Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen. Tobias Fischer

Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen - Tobias Fischer


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der Stelle nach Elderwelt aufbrechen, entschied er. Sofort eilte er hinauf in sein Zimmer, packte Jacke, feste Schuhe, ein paar Ersatzhosen und T-Shirts zusammen und stopfte alles in seinen Rucksack. Ganz gleich, was er letzte Nacht zu Veyron gesagt hatte, niemals würde er seinen Paten allein nach Elderwelt reisen lassen – in ganz offensichtliche Gefahr.

      Sein Smartphone piepte, schnell nahm er es zur Hand. Eine Nachricht von Jane.

       Fahren jetzt durch Belgien. Veyron und mir geht’s gut. Seine Klientin macht mir echt Angst. Ich werde aufpassen.

       LG, Jane

      Tom klatschte die Hand an die Stirn und stöhnte entnervt. Veyron hatte Jane bequatscht, dass sie ihn begleitete. Na, immerhin war er nicht allein. Jedoch war Jane mit Elderwelt und seinen Gefahren so gut wie gar nicht vertraut. Diese Tatsache festigte Toms Entschluss, sofort nach Elderwelt aufzubrechen. Jane und Veyron brauchten seine Hilfe.

      Plötzlich klingelte es an der Haustür.

      »Das nicht auch noch. Ich habe weder Zeit für Mrs. Fullers Geschwafel noch für irgendwelche Klienten, die Veyron einbestellt hat. Oder gar für Inspektor Gregson, der noch ein paar Fragen hat«, murrte er. Es klingelte wieder. Aufgebracht warf er seinen Rucksack hinaus in den Flur und stürmte nach unten. Wer immer es war, er würde ihn abwimmeln. Als er die Haustür aufriss, hatte er sich schon die passenden Worte zurechtgelegt. Doch nun stutzte er überrascht.

      Zwei junge, sehr attraktive Mädchen standen vor der Tür, beide im selben Alter wie er selbst, zwei wahrhaftige Schönheiten. Die umwerfende, aufregende Lilly Rodgers – und die nicht weniger bezaubernde Vanessa Sutton. Zwei wahre Engel, Lilly brünett, Vanessa blond; die beiden begehrtesten Mädchen an der ganzen Schule – mit nur einem Makel. Und der lautete Vanessa.

      Ausgerechnet Vanessa, ebenso attraktiv wie durchtrieben! Das Mädchen, welches er am wenigsten leiden konnte, stand auf seiner Schwelle. Sie hatten mal was miteinander gehabt, sie und Tom. Es war nicht gut ausgegangen. Das Biest hatte ihn hintergangen – mit gleich zwei anderen Typen. Einer davon war ausgerechnet Lillys vor Arroganz platzender Bruder Stevie gewesen.

      »Hi, Tom«, begrüßte sie ihn etwas verlegen.

      Tom schüttelte den Kopf. Vanessa Sutton! Allein ihr Anblick trieb ihm die Zornesröte ins Gesicht. »Dafür hab ich keine Zeit«, schnappte er und wollte die Tür schon zuschlagen.

      Doch Lilly Rodgers trat ihm einen Schritt entgegen, packte die Tür und stemmte sich dagegen. Deutliche Anspannung stand ihr im Gesicht. »Oh bitte, Tom«, flehte sie, »wir müssen mit deinem Onkel reden. Wir brauchen seine Hilfe.«

      Er holte tief Luft, um den beiden zu sagen, dass sie ein andermal kommen müssten. Aber dann schaute ihn Lilly aus ihren einzigartigen, großen, grünblauen Augen flehentlich an.

      »Es ist wirklich dringend. Es geht um Ernie. Nur dein Onkel kann uns noch helfen«, sagte sie. So wie ihre Stimme dabei klang, schien sie es ernst zu meinen.

      Erst jetzt fiel Tom auf, dass Vanessa verunsichert auf ihrer Lippe kaute und regelrecht aufgewühlt wirkte. Da war eindeutig etwas im Gange. Okay, dachte er. Elderwelt kann noch zehn Minuten warten. Aber keinesfalls länger! »Veyron ist nicht da«, grummelte er, während er zur Seite trat, damit die beiden Mädchen ins Haus konnten. Wütend warf er die Haustür hinter ihnen zu. Wehe, wenn er seine Zeit mit diesen dummen Zicken verschwendete, während Veyron und Jane seine Hilfe brauchten!

      »Dann warten wir auf ihn«, verkündete Lilly, als Tom an ihr vorbei eilte.

      Er führte sie ins Wohnzimmer, wo er ihnen Platz auf der Couch anbot. »Was wollt ihr von Veyron?«

      »Dein Onkel ist doch Detektiv, richtig? Er soll uns helfen, Ernie zu finden«, erklärte Vanessa halblaut.

      Tom verzog kurz das Gesicht. Das Ganze mit Vanessa war zwar inzwischen zwei Jahre her –, aber es ärgerte ihn noch immer wie am ersten Tag.

      »Da könnt ihr gleich zur Polizei gehen«, blaffte er die Mädchen an. »Veyron interessiert sich nur für ganz spezielle Fälle. Vermisste Jungs aufzuspüren, ist nicht sein Metier.« Am liebsten hätte er sie sofort wieder hinausgeworfen. Er musste nach Elderwelt, und sie belästigten ihn mit diesem Unsinn.

      »Nein«, rief Vanessa verzweifelt. »Die Bullen werden Ernie sofort verhaften. Glaub mir, Tom: Nur dein Onkel kann uns noch helfen!«

      »Redest du wirklich von dem Ernie? Von Ernie Fraud?«, fragte er verblüfft. Tom kannte den Jungen nur flüchtig. Ein hagerer Kerl, verschlossen und schüchtern. Erst letztes Jahr war Ernie neu an die Schule gekommen. Ein richtiger Außenseiter, der von allen gemieden und gehänselt wurde. Lillys Bruder, das Oberarschloch Stevie, hatte sich des Öfteren einen Spaß daraus gemacht, Ernie zu jagen und unter Druck zu setzen. Um die Lage noch schlimmer zu machen, war Ernie zu dieser Zeit unsterblich in die schöne Lilly verliebt gewesen.

      »Ja, ich meine den Ernie Fraud. Gibt es denn noch einen anderen?«, maulte Vanessa und biss sich danach gleich wieder auf die Lippe.

      Tom konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. »Seltsam … Ich dachte, du kannst ihn nicht leiden? Erst letztes Jahr hast du Stevie doch gesteckt, dass Ernie Lilly nachstellt«, sagte er. Ein böses Triumphgefühl begann ihn zu erfüllen, als er sah, wie Vanessa sämtliche Gesichtszüge entglitten, wie sie in regelrechte Panik geriet und vor Verlegenheit glutrot anlief.

      »Es war nur eine Schwärmerei von Ernie, und mein Bruder ist ein Idiot. Ernie und ich, wir haben das schon lange geklärt«, warf Lilly rasch ein, um einen Streit zu verhindern. »Sei nicht so gemein zu Vanny! Jeder macht mal Fehler!«

      Tom zuckte ob dieser Kritik kurz zusammen, und ein wenig schämte er sich für seine Boshaftigkeit –, aber eben nur ein wenig.

      »Tut mir leid. Also, was ist das mit Ernie? Warum ist es dir so wichtig, dass Veyron ihn sucht?«, wandte er sich wieder an Vanessa.

      Sie schloss kurz die Augen und faltete die Hände, damit sie nicht zitterten. »Ich liebe ihn. Eigentlich habe ich das immer, und ich war total eifersüchtig, weil er nur Augen für Lilly hatte. Aber jetzt nicht mehr, er hat es mir gesagt. Er liebt mich auch. Oh mein Gott, wir sind wirklich total ineinander verknallt!«, sprudelte es zwischen ihren bezaubernden Lippen hervor.

      »Ach was? Ich dachte, die Sache mit Stevie wäre noch aktuell«, meinte er mit einem neuen Anflug von Boshaftigkeit, was Vanessa erneut vor Verlegenheit rot anlaufen ließ.

      »Lass den Scheiß, Tom! Wir brauchen die Hilfe von deinem Onkel, und wir brauchen sie jetzt! Das ist kein Spaß!«, fauchte sie ihn an, was Tom regelrecht zusammenzucken ließ. Gleich darauf hatte sie sich wieder in der Gewalt und fügte ein leises »Bitte, hör es dir zumindest an«, hinzu.

      Okay, dachte er, sei wie Veyron. Immer ganz cool. Er räusperte sich und setzte sich in Veyron großen Ohrensessel. Genau wie sein Pate legte er die Fingerspitzen aneinander. »Also gut, dann erzählt mir, was los ist. Vielleicht kann ich Veyron überzeugen, euren Fall zu übernehmen«, meinte er mit dick aufgetragener Arroganz. Vor allem gegenüber Vanessa wollte er deutlich machen, wer hier das Zepter in der Hand hielt. Ganz gleich, wie sehr sich Lilly auch für ihre Freundin ins Zeug legte: Er konnte – und wollte – Vanessa einfach nicht ausstehen.

      »Ernie schreibt mir Liebesbriefe, jeden Tag einen neuen. Er ist wirklich unglaublich süß. Mann, Stevie würde Ernie vor Eifersucht umbringen, wenn er das wüsste – oder andersherum. Ernie ist nicht mehr der dünne, schmächtige Kerl, der letztes Jahr an unsere Schule kam. Er ist erwachsen geworden und macht jetzt sehr viel Sport. Früher war er in Sport immer eine Null, aber jetzt ist das anders«, erzählte Vanessa.

      Ein seltsames Strahlen schien sie dabei zu erfüllen, ein Glücksgefühl, das Tom noch nie zuvor an ihr beobachtet hatte. Keine Frage, sie meinte es mit ihrer Liebe zu Ernie wirklich ernst. Konzentriere dich auf die Fakten, mahnte ihn eine innere Stimme. So viel hatte er von Veyron schon gelernt: Er durfte sich nicht von seinen persönlichen Gefühlen ablenken lassen, wenn er einem Fall nachging. »Ernie macht Sport? Das wäre mir neu. Soweit ich weiß, ist er in keiner


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