GLOVICO. Ekkehard Wolf

GLOVICO - Ekkehard Wolf


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      „Wenn du sowieso da oben bist, mach’ doch einen kleinen Abstecher nach Norwegen. Wir können uns dort treffen,“ hatte Agnieszka Malik daraufhin angeregt und Ruth Waldner hatte zugestimmt. Um nach Beendigung der Inspektionsreise nicht gleich nach Moskau zurückkehren zu müssen, würde sie sich offiziell einige Tage frei nehmen, um ihre ‚Verwandten’ in Archangelsk zu besuchen. Das Urlaubsgesuch war vom Leiter der Konsularabteilung genehmigt worden. Ihre Dienststelle in Berlin hatte hiervon hingegen nichts erfahren. Dafür war der Mann informiert, für den Ruth Waldner schon seit ihrer Jugend tätig war.

      „Es wird also niemandem ungewöhnlich erscheinen, wenn ich für einige Tage nicht in Moskau erreichbar sein werde,“ resümierte die Frau mit den zwei Pässen jetzt während der Wagen die kleine Schlange vor der Grenze hinter sich gelassen hatte.

      Um vor unangenehmen Überraschungen sicher zu sein, hatte sie vorbeugend kurz vor der Abreise aus Murmansk ihr Handy abgeschaltet. Eine Ortung war also ausgeschlossen. Damit blieb ihr genügend Zeit, um von der Stadt am Nordmeer aus direkt nach Norwegen zu fahren. Vadim hatte ihr die notwendigen Papiere besorgt. Es würde zwar ein harter Zweitagestrip bis nach Eidfjord werden, aber die Sache, um die es ging, sollte besser unter vier Augen besprochen werden. Die Sache war dringlich. Das hatte ihr früherer und in gewisser Weise auch jetziger Vorgesetzter ohne lange Diskussionen eingesehen. Nach der gemeinsamen Meinung Beider hatte es nicht einer gewissen Ironie des Schicksals entbehrt, dass sie über die Vermittlung Haffners nunmehr zu legalen Kooperationspartnern gemacht worden waren.

      Der jetzige Oberst hatte als junger KGB Offizier entscheidend dazu beigetragen, dass die Familie Waldner in die BRD hatte ausreisen können. Als Gegenleistung hatte der Dienst auf der üblichen informellen Zusammenarbeit bestanden. Vadim war der Familie als „Führungsoffizier“ zugeteilt worden. Die Anregung ihrer polnischen Bekannten bot jetzt eine gute Gelegenheit, die Zusammenarbeit in neue Bahnen zu lenken. Dass ihr der Abstecher nach Norwegen auch aus anderen Gründen nicht unangenehm war, das hatte sie natürlich auch Vadim nicht unter die Nase gerieben. Seinen Vorschlag die Reise in Begleitung anzutreten hatte sie zunächst mit der Begründung abgelehnt, dass man heutzutage ja nicht mehr sicher sein könne, wen man sich da ins Boot holt. Da der FSB-Offizier nicht bereit war locker zu lassen, hatten sie sich schließlich gemeinsam darauf verständigt, dass Tolja fahren sollte. Damit war definitiv ausgeschlossen, dass innerdienstlich ein Dritter von der Sache Wind bekam.

      Alles lief wie geplant. Als Tatjana am Bahnhof der Nordmeerstadt ankam, wartete ihr Fahrer bereits. Der Grenzübertritt gestaltete sich ebenfalls problemlos, in den Augen Tatjanas zu problemlos. „Warum werden wir hier nicht gründlicher kontrolliert,“ fragte die Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft, BND-Agentin und langjährige inoffizielle Mitarbeiterin des KGB ihren „Ehemann“, der am Steuer des russischen Geländewagens der Marke Lada-Niva saß.

      „Keine Ahnung, sieht aus, als ob wir angekündigt sind,“ gab der Angesprochene grinsend zurück.

      „Das darf doch nicht wahr sein,“ ärgerte sich die Frau, die sich laut Passeintrag „Tatjana“ nannte, und fuhr lauthals fort: „Wer kann das gewesen sein?“ Stark stimmungsabhängig zu reagieren gehörte zu den ausgesprochenen Schwächen der Frau mit den vielen Gesichtern. Sie konnte „aus dem Stand heraus“ ohne jede Vorwarnung von einem Stimmungshoch in ein abgrundtiefes Loch fallen. Nachdem ihr diese Gemütsschwankungen bewusst geworden waren, hatte sie viel Energie darauf verwandt, diese Schwäche in eine Tugend zu verwandeln. Üblicherweise hatte sie die Überleitungen mittlerweile so im Griff, dass sie mit Gefühlsausbrüchen spielen konnte, wie auf einer Tastatur. Je nach Bedarf und Belieben spielte sie insbesondere bei Männern die Unbedarfte, die mit trauriger Miene dringend auf Hilfe angewiesen war, um im nächsten Augenblick wie einen widerspenstigen Gesprächspartner wie eine Furie an die Wand zu drücken. Aber eben nur üblicherweise. Gerade jetzt waren die Pferde wieder einmal mit ihr durchgegangen. Wenn eine Situation begann kritisch zu werden, stieg die Gefahr, dass sie die Kontrolle verlor. Tolja wusste das, machte daher eine lässige Handbewegung in Richtung auf seine Brieftasche und erwiderte: „Da war vorher mehr drin.“ „Tatjana“ hatte verstanden. Mit Geld konnte man in Russland eben alles machen. Auf norwegischer Seite ließ sich diese Methode selbstverständlich nicht wiederholen. Da aber die Papiere in Ordnung waren, gab es auch hier keine Veranlassung für ernsthafte Verzögerungen. In Kirkenes verbrachte das Paar die Nacht in getrennten Zimmern. Am nächsten Morgen warteten beide auf dem Flugplatz bis 11.15 Uhr auf den Flug nach Bergen, wo sie um 15.20 Uhr landeten. In der Stadt mit dem alten Hansekontor nahmen sich beide einen Leihwagen. Um Tolja eine Freude zu machen, willigte Tatjana ein, einen Range Rover anzumieten. Das wenige Gepäck war in dem großen Geländewagen schnell verstaut. Der Kosak setzte sich ans Steuer und lenkte das schwere Fahrzeug auf die Straße, auf der bereits zwei dunkle BMW-Limousinen der 7’er Reihe warteten.

      Für Viola Ekström verlief die Nacht auf dem Schiff keineswegs so wie erhofft

      Für Viola Ekström verlief die Nacht auf dem Schiff keineswegs so wie erhofft. Zwar hatte sich nach dem Essen in der Bar zunächst ein attraktiv wirkender Schwede mit fast akzentfreiem Englisch an sie herangemacht. Die Erwartung auf ein unkompliziertes Date verflog jedoch recht schnell, nachdem sich ein weiterer Fahrgast zu ihnen gesellte. Der Amerikanerin wurde klar, das sich die beiden Männer kannten und offenkundig versuchten, sie entsprechend abgefüllt zu einem flotten Dreier zu veranlassen. Aber darauf stand der jungen Frau aus Kentucky nun einmal nicht der Sinn. Nicht, dass ihre Neugierde auf diesem Gebiet bereits befriedigt worden wäre. Sie hatte sich schlicht bereits vor Jahren auf dem Kollege entschlossen, sich auf derartige Spielchen nicht einzulassen. Es waren ausgerechnet ihre Kommilitonen gewesen, die ihr mit ihren Prahlereien über das, was sie in solchen Situationen mit dem Mädchen alles angestellten, die Lust auf derartige Erlebisse gründlich verdorben hatten. Aus vorweggenommener Rache für die entgangene Nachtbegegnung hatte sie die beiden Männer zwar erst noch kräftig angebaggert, um ihnen das Gefühl zu geben, da würde was gehen. Aber da es für den Aufbau einer weiteren Bekanntschaft bereits zu spät war, nutzte die junge Frau gegen 23.00 Uhr die Gelegenheit eines Gangs zur Toilette, um die beiden Schweden mit ihren Begehrlichkeiten allein zu lassen.

      Zurück in ihrer Kabine packte sie ihr Notebook aus, stellte per Wireless LAN eine Verbindung zum Internet her und klinkte sich in ein laufendes Chatforum ein, in dem über Zombierechnern diskutiert wurde. Das, was sie dort erfuhr, passte zwar in das Bild, das ihr der unerwartete Besucher am Abend zuvor vermittelt hatte, trug aber zugleich dazu bei, dass sie der Begegnung des kommenden Tages mit abermals deutlich gemischteren Gefühlen entgegensah, als bisher.

      Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht verließ Viola Ekström die Fähre am nächsten Morgen bereits in Egersund.

      „Ich hab’ wirklich keine Lust, die beiden Typen jetzt noch den ganzen Vormittag zu ertragen,“ hatte sie sich für diesen Entschluss selbst gerechtfertigt. Am Hafen hatte sie sich einen Mietwagen genommen. Bei dem Fahrzeug handelte es sich um einen kleinen Bus älteren Typs von Volkswagen.

      „Notfalls kann ich mich da über Nacht einrichten,“ entschied die junge Frau. Die Fahrt über die neue Küstenstraße über Stavanger war anschließend ohne Probleme verlaufen. Auch das vereinbarte Haus, in dem das Treffen stattfinden sollte, hatte sie auf Anhieb ausfindig machen können. Der Schlüssel hatte verabredungsgemäß unter der Fußmatte gelegen. Bei ihrem Eintreffen war es erst kurz vor 18.00 Uhr gewesen. Ihr war damit ausreichend Zeit geblieben, sich im Gebäude selbst und in der näheren Umgebung ein wenig umzusehen. Außer ihrem Haus gab es noch vier andere Häuser gleicher Bauweise auf dem Gelände. Keines davon war belegt. Das Grundstück vor dem Haus mündete direkt an einen Fjord. Ein kleiner Bootsanleger mit einem Ruderboot bot der Besucherin Gelegenheit, ihre Lebensgeister unbeobachtet bei einem Bad im kalten Wasser zu reaktivieren.

      Sie liebte diese Form der Entspannung. Gleich nach ihrer Ankunft hatte das tiefe Blau des Wassers an dem langgezogenen Fjord sie magisch angezogen. Sie liebte auch das klare, kalte Wasser. Das war einer der Gründe, warum sie keinerlei Probleme damit hatte, in Schottland ihren Dienst zu verrichten. Auch dort fanden sich solche Gewässer.

      Die


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