichtete, was sie von den Elfenmüttern wusste. „Wer konnte damit rechnen?“

      „Zeitnot ist Wind auf ihre Mühlen.“ Beschwichtigend tätschelte er ihr die Schulter. „Keine Sorge, wir kommen wieder. Wir werden euch schon zu beschützen wissen.“

      Danach wollte sie sich gerade erkundigen. Konnte er Gedanken lesen?

      Seine Berührung tat ihr gut, und seine Stimme schmeichelte ihren Ohren.

      Aber ihr Wohlbehagen währte nicht lange.

      Unvermittelt wetterte er los, so laut, dass sie zusammenzuckte. „Mit der Schattenbande werden wir schon fertig. Von denen lassen wir uns nicht ins Bockshorn jagen.“

      Walfriede musste sich erst fangen, bevor sie nachzuhören wagte, ob er noch einmal bei Buchwart vorbeischauen könnte, um ihm beizustehen.

      Sie hätte sich ihre Bedenken sparen können. Seine Augen blitzten freudig auf, er straffte seine Schultern, warf sich noch mehr in die Brust und rieb sich die Hände.

      „Aber sicher doch. Soviel Zeit muss sein. Dafür sind wir da. Mal sehen, was da los ist. Den Bengeln werden wir das Handwerk legen! Warte hier solange. Ich bin gleich zurück!“

      Er zerteilte schon die Buchenzweige, wandte sich aber noch einmal um, um sie forschend anzuschauen. „Oder musst du jetzt schon weg?“

      Wieder hatte er bemerkt, was sie beschäftigte.

      Als sich ihre Augen trafen, konnte Walfriede nicht anders, als den Kopf zu wiegen.

      Die schwangere Knospe war nicht mehr von Belang. Wozu sich abhetzen, nur um Meridor zu sagen, es hätte sich nichts getan? Dessen war sie sich ziemlich sicher.

      „Keine Sorge. Zum Treffen schaffen wir es allemal“, versuchte er zu beschwichtigen.

      Wieder ins Schwarze getroffen! Sie hielt ihn am Ärmel zurück. „Noch eine Frage. Vielleicht ist nachher keine Zeit dazu. Könntest du mich auf dem Rückweg auch begleiten?“

      Augenzwinkernd sagte er „Besser als die ganze Truppe, wie? Wir könnten ja vorfliegen.“

      Nellyfer nickte ihm erleichtert zu. Er hatte es erfasst.

      Je länger Walfred auf sich warten ließ, desto aufgewühlter wurde sie.

      Wie würde das aussehen, wenn sie sich jetzt auch noch verspätete! Auf und ab tippelnd stieß Nellyfer Stoßgebete aus, es möge nicht geschehen und Meridor Verständnis zeigen.

      Nach einer halben Ewigkeit kehrte ihr Held zurück. Stolz schwang in seiner Stimme mit, als er ihr eröffnete „Alles in bester Ordnung. Der Baumgeist hat ganze Arbeit geleistet, konnte aber Unterstützung brauchen. Habe auch drei Flattergeister und Schattenjungen vor die Tür befördern können. Bald kehrt Ruhe ein, fix und fertig wie die Kleinen sind.“

      „Singt Buchwart ihnen jetzt Wiegenlieder vor?“, erkundigte sich Nellyfer grinsend. „Mir hat er vorhin welche vorgeschmettert. Das weckt ja eher auf.“ Er griente breit zurück.

      „Konnte ihn auch wie Buchgeist von der Kita erfolgreich davon abhalten. Die Brüder könnten noch ne Mütze Schlaf gebrauchen, damit sie dem Mitternachtsspuk gewachsen sind, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob die Bande wiederkommt. Wir haben denen ganz schön zugesetzt.“

      Er entgegnete ihrem verunsicherten Blick. „Keine Sorge, wir schauen auf alle Fälle nach, und es bleibt wie abgesprochen.“

      Wie auf Kommando schauten sie prüfend zum Himmel hoch und erschraken, als sie sehen mussten, dass er sich rötlich streifte. Bald würde die Sonne untergehen.

      Walfred packte Nellyfer so fest am Arm, dass sie beinahe aufgeschrien hätte.

      „Höchste Zeit zum Aufbruch!“

      Auf einmal rauschte es gewaltig über ihren Köpfen, wie von Adlerschwingen.

      Aus luftiger Höhe winkte ihnen eine graue Gestalt im Flattergewand und zerzauster, schulterlanger Mähne zu, und preschte schnurstracks im Steilflug auf sie zu, als sie es ihr nachtaten. Ungläubig drang die Pfeifstimme des Luftriesen an ihr Ohr.

      „Hallo, was macht ihr zwei noch hier?“

      Sie atmeten erleichtert auf, als sie im Windgeist, der zu ihren Füßen landete, Meridors Gefährten erkannten, der zwar am Boden schrumpfte, aber immer noch so groß war, dass

      Nellyfer sich fast den Hals verrenkte, um zu ihm aufzuschauen.

      Als


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