Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen. Tobias Fischer

Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen - Tobias Fischer


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Steinen immer wieder ab. Veyron hielt die Felsen mit ausgestrecktem Arm auf Abstand, während sie Meter für Meter nach oben gezogen wurden, damit sie nicht dagegen pendelten. Jane klammerte sich fest an Veyron, um nicht ebenfalls abzurutschen und den Schattenwölfen doch noch zur Beute zu werden. Sobald sie sich jedoch der Kante der Schlucht näherten, dirigierte Veyron sie aus den Baumkronen heraus. Mühsam krabbelte Jane mit seiner Hilfe über den Grat und blieb einen Moment keuchend liegen, bevor sie Veyron ihre Hand reichte und auch ihn hochzog. Kaum hatte er den ebenen Waldboden erreicht, löste Veyron die Seilwinde vom Gürtel und fischte zwei runde Gegenstände aus seiner Jackentasche.

      Jane wich zurück. »Handgranaten!«, rief sie erschrocken.

      Mit den Zähnen zog Veyron die Splinte ab und warf die beiden Granaten in die Schlucht, hinunter zu den Schattenwölfen. Zwei Explosionen erklangen, begleitet von lautem Jaulen und Winseln. Zufrieden blickte Veyron über den Rand nach unten.

      »Vier erwischt, drei sind noch übrig. Aber wir haben ein paar Minuten Vorsprung, ehe die Bestien wieder auf unserer Spur sind. Los jetzt, wir müssen zu diesem Durchgang gelangen«, sagte er.

      Sie rannten weiter, folgten einem Trampelpfad, der mal steil nach oben, dann wieder ebenso steil nach unten führte, ehe sie aus dem verfluchten Wald herauskamen. Endlich befanden sie sich auf jener Lichtung, von der die Seelenkönigin gesprochen hatte. Jane atmete erleichtert auf, während sie auf den Torbogen zu hetzte.

      Anders als der Durchgang nach Elderwelt, den sie bisher kennengelernt hatte, bestand dieser hier nicht aus Stein. Zwei uralte Bäume, nebeneinander hochgewachsen, hatten sich auf einer Höhe von vier Metern vereinigt und ihre gewaltigen Stämme ineinander verdreht, sodass darunter ein Torbogen entstanden war.

      »Haben Sie denn Ihren Erlaubnisstein dabei?«, keuchte Jane angestrengt, als sie den Durchgang schließlich erreichten. Ohne diese magischen Steinchen war es nicht möglich, nach Elderwelt zu gelangen. Sie könnten durch den Torbogen hin und her springen, wie sie wollten; ohne einen Erlaubnisstein blieb ihnen die Magie Elderwelts versagt.

      »Nein, den hat Tom in seinem Geldbeutel«, sagte Veyron und blickte hoch in den Himmel.

      Als wäre dies ein Stichwort gewesen, stürzte die Seelenkönigin aus der Luft und landete hart auf dem Boden. Mit einem schmerzerfüllten Schrei brach sie zusammen. Ihre schwarzen Flügel verwandelten sich wieder in die riesige Schleppe, die sie nun wie ein Leichentuch einhüllte. Veyron rannte zu ihr, Jane atmete tief durch und folgte ihm. Wie sich herausstellte, war die Seelenkönigin schwer verwundet, schwarzes Blut lief aus einer klaffenden Wunde an ihrer Hüfte. Der Bestiengeneral hatte sich also als der geschicktere Kämpfer erwiesen.

      Und da war er auch schon. Mit einem triumphierenden Grinsen auf seinem Monstergesicht landete er am Rand der Lichtung, und zu seinen Seiten erschienen seine drei verbliebenen Schattenwölfe. Jane und Veyron halfen der Seelenkönigin auf die Beine, stützten sie und schleppten sie in Richtung des Durchgangs.

      »Euren Erlaubnisstein, Mylady«, meinte Veyron mit herzloser Kälte.

      Die Dämonin griff unter ihr schwarzes Gewand und brachte einen feuerroten Kieselstein zum Vorschein. Veyron nahm ihn fest in die Faust. Jane blickte zum Bestiengeneral und seinen Monstern, die sich aufteilten und nun von allen Seiten auf sie zukamen. Jegliche Flucht schien aussichtslos.

      Plötzlich erklang von der anderen Seite der Lichtung lautes Heulen, kräftiger und gesünder klingend als das der Schattenwölfe. Jane blieb vor Schreck fast das Herz stehen, als sie sah, was nun geschah. Ein ganzes Rudel Wölfe war aufgetaucht – als würden die Monster des Schattens nicht schon genügen. Mit gefletschten Zähnen und nach hinten gerichteten Ohren stürmten sie über die Lichtung, genau auf Jane und Veyron zu.

      Dann ist es also soweit, dachte sie voll Bitterkeit. Von wilden Bestien zerfetzt. Danke, Veyron Swift. Was für ein grandioses Ende!

      Doch die Wölfe preschten an ihnen vorbei, ihren durch dunkle Zauberkraft verderbten Vettern entgegen. Dem Rudel folgte ein einzelner Mann, von seiner einfachen, praktischen Kleidung her ein rumänischer Schäfer. Doch in seinen Händen hielt er ein großes, langes Schwert, in dessen Klinge grüne Juwelen in einem verschnörkelten Muster eingelassen waren. Sie begannen zu glühen, und ein Blitz sprang von der Klinge fort, traf einen der Schattenwölfe und tötete das Ungeheuer mit einem Schlag.

      »Ein Simanui!«, rief Jane begeistert und begann zu lachen. »Wir sind gerettet! Endlich tun diese Zauberer einmal was!«

      Die Ankunft eines Ritters des Lichts schien auch den Bestiengeneral zu überraschen. Unter seiner schwarzen Kutte zog er nun seinerseits ein Schwert hervor und wich zum Waldrand zurück, während seine Schattenwölfe ihren irdischen Artgenossen entgegensprangen.

      Den Rest der Schlacht bekam Jane nicht mehr mit. Jemand packte sie an der Schulter und stieß sie durch den magischen Torbogen.

      Die Welt um sie veränderte sich schlagartig. Von einer Sekunde auf die nächste befand sie sich nicht mehr auf jener Lichtung in den Karpaten, sondern auf einem kalten, tristen Festungshof, umgeben von uralten Mauern. Menschen in dicken Kutten saßen im Kreis auf dem Boden, wärmten sich die Hände an einem kleinen Lagerfeuer. Kinder rannten über den Hof und spielten Fangen.

      Als sie die drei Neuankömmlinge bemerkten, die soeben aus dem Torbogen der Illauri traten, schreckten alle im Hof auf.

      »Sie ist zurückgekehrt«, keuchte eine alte Frau. »Die Seelenkönigin ist zurückgekehrt!«

      Gespenstische Ruhe kehrte ein. Jane biss sich auf die Lippe. Was nun wohl geschehen würde?

      Still erhoben sich die Menschen von ihren Ruheplätzen. Mütter nahmen ihre Kinder in die Arme und verbargen sie eilig vor dem Antlitz der bleichen Königin. Jane sah, wie selbst die größten und kräftigsten Männer die Köpfe neigten und die Blicke senkten, als fürchteten sie, dem Glosen in den Augen der Dämonin zu begegnen. Das eben noch herrschende Leben auf diesem kalten, finsteren Hof verwandelte sich mit einem Mal in eine bedrückende Stille. Die Angst war überall zu spüren, greifbar wie nichts sonst; eine grausame, stille Furcht vor jener schwarzen Königin. Jane schaute Veyron vorwurfsvoll an. Wo hatte er sie da nur hingebracht? Doch Veyron blieb wie üblich äußerlich ganz gelassen.

      Schwarz uniformierte Wachen eilten herbei. Als sie näher herankamen, erkannte Jane, dass trotz ihres zackigen Schritts ihre Augen trüb waren, der Blick starr geradeaus gerichtet. Rücksichtslos stießen sie alle Menschen zur Seite, die ihnen im Weg standen, und hoben ohne ein Wort die verletzte Seelenkönigin auf ihre Arme und trugen sie fort. Niemand nahm Anteil an ihrer Verwundung, niemand blickte ihr hinterher. Allerdings wagte sich auch niemand zu freuen. Still und bedrückt zogen die Menschen von dannen, ließen Veyron und Jane allein unter dem Torbogen stehen.

      Wir sind am Hof einer verhassten Tyrannin gelandet, erkannte Jane entsetzt. Konnte es sein, dass Veyron diesmal einen fatalen Fehler begangen hatte?

      3. Kapitel: Toms Mission

      Als sich Tom vollkommen übermüdet aus dem Bett quälte und den Weg von seinem Dachspeicherzimmer nach unten in die Küche nahm, war es bereits später Nachmittag. Von Veyron war weder etwas zu hören noch zu sehen. Eine seltsame Stille herrschte im ganzen Haus. Für gewöhnlich marschierte sein Pate um diese Zeit in seinem Arbeitszimmer auf und ab, oder es dröhnte laute Musik durch alle Zimmer.

      In der Küche angekommen fand Tom einen kleinen, sauber gefalteten Zettel auf dem Tisch. Veyron hatte mit dem Kugelschreiber eine Nachricht hingekritzelt.

       Entschuldige, Tom, ich fürchte, ich vermag der Versuchung nicht zu widerstehen. Ich zitiere an dieser Stelle Martin Luther: »Hier stehe ich und kann nicht anders.« In ein paar Wochen sehen wir uns wieder. Für dein Auskommen ist gesorgt. Mrs. Fuller weiß Bescheid. Halte die Ohren steif.

       V. S.

      »Du Vollidiot, du Riesenarschloch!«, schimpfte Tom seinen nicht anwesenden Paten aus, zerknüllte den Zettel und schleuderte ihn mit aller Kraft durch die Küche.

      Veyron


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