Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix

Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe) - S. G. Felix


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hinein!«, flüsterte Koros auffordernd.

      Antilius schlug die erste Seite auf. Dann blätterte er um. Und blätterte noch einmal. Er blätterte schließlich durch alle Seiten.

      Sie waren alle leer. Nicht ein einziger Buchstabe. Nichts.

      »Ich vermute, dass das kein Scherz sein soll«, mutmaßte Antilius misstrauisch und aufrichtig enttäuscht. Enttäuscht nicht darüber, dass es nichts zu lesen gab, sondern über sich selbst, dass er ernsthaft geglaubt hatte, Koros würde es ihm so leicht machen.

      »Was hast du gelesen?«

      »Nichts. Wie auch? Es ist ein leeres Buch.«

      »Da siehst du es, Antilius. Das ist es, was ich dir zu erklären versuche. Dieses Buch ist nur für mich. Nur ich bin imstande, es zu lesen. Nur ich kann es verstehen. Es ist für mich bestimmt.« In den Augen des Herrschers leuchtete ein Hauch von Wahnsinn auf.

      »Ich hoffe, du hattest deinen Spaß, mir ein leeres Buch in die Hand zu drücken«, sagte Antilius hasserfüllt.

      »Sei nicht verärgert. Ich war mir nicht ganz sicher, ob du das Buch nicht doch lesen könntest. Oder ob es zu dir sprechen würde. Also habe ich es dir gegeben. Deine Chance, es lesen zu können, war also echt. Ich habe dich daher nicht belogen. Aber jetzt hat sich meine Vermutung bestätigt. Nur ich kann es lesen.«

      »Und wieso nur du?«

      »Das ist mir genauso ein Rätsel, wie du es mir bist. Doch höre mich weiter an: Das Buch versucht jeden anzusprechen. Sogar mein Berater Wrax hat es gehört. Aber nur ich kann es lesen. Das Buch hat schon seit Generationen versucht, jemanden zu finden, den es für würdig erachtet, das Erbe des Transzendenten anzutreten. Es hat zu Unzähligen gesprochen, und alle waren unwürdig. Aber nun hat es mich gefunden.

      Du, Antilius, würdest niemals, weder das leiseste Flüstern vernehmen noch das Buch lesen können. Und das ist der Grund, warum du etwas Besonderes bist.

      Du bist für mich die andere Seite der Schlucht. Für mich auf ewig unerreichbar. Und vielleicht auch für mich gefährlich.«

      Antilius dachte über diese Worte nach. »Ich gehe davon aus, dass du mir nicht verraten wirst, was du in diesem Buch über mich gelesen hast, oder?«

      »Ich kann es dir nicht sagen, Antilius. Wenn ich es tun würde, dann gefährdete ich mein eigenes Vorhaben. Das Buch hat mich vor dir gewarnt. Aber jetzt, da ich sicher sein kann, dass du dich wahrhaftig an nichts erinnern kannst, was für mich von Bedeutung ist, kann ich dich noch leben lassen. Trotzdem werde ich dich im Auge behalten.« Koros machte eine kurze Pause. Dann begann er listig zu grinsen und fügte hinzu: »Es gibt aber auch einen anderen Grund, warum ich dir nichts erzählen möchte. Würde ich dir die Wahrheit über deine Vergangenheit erzählen, dann bin ich mir sicher, dass du schlagartig deinen Verstand verlieren würdest.«

      Antilius presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Ein Teil von ihm wollte Koros nicht glauben. Aber der andere Teil glaubte ihm, und das machte Antilius wütend. »Jetzt glaubst du, dass du Macht über mich hast, und es bereitet dir einen perversen Spaß, habe ich nicht recht?«

      Koros schien von Antilius’ Vorwurf tatsächlich getroffen zu sein. Eine Geste, die bei ihm sehr selten war. »Ich gebe zu, dass es verlockend ist, dich im Ungewissen über die zukünftigen Ereignisse zu lassen. Aber auch ich bin nicht übermächtig. Noch nicht. So ist es mir nicht möglich, deine Zukunft vorherzusagen. Ich habe mich noch nicht entschieden, was ich mit dir am Ende machen werde. Wenn das neue Zeitalter anbricht. Mein Zeitalter.

      Aber ich will noch abwarten. Ich kann dich bislang nur in deinen Träumen erreichen. Aber ich kann keinen telepathischen Kontakt zu dir aufnehmen, wenn du wach bist, Antilius. Weil du etwas Besonderes bist. Und deshalb rate ich dir, dich aus meinen Angelegenheiten herauszuhalten. Wenn du unbedingt Brelius finden möchtest, dann habe ich keine Einwände, sollte er noch leben, was ich jedoch stark bezweifle. Aber halte dich vom Zeittor fern.

      Das Flüsternde Buch hat mir von dir erzählt. Es hat mir von deinen Augen erzählt. Und es hat mir erzählt, dass mit diesen Augen etwas Besonderes, Einzigartiges verbunden ist.

      Und ich will, dass genau diese einzigartigen Augen, deine Augen sehen, was ich vollbringen werde.«

      »Vollbringen?«, fragte Antilius und fühlte plötzlich, wie etwas an seinem Arm zog. Etwas Unsichtbares rüttelte an ihm und wollte ihn nicht loslassen. Dann verspürte er ein schummeriges Gefühl in seinem Kopf. Er war im Begriff aufzuwachen. Er hatte völlig vergessen, dass er sich in seinem eigenen Traum befand.

      Der Himmel wurde blass. Alles verschwamm vor seinen Augen.

      »Ich freue mich schon auf unser nächstes Zusammentreffen«, sagte Koros und löste sich zusammen mit dem Hintergrund in nichts auf.

      Pais rüttelte Antilius mitten in der Nacht unsanft aus dem Schlaf.

      »Was ist los?«

      Pais stand mit gezückter Armbrust neben ihm und hatte die Ohren gespitzt. »Wir sind nicht allein«, flüsterte er.

      »O, nicht schon wieder«, murmelte Antilius in Erinnerung an seine letzte nächtliche Begegnung mit den Gorgens.

      Die Nacht war kalt und klar. Die Wolken, die noch am Morgen ihre Wasserfontänen auf die Erde ergossen hatten, waren den Tag über langsam immer weniger geworden und in der Dämmerung bis auf wenige Einzelgänger verschwunden. So konnte der große Mond Quathan in aller Stille sein blasses silbriges Licht verbreiten, sodass man zumindest ein wenig sehen konnte.

      »Gorgens?«, fragte Antilius und steckte sich Gilberts Spiegel, den er zum Schlafen beiseitegelegt hatte, wieder in die Brusttasche.

      »Weiß ich nicht. Es kam aus den Bäumen.« Pais schaute in den Wald, an dessen Rand sich das Nachtlager befand.

      Mittlerweile war auch Haif wach geworden und sprang ängstlich auf. »Ist dieses fliegende Gesindel wieder hier?«

      »Psst!« Pais wollte verhindern, dass sie sich durch die Stimmen verrieten.

      Dann erklang ein gellender animalischer Schrei von irgendetwas, das noch weit entfernt war, aber es kam diesmal nicht aus dem Wald, sondern aus der gegenüberliegenden Richtung.

      Alle drei drehten sich um.

      Es kam irgendwo aus der Ferne. Durch das Mondlicht konnte man weit in die Ebene hineinschauen, doch nichts war zu sehen.

      »Was war das?«, Antilius war sich sofort klar, dass es sich nicht um einen Gorgen handelte.

      »Piktins«, sagte Pais kühl.

      Der halb unterdrückte Schrei kam wieder, wiederholte sich und klang diesmal aber anders. Und die Schreie wurden lauter. Zwei Schreie. Zwei Piktins.

      Ein drittes Kreischen folgte. Und dann drei Schreie auf einmal.

      »Nichts zu sehen.«

      Antilius machte Anstalten, in die Hocke zu gehen, um aus seinem Rucksack seine Petroleumlampe herauszuholen, aber Pais bedeutete ihm, er solle sich nicht bewegen.

      »Licht wird uns bei diesen Kreaturen nichts nützen«, sagte er.

      »Wo sind sie?«, fragte Antilius, bereit die Flucht zu ergreifen.

      »Sie tarnen sich. Sie können sich an ihre Umgebung anpassen. Wir müssen zusammen bleiben. Sie lieben es, ihre Beute auseinander zutreiben. Das dürfen wir nicht zulassen.«

      Haif fing an, in Panik zu geraten: »O, nein! Das kann doch nicht das Ende sein! Das darf nicht wahr sein! Das habe ich nicht verdient. Wäre ich bloß nicht mit euch gegangen. Hätte ich mich bloß von euch ferngehalten! Ihr bringt mir nur Unglück.«

      »Sei still, du Narr oder du bist der Erste, den sie verspeisen«, fauchte Pais.

      Haif verstummte daraufhin. Die Angst lähmte sein Sprechvermögen. Sein Körperfell richtete sich auf, und er sah


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