Metastasen eines Verbrechens. Christoph Wagner
das Gespräch wieder. Lediglich die PC-Keyboards klapperten vor sich hin. Es mussten noch viele Berichte von Zeugenaussagen geschrieben werden. Denn der Fall eines Tötungsdelikts war gerade abgeschlossen. Ein Tankstellenpächter war erschlagen worden. Der Täter war sehr schnell durch die Überwachungskameras überführt. Ein Junkie. Er wollte eigentlich nur das Geld. Der Totschlag war fast ein Unfall. Der Täter geriet in Panik, weil er fürchtete, nicht mehr aus der Tankstelle herauszukommen.
Da öffnete sich die Tür und Hauptkommissar Grundmann trat ein, offenbar ziemlich schlechtgelaunt.
„Hallo zusammen, ist der Chef da?“
„Der ist gerade beim Staatsanwalt“, gab Brombach zurück. „Müsste aber bald wiederkommen. Gibt’s was Neues zum Asylbewerberheim?“
„Neues? Schön wär’s. Wir haben bis jetzt nichts. Die Zeugen haben niemanden aus unseren Dateien erkannt. Kollege Limbach versucht zwar noch, Phantombilder zu erstellen. Er hat aber vorhin angerufen und meinte, wahrscheinlich wird das auch nichts.“
„Dann können wir nur hoffen, dass Breithaupt was findet, was uns einen Anhaltspunkt liefert“, meinte Lange.
Inzwischen war Travniczek unbemerkt hereingekommen. Das Gespräch mit dem Staatsanwalt war ganz offensichtlich zu seiner Zufriedenheit verlaufen. Und außerdem: Er hatte tatsächlich seine obligatorische Lederjacke abgelegt. Das war bisher noch nie vorgekommen.
„Ach, Kollege Grundmann, wie ist die Lage?“
„Beschissen. Wir haben nichts.“
Er brachte ihn auf den neuesten Stand.
„Dann warten wir auf die Spurenanalyse und sehen danach weiter. Aber wir müssen dranbleiben. Diese Kerle dürfen uns nicht durch die Lappen gehen.“
„O. k.“, meinte Grundmann und verließ wieder das Büro.
„Also, Staatsanwalt Wurlitzer schließt sich unserer Einschätzung an“, informierte Travniczek seine Kollegen zufrieden. „Totschlag im Affekt. Nichts spricht für Vorsatz. Hätte dieser Helfrich nicht den Helden gespielt, wäre nichts weiter passiert. Es waren doch eh nur dreihundert Euro in der Kasse.“
„Sorry, wenn ich störe“, unterbrach Melissa Siebert. „Die Pforte ruft an. Die haben da einen, der unbedingt jemanden von der Mordkommission sprechen will, wollte aber nicht sagen, worum es geht.“
„Die sollen ihn hochschicken“, meinte Travniczek und setzte sich an den runden Besprechungstisch, der rechts von der Eingangstür in der Stirnwand des Büros stand. Er fand eine leere Tasse, goss sich aus der bereitstehenden Kanne Kaffee ein und nahm behaglich einen großen Schluck.
Da öffnete sich langsam die Tür und ein ziemlich kleiner Mann mit Glatze, grauem Vollbart und einer Brille mit kleinen runden Gläsern kam zum Vorschein, ohne den Raum zu betreten.
„Entschuldigen Sie, wenn ich störe. Benjamin Lewandowski mein Name. Bin ich hier richtig bei der Mordkommission?“
„Kommen Sie“, meinte Travniczek sehr freundlich, denn er merkte, dass der Besucher wohl großen Respekt vor der Kriminalpolizei hatte. „Setzen Sie sich hier zu uns. Wir warten schon auf Sie.“
Frau Siebert stellte sofort eine Tasse vor ihn hin und fragte: „Kaffee? Oder hätten Sie bei der Hitze lieber etwas Kaltes?“
„Ach, gerne Kaffee, wenn es nicht zu viele Umstände macht.“
„Kaffee ist bei uns fast so etwas wie die Luft zum Atmen“, bemerkte Martina Lange lachend. „Umstände macht das nie. Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.“
Inzwischen war auch Brombach an den Tisch gekommen und brachte eine gekühlte Flasche Mineralwasser mit. Selbstverständlich hatte Frau Siebert den Teller mit den Keksen so gestellt, dass der Besucher ihn ganz leicht erreichen konnte.
„Was führt Sie zu uns?“, begann dann Travniczek, nachdem Herr Lewandowski Zucker und Milch in den Kaffee geschüttet hatte.
„Das ist etwas schwierig. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Sie dafür überhaupt zuständig sind.“
„Nun“, entgegnete Travniczek lächelnd, „wir sind die Firma Mord und Totschlag und handeln mit allem, was damit zu tun hat, solange es sich im Großraum Heidelberg abspielt.“
„Auch wenn das schon sehr lange her ist?“
„Mord verjährt nicht.“
„Auch wenn das schon in den Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts war?“
Travniczek hielt einen Moment inne, ehe er antwortete: „Auch dann, wobei die Ermittlungen in so einem Fall sicher nicht einfach wären.“
„Also, Herr Lewandowski“, schaltete sich Brombach etwas ungeduldig ein, „jetzt haben Sie uns richtig neugierig gemacht. Erzählen Sie einfach drauf los. Wir sind ganz Ohr.“
Benjamin Lewandowski räusperte sich mehrmals verlegen.
„Ich denke, ich fange ganz von vorne an.“
Er sprach schnell und undeutlich.
„Vor zwei Jahren ist meine Mutter, sie ist jetzt fast neunzig Jahre alt, in die Seniorenwohnanlage Michaelistift im Emmertsgrund gezogen, in den Bereich Betreutes Wohnen, zusammen mit meiner Schwiegermutter, einer Freundin meiner Mutter aus Kindertagen. Die beiden wurden für die Mahlzeiten zu einem gewissen Fritjof Fries an den Tisch gesetzt. Es entstand eine Altersfreundschaft. Darüber war auch ich sehr froh, denn den beiden war es sehr schwer gefallen, ihr Geburtshaus, in dem sie bis zuletzt noch wohnten, zu verlassen und in dieses Stift zu ziehen. Ich hatte große Sorge, dass die beiden in der ungewohnten Umgebung keinen Kontakt mehr finden würden. Als ich dann diesen Fries kennenlernte, bekam ich aber doch etwas Bauchschmerzen. Ich hatte das Gefühl, irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Aber ich konnte das nicht sachlich begründen. Also ließ ich es zunächst auf sich beruhen. Und etwas später berichtete mir meine Mutter ganz begeistert, dass er jemanden, der wüste antisemitische Witze erzählt hatte, öffentlich geohrfeigt hatte. Es schien alles in Ordnung.
Aber vor ein paar Monaten, kurz nach Ostern, rief mich meine Mutter völlig aufgelöst an. Dieser Fries hatte in einer heftigen Auseinandersetzung mit einem Mitbewohner wohl Dinge gesagt, die sie befürchten ließ, dass Fries nicht nur ein alter Nazi ist, sondern womöglich in Kriegsverbrechen verstrickt war. Ja, und da habe ich dann angefangen zu recherchieren.“
Lewandowski hielt inne und suchte nach einem Taschentuch. Die Ermittler sahen, dass seine Hände zitterten.
„Die Geschichte scheint Sie sehr mitzunehmen“, bemerkte Lange mitfühlend. „Gibt es dafür einen besonderen Grund?“
„Ja, schon“, erwiderte Lewandowski und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wissen Sie, meine Familie hat sehr unter den Nazis gelitten … Aber das würde jetzt zu weit führen.“
„Dann erzählen Sie doch bitte weiter“, ermunterte ihn Travniczek.
„Also, zu meinen Recherchen. Meine Mutter hatte mir ja schon einiges berichtet. Fries stammt aus Mannheim und ist kurz nach dem Krieg nach Argentinien ausgewandert. Dort hatten ja bekanntlich nicht wenige alte Nazis Zuflucht gefunden. Ich habe dann herausgefunden, dass es in Mannheim tatsächlich mal einen Fritjof Fries gab. Der ist aber Ende 1944 bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen.“
„Wollen Sie damit sagen, dieser Mann ist gar nicht Fritjof Fries, sondern hat diesen Namen nur angenommen, um seine wahre Identität zu verbergen?“, fragte Lange.
„Genau das.“
„Haben Sie noch mehr Hinweise auf eine mögliche Nazivergangenheit von Herrn Fries?“
„Allerdings. Ich habe herausgefunden, dass er einmal in der Woche, und zwar immer Donnerstag abends, von einem schwarzen Mercedes abgeholt wird. Ich bin ihm einmal nachgefahren. Es ging zu einem Reiterhof südöstlich von Neckargemünd, völlig in der Pampa. Ich konnte dann beobachten, dass sich dort ziemlich viele Leute trafen. Ich sah mehrere PKW und vor allem auch – und das hat mich besonders