Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen. Tobias Fischer

Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen - Tobias Fischer


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ich die ganze Geschichte hören, sonst setzen Sie den weiteren Weg allein fort«, zischte sie ihm missmutig zu.

      Veyron deutete ein kurzes Salutieren an. »Wie Sie wünschen, General Willkins.«

      Eine Stunde später legte die Fähre ab, und die Fahrt ging über den Ärmelkanal nach Europa. Calais erwartete sie.

      Zunächst genehmigte sich Jane ein ausgiebiges Mittagessen im Bordrestaurant, während ihr Veyron endlich von seiner neuen Klientin erzählte. In Elderwelt werde sie »Seelenkönigin« genannt und sei die Herrscherin eines kleinen Landes. Einst eine Anhängerin des Dunklen Meisters, wolle sie nun nichts mehr mit diesem Unhold zu schaffen haben. Deswegen plane der Dunkle Meister ihre Ermordung auf einer internationalen Konferenz, welche von den Simanui einberufen worden sei. Veyrons Auftrag sei es, den Attentäter des Dunklen Meisters unter dem Gefolge der Könige und Regenten Elderwelts aufzuspüren.

      »Kein Wunder, dass Tom da nicht mitmachen wollte«, meinte Jane, nachdem Veyron mit seinen Erklärungen fertig war. »Welcher normale Mensch würde denn schon gern im Dienste einer Hexe stehen, die früher obendrein für den Dunklen Meister gearbeitet hat.«

      Veyron nickte bestätigend. »Tom ist ein junger Idealist, der felsenfest daran glaubt, dass Gut und Böse streng voneinander getrennt sind. Sicher ist das in seinem Alter normal. Waren wir nicht alle ausgesprochen idealistisch in unserer Jugend?«, erwiderte er mit einem Seufzen.

      Jane musste lachen. »Es ist besser, wenn Sie nicht wissen, was ich in meiner Jugend angestellt hab. Mit Idealismus hatte das ganz sicher nichts zu tun«, sagte sie und stieß ein amüsiertes Lachen aus, als sie seinen verblüfften Gesichtsausdruck bemerkte. Anschließend fragte sie ihn, was sie wohl diesmal in Elderwelt erwarten würde, aber Veyron wusste darauf keine Antworten.

      Nach dem Mittagessen spürte Jane, wie sie ein wenig seekrank wurde. Bevor die Übelkeit ein unerträgliches Maß erreichte, suchte sie den Ruhebereich des Schiffs auf und legte sich hin. Die aufregende Nacht rund um die Verhaftung Henry Fowlers und der Schlafmangel setzten ihr schwer zu, und es stand nicht zu erwarten, dass die nächste Zeit weniger aufreibend werden würde. Deshalb sollte sie jede Gelegenheit nutzen, um ein wenig abzuschalten. Veyron hatte die Reise nach Rumänien mit rund zwanzig Stunden veranschlagt. Ausreichend Zeit also, um sich zu erholen.

      Ein Steward weckte sie nach der Ankunft in Calais. Zusammen mit Veyron verließ sie das Schiff und spazierte eine Weile über die weitläufige Hafenanlage. »Hier im Hafen gibt’s nur jede Menge Beton, Teer und Stahl. Ich würde mir gern das Stadtleben ansehen, wenn ich schon mal in Frankreich bin.«

      Veyron hob interessiert die Augenbrauen, als er das hörte. »Sie waren noch nie in Frankreich?«

      »Nein. Im Urlaub zieht es mich eher an die Strände weiter südlich. Spanien, Mexiko, Ägypten, Mallorca … wo man halt Spaß haben kann«, antwortete sie. Innerlich biss sie sich sogleich auf die Zunge, als sie einen Anflug von Enttäuschung auf seinem Gesicht auszumachen glaubte. Kurz darauf wirkte er jedoch wieder so neutral und beherrscht wie eh und je.

      »Natürlich. Ich vergaß, dass Sie ja in Kürze erst zwanzig werden«, meinte er mit einem frechen Lächeln.

      Jane spürte Hitze in ihrem Gesicht aufsteigen. Möglichst gelassen sagte sie: »Schön wär’s. Aber ich hab mich gut gehalten für fast zweiunddreißig, oder?«

      »Ach, sind Sie doch schon so alt?«

      »Sie sind ein Arsch!«

      »Ist mir immer wieder ein Vergnügen, liebe Willkins.«

      Am liebsten wollte sie ihm noch eine Reihe weiterer Beleidigungen an den Kopf schmeißen. Da war sie wieder, seine fiese Art. Die ganzen Besserungen seines Charakters schienen mit einem Mal wie weggeblasen.

      Plötzlich blieb ein rumänischer Truck neben ihnen stehen. Die Beifahrertür schwang auf, und Miss Davis lächelte ihnen beiden kokett zu. »Wie ein altes Ehepaar, entzückend. Steigt ein, es geht sofort weiter«, sagte sie.

      Eine unsichtbare Hand schien Jane an den Schultern zu packen und förmlich in das Innere des Trucks zu ziehen. Entsetzt starrte sie Miss Davis an, die ein wahrhaft teuflisches Grinsen aufgesetzt hatte. Janes Augen weiteten sich noch mehr. Waren das etwa Fangzähne, die ihr da entgegenblitzten? Hinter ihr stieg Veyron ein und schloss die Tür.

      »Die anderen Lastwagen nehmen unterschiedliche Routen zum Ziel, nehme ich an?«, fragte er.

      Miss Davis nickte. »Eine Vorsichtsmaßnahme, um die Spione des Dunklen Meisters zu täuschen. Sie werden sich aufteilen müssen, um uns alle zu verfolgen, und nicht jeder der Trucks fährt nach Rumänien«, erklärte sie. Dann schnippte sie mit den Fingern, und der Kerl am Steuer, ein kräftig gebauter junger Mann, legte den Gang ein und fuhr los.

      »Das ist Radu, der zuverlässigste meiner Fahrer«, stellte Miss Davis ihn vor. Sie berührte ihn an den Schultern und schmiegte sich in fast schon zutraulicher Art und Weise an ihn. Radu schien es nicht zu bemerken, sondern starrte nur geradeaus. Er zuckte nicht einmal zusammen, als die Rechte von Miss Davis unter sein Hemd glitt. »Er ist ausnahmslos treu und besitzt noch weitere entzückende Qualitäten«, meinte sie, schnurrend wie eine Katze.

      Janes rechte Augenbraue zuckte skeptisch. Mit einem vorwurfsvollen Blick wandte sie sich an Veyron. »Aha«, knurrte sie. Offenbar verschwieg er ihr weiterhin einiges, nicht nur Kleinigkeiten.

      Veyron zuckte jedoch in ahnungsloser Geste die Schultern. »Vielleicht können Sie sich Radu ja mal ausleihen, falls Sie ebenfalls gewisse Bedürfnisse entwickeln«, flachste er.

      Jane stieß ihm grob den Ellenbogen in die Seite, was Veyron jedoch nur kurz auflachen ließ.

      Von Calais ging es über die Grenze und quer durch Belgien, danach durch Deutschland. Um kurz nach acht Uhr abends machten sie in Frankfurt bei einem Schnellrestaurant halt, wo Jane auf die Toilette musste und Miss Davis für Radu ein Getränk und einen Burger organisierte. Veyron verzichtete aufs Essen. Als alle wieder eingestiegen waren, ging die Fahrt weiter. Irgendwann schlief Jane ein, wobei ihr nichts anderes übrig blieb, als sich an Veyron anzulehnen. Anstatt sich zu wehren, versuchte er sogar, es ihr so bequem wie möglich zu machen. Als sie viele Stunden später wieder aufwachte, waren sie gerade auf einen Rastplatz gerollt. Jane blinzelte gegen das noch junge Morgenlicht und rieb sich die Augen.

      »Wie spät ist es?«

      »Fünf Uhr. Guten Morgen, Willkins. Budapest liegt bereits hinter uns, falls Sie es wissen wollen«, sagte Veyron.

      Jane reckte sich ein wenig, nur um festzustellen, dass alles schmerzte. Sie musste total verspannt sein. »Wo sind Radu und Miss Davis?«, fragte sie müde.

      »Es ist wohl gescheiter, wenn Sie das nicht wissen. Sie gönnt dem armen Mann keine Pause. Zum Glück ist er in bester körperlicher Verfassung. Ich meine natürlich Ruhepausen und Zeit zum Schlafen, nicht das, was Ihnen jetzt in den Sinn kommen mag. Wir sind die ganze Nacht durchgefahren«, erklärte er.

      Jane sah sich um, dann entschuldigte sie sich schnell. Auch sie drückten nun gewisse Bedürfnisse. Sie sprang aus dem Lastwagen und ließ Veyron allein. Als sie wenige Minuten später zurückkehrte, sah sie Radu und Miss Davis, die über alle Maßen fröhlich wirkte, aus einer anderen Richtung auf den Truck zuschlendern. Der arme Fahrer dagegen sah aus wie ein Häuflein Elend. Den Blick starr geradeaus gerichtet, wirkte er jedoch seltsamerweise noch immer würdevoll.

      Vielleicht hatte Tom recht, als er es ablehnte, mit auf diese Reise zu gehen. Diese Miss Davis ist ja schlimmer als ein Folterknecht, dachte Jane. Kommentarlos stieg sie ein, nur um festzustellen, dass Veyron eingeschlafen war. Wie harmlos und friedlich er aussah, ganz entspannt und überhaupt nicht konzentriert. Die Fahrt ging weiter.

      Sie passierten die Grenze nach Rumänien, und um Punkt zwölf erreichten sie das Gebiet Siebenbürgen, das tiefste Herz Rumäniens. Jane war von der Schönheit der friedlichen Landschaft recht angetan. Grüne Hügel, die sich wie sanfte Wellen aneinanderreihten, unterbrochen von blau glitzernden Flüssen, die sich durch die Täler schlängelten und die weiten, dunklen Fichtenwälder teilten. Dahinter hoben sich die Karpaten gegen den blauen Himmel ab, majestätisch


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