Domino I. Mario Worm

Domino I - Mario Worm


Скачать книгу
geöffnet hatte. Wegen dieser Miquel hatte er das völlig vergessen. Sie hatte aber auch was! Diese tiefschwarzen Haare, die Augen. Egal, jetzt war sie weg. Tagesordnung! Er reißt den Umschlag auf und findet ein paar Fotos, einen Schlüssel und einen Brief. »Lieber Thomas. Wenn du diese Zeilen liest, dann hast du schon sehr viele Fragen. Anbei hältst du Bilder von mir, deinem Vater und von dir in den Händen. Drei Generationen, die unterschiedlicher nicht sein können. Glaube mir, es ist mir nicht leichtgefallen, dich nicht selbst kennenzulernen. Du wirst alles verstehen, wenn du den Schlüssel zum Bankschließfach benutzt. Die Adresse der Bank steht auf der Rückseite des Briefes. Alles andere ist geregelt. Gewiss kann Geld nicht alles vergessen machen oder entschädigen, aber genieße es einfach. Ich werde diese Zeilen nicht mit ›Dein geliebter Großvater‹ unterschreiben, denn ich durfte es ja nie sein, sondern einfach mit Paul Stubbe.« Thomas Kiefer schüttelte verständnislos den Kopf. Das war ja sehr persönlich. Hatte Miquel nicht behauptet, sein Großvater hätte von ihm so geschwärmt? Und nun diese lapidaren Zeilen? Wahrscheinlich ging es wirklich nur ums Geld. Hat mal jemand versucht zu begreifen wie es ihm in all den vergangenen Jahren, insbesondere in seiner Kindheit ergangen war, wie er sich gefühlt hatte, allein?

      Dann endlich war Reimann wieder da. Äußerst interessiert hörte er sich den Bericht über die Geschehnisse an. Sie tranken viel an diesem Abend. Zu viel. Irgendwann, im Laufe dieses Trinkgelages fasst Reimann einen Entschluss: »Weißte, ich hab die Schnauze gründlich voll von diesen Hundebericht- erstattungen! Das mit dir, das wäre doch mal was. Ossi erbt Vermögen von nichtexistierenden Verwandten. Ich sehe die Titelseite schon vor mir«, lallt er und fügte hinzu: »Komm sei kein Spielverderber. Lass mich die Story schreiben.« Betrunken wie er war, willigt der Ossi ein.

      3. Kapitel

      Nur die Ortsansässigen wussten Bescheid, welches Grab sich auf dem kleinen Bergfriedhof in Berchtesgaden/Schönau befand. Fremdlinge, wenn sie überhaupt ihre Schritte auf das Gelände lenkten und durch Zufall das überdachte Holzkreuz mit der goldenen Aufschrift entdeckten, hielten es eher für eine makabre Namensgleichheit als für real. Hier ruht, so verkündet die Inschrift, Paula Hitler, geboren am 21. 11. 1896, gestorben am 01. 6. 1960. Pietschmann wusste um die Tatsachen und hatte die Frau, die damals unter dem Synonym Paula Wolf agierte, durch seinen Vater noch persönlich kennengelernt. Er selbst, damals noch ein Kind, erinnerte sich, dass er die alte Frau sehr nett fand, obwohl sie doch äußerst resolut war. Erst später, nach ihrem Tod, hatte er erfahren, dass es sich um die Schwester des »Führers« handelte. Nach anfänglichem Zögern hatte die Gemeinde schließlich nachgegeben und das Kreuz mit dem richtigen Namen gestattet. Paula Hitler war bis zu ihrem Tod der festen Meinung, dass ihr Bruder nur das Beste für das deutsche Volk gewollt hatte. Selbst nach dem Bekanntwerden aller Gräueltaten, behauptete sie, er selbst hätte nie etwas davon gewusst. Nach dem Krieg prozessierte sie gegen den Freistaat Bayern, der die Rechte von Hitlers Kampfschrift »Mein Kampf« besitzt. Sie wollte das Recht auf die Tantiemen erstreiten. Als sie diesen Erbschaftsstreit verlor, schrieb sie einen Brief, der alles beinhaltete, was es zu dieser Frau zu sagen gibt: »Ihr Herren, vergesst nur eines nicht! Euer Name wird längst mit eurem Leichnam zerfallen, vergessen und vermodert sein, während der Name Adolf Hitler immer noch leuchten und lodern wird! Ihr könnt ihn nicht umbringen mit euren Jauchekübeln, ihn nicht erwürgen mit euren tintenbeklecksten Fingern ... Wo er gefehlt hat, geschah es auch um Deutschland und wenn er stritt für Ehre und Ansehen, war es deutsche Ehre und Ansehen ... So liegt euch nichts daran, ihr kleinen Seelen, wenn mit euch zusammen die ganze Nation in Trümmern geht ... Was ich in den ersten Nachkriegsjahren niederschrieb, hat seine Gültigkeit auch im Jahre 1957 und bestätigt die Richtigkeit meiner Überzeugung ... Berchtesgaden, am 01. 05. 1957 Paula Hitler.«

      Ja, sie hatte ihre Überzeugung und nahm sie schließlich mit ins Grab. Und vor jenem Grab stand nun Lutz Pietschmann. Es war nicht seine Absicht, ihr einen Totenbesuch abzustatten oder gar das Grab zu pflegen. Dass dies geschah, dafür hatte die Organisation, die sie bis zu ihrem Ende unterstützte, für Jahre im Voraus gesorgt. Nein, Pietschmann hatte andere Gründe für sein Hiersein. Immer wenn eine ganz besonders brisante Nachricht eintraf, wurde das Grab als toter Briefkasten genutzt. Es gab dann nur ein Telefonat, mal wieder Tante Paula zu besuchen. So auch heute Morgen. Wer ihn anrief, wusste er nicht, es war ihm letztendlich auch egal, solange entsprechende Honorare seinem Konto gutgeschrieben wurden. Pietschmann sieht sich nach allen Seiten um und vergewissert sich, dass er allein auf dem Friedhofsgelände ist. Behutsam geht er in die Knie, tut so, als beseitige er Unkraut und zieht dabei den Kassiber aus der Erde. Schnell steckt er den Zettel in seine Hosentasche, verlässt den Friedhof und besteigt seinen Audi. Erst im Wagen liest er die Nachricht: »Stubbe ist tot. Kümmern sie sich darum!« »Na prima! Man hat ja sonst nichts zu tun! Wieso sollte er wieder mit dem Quatsch anfangen. Es gibt nichts zu kümmern, alles schon so viele Male überprüft. Was sollte nun ausgerechnet nach seinem Tod auftauchen?«, denkt er und startet den Wagen. »Aber gut, kümmern wir uns eben noch einmal!« Lutz Pietschmann setzt Prioritäten. Stubbe kann warten, jetzt erst mal nach Rostock, das war jetzt wichtiger.

      Das Schweizer Bankhaus Luther & Luther hat seinen Firmensitz in unmittelbarer Nähe des Großmünsters in der Züricher Oberdorfstraße. Das Bankhaus kann auf eine fast hundertjährige Familientradition zurückblicken und war so von Generation zu Generation weitergereicht worden. Die Haupteinnahmequelle bestand aus Nummernkonten, mit deren Kapital die Bank vorwiegend Kredite für größere Bauvorhaben finanzierte. Mit dem Rest des Geldes wurde kräftig spekuliert. Begünstigt wurde dies, weil Anleger von Nummernkonten ihre Barschaft »liegen« ließen und höchst selten Abhebungen veranlassten. Dass es sich bei den Kundeneinlagen meistens um Schwarzgeld handelte, für das keine Steuern bezahlt wurde, interessierte das Bankhaus wenig, solange man gehörigen Profit daraus schlagen konnte. Um das eigene Gewissen zu beruhigen, sofern überhaupt eines existierte, berief sich Luther & Luther auf das schweizerische Bankgeheimnis. Jahrelang hatte Leopold Luther, der Senior, das Bankhaus mit Bedacht geführt, bevor er die Geschäfte aus Altersgründen seinen zwei Söhnen übergab. Diesen Entschluss allerdings bereute er insgeheim auf das Äußerste! Das was die beiden jetzt trieben, war so ganz und gar nicht sein Stil. Sicherlich hatten sich die Zeiten geändert und man musste viel mehr Risiken eingehen als früher, als sich das Kapital fast wie von selbst vermehrte. Aber immer wieder hatte er seinen Söhnen eingeschärft, dass eben auch jedes Risiko, jede Transaktion überschaubar sein muss. Doch die beiden Hitzköpfe hielten sich nicht daran, steckten eher ihre Hände in unsichere Geschäfte, die mehr Rendite versprachen. Nein, das war nicht in seinem Sinn. Es wurde Zeit, dass die Juniorchefs endlich mal eine gehörige Portion Angst bekämen, um Schlimmeres abzuwehren. Leopold Luther sah aus seinem Chefbüro in der zweiten Etage auf das Münster. Ja, ja, die heilige Kirche. Ein beklemmendes Gefühl ließ ihn nicht mehr los. Wenn der unheimliche Fall, die Ahnung wahr wird, dann würde auch kein Gott mehr helfen können. Außer ihm befanden sich noch drei Leute in dem Büro, seine zwei Söhne und ein Privatdetektiv namens Herbert Schönau, mit dem Luther bereits über Jahre hinaus zusammenarbeitete und der Leopolds vollstes Vertrauen genoss. »Meine Herren, Stubbe ist tot«, sagt er einfach in den Raum hinein und wird sofort von einem seiner Söhne unterbrochen. »Aber Vater, zu Stubbe ist doch alles gesagt! Die Listen existieren nicht. Sie sind Hirngespinste, wegen meiner auch Legenden, aber eben nicht real!« »Und wenn doch?« Leopold Luther begreift nicht, wie man diesen Fakt auf die leichte Schulter nehmen kann. »Und wenn doch?«, fragt er nochmals. Schönau versucht zu beruhigen: »Glaub mir Leopold, keiner hat etwas in der Hand. Stubbe nicht und auch sonst keiner. Bedenke, wie oft wir in den letzten Jahren nachgeforscht haben. Und nicht nur wir. Ich möchte nicht wissen wie viele daran gearbeitet haben. Keiner hat auch nur die kleinste Andeutung gefunden, weil es einfach keine gab.« »Wenn es sie aber doch gab?!«, beharrt der Senior und fährt sinnierend fort: »Das wär’s. Wenn diese Konten platzen, wäre mit Zinsen und Zinseszinsen neunundneunzig Prozent unseres Kapitals weg, vom Imageverlust möchte ich gar nicht erst reden. Das wäre das Ende!« Eigentlich hatte der jüngere der beiden Brüder vor, eine Bemerkung zu machen, unterließ es aber aus Respekt vor dem Vater. Schließlich hatte der ja die »Leichen« vom Großvater übernommen. Schönau bemerkt die Unruhe des Seniors und versucht noch einmal zu beruhigen: »Also gut! Ich fahre zu der Beerdigung. Wann ist die noch mal – ich glaube in zwei Wochen –, und schaue mir diesen vermeintlichen Erben an. Glaube mir


Скачать книгу