Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen. Tobias Fischer

Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen - Tobias Fischer


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geschaffen worden sei, um die Gesellschaft zu kontrollieren, dann fielen ihm die Augen zu, und er schlief über dem Schwarzen Manifest ein. Die kurze und aufregende Nacht forderte ihren Tribut.

      Als er wieder aufwachte, schien bereits die Sonne durch die Fenster herein. Er fand sich auf der einzigen Couch in Wimilles Wohnung wieder. Sein Gastgeber selbst war nirgendwo zu finden, dafür aber ein Zettel mit ein paar Informationen: Er sei einkaufen gefahren, um sich neu einzukleiden, und er schlage Tom vor, dies ebenfalls zu tun. Veyrons Bruder hatte ihm sogar genaue Anweisungen hinterlassen, was er sich kaufen sollte und wo er die Sachen am besten bekäme. Des Weiteren legte ihm Wimille einen Besuch beim Friseur nahe, ebenfalls mit genauen Anweisungen Haarschnitt und Farbe betreffend.

      Tom konnte nur den Kopf schütteln. »So was ziehe ich bestimmt nicht an. Verunstalten lasse ich mich nicht«, murmelte er.

      Auf dem Tisch fand er noch einen weiteren Zettel:

       Tu es! Oder wir haben heute Nacht nicht die geringste Chance!

       W.S.

      Tom seufzte. Auch das noch!

      Also fuhr er mit dem Bus in die Stadt und besorgte die geforderten Sachen: alles in Schwarz. Am schlimmsten fand er die schweren Stiefel und die dicken Ledersachen, in denen er sich nur eingeschränkt bewegen konnte. Beim Friseur ließ er sich einen Schnitt mit Linksscheitel verpassen, sein krauses Haar glätten und das natürliche Rotblond von einem tiefen Schwarz überdecken.

      »Ich sehe aus wie ein Zombie«, meinte er zu Wimille, als sie sich kurz nach Mittag wieder in 213 Gloucester Crescent trafen.

      »Hast du das Buch nicht gelesen? Es schreibt sehr detailliert vor, wie sich die Anhänger der Schwarzen Horde zu kleiden haben, um sich von der fehlgeleiteten Masse abzuheben und sich untereinander zu erkennen«, meinte er vorwurfsvoll.

      Tom seufzte. »Ich bin eingeschlafen, hab’s nicht mal über die Einleitung hinaus geschafft«, gab er zu.

      Wimille schaute ihn tadelnd an. »Ich weiß. Zum Glück konnte ich letzte Nacht noch etwas Zeit erübrigen, um rund zweihundert Seiten zu lesen. Ein interessantes Machwerk, ganz eindeutig mit dem Ziel, verlorene Seelen zu manipulieren und in die Arme dieses Teufels, des Dunklen Meisters, zu treiben.«

      Nun zeigte Wimille auch seine Einkäufe vor: ein teurer Smoking, ebenso kostspielige Lackschuhe und – was Toms Verwunderung noch steigerte – ein Sack voller Golfbälle.

      »Was wollen Sie denn mit denen?«, fragte er.

      Veyrons Bruder gluckste vergnügt. »Ich nehme an, du würdest es Magie nennen. Ich dagegen nenne es eine kleine technische Spielerei. Du wirst es sehen, wenn es so weit ist. Ruh dich derweil noch etwas aus, sammle deine Kräfte. In zwei Stunden fahren wir nach Felixstowe. Dann geht es um Leben und Tod.«

      Während Wimille in seinem Arbeitszimmer verschwand, studierte Tom die jüngsten Nachrichten auf seinem Smartphone. Die letzte Nachricht von Jane besagte, dass Veyron und sie in einer Stadt namens Bistritz angekommen seien, wo sich irgendwo der Durchgang nach Elderwelt befinde. Tom hatte kein gutes Gefühl dabei, Jane mit seinem Patenonkel allein zu lassen, aber in Wahrheit konnte er gar nichts dagegen tun. Selbst wenn er jetzt sofort nach Elderwelt aufbräche, käme er an einem ganz anderen Punkt heraus als Veyron und Jane. Er hatte nicht einmal den Hauch einer Vorstellung, wo sich das Reich der Seelenkönigin befand. Wahrscheinlich bräuchte er Wochen, um von Fabrillian oder Talassair in jenes Reich zu kommen. Und dann könnten Jane und Veyron längst wieder zu Hause sein und ihrerseits Tom suchen.

      Nein! Das alles würde nur in einem sinnlosen Teufelskreis enden. Klüger wäre es, Veyrons Angelegenheit vollkommen zu vergessen und sich voll und ganz darauf zu konzentrieren, Ernie Fraud vor der ZTC und der Schwarzen Horde zu retten.

      Mit dem VW Käfer ging es kurz darauf nach Felixstowe. Während der Fahrt hatten sich Tom und Veyrons Bruder nicht viel zu sagen. Wimille trug den sündhaft teurer aussehenden Smoking und hatte sich die Haare mit reichlich Gel nach hinten gestrichen, er dagegen trug seine schwarzlederne Rockerkluft. Ein größerer optischer Kontrast zwischen ihnen war eigentlich gar nicht möglich. Er fragte sich, was Wimille damit wohl bezwecken wollte. Abermals kamen ihm Zweifel, ob der Mann auch wirklich denselben messerscharfen Verstand besaß wie sein Bruder, oder ob er schlichtweg verrückt war.

      Kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie die große alte Hafenstadt an Englands Ostküste. Die gewaltige Hafenanlage mit ihren hoch aufragenden Lastenkränen war schon aus weiter Ferne auszumachen und bildete einen starken Kontrast zu den altehrwürdigen Gebäuden der Stadt.

      Sie hatten den Hafen kaum erreicht, als sie auch schon die Zaltic Asp ausfindig machten. Wie ein Turm ragte sie auf, jenes Containerschiff, auf dem Ernie Fraud sein Schicksal zu besiegeln gedachte – falls Tom es nicht in eine andere Richtung zu wenden vermochte. Mit dem pechschwarzen, wuchtigen Rumpf, dem breiten, runden Bug und den sich dagegen fast wie Spielzeug ausnehmenden schneeweißen Deckaufbauten wirkte die Zaltic Asp fast ein wenig anachronistisch im Vergleich zu den anderen modernen, meist eher farbig gehaltenen Containerschiffen. Jedoch verzwergte sie mit ihren rund vierhundert Metern Länge und 200.000 Tonnen Verdrängung nahezu alle anderen Schiffe in Felixstowe. In strengen, blutroten Lettern lief der Schriftzug der Zaltianna Trading Company von Bug bis Heck, als wollte die ZTC ihre Konkurrenten regelrecht bedrohen. Tausende winzig aussehender Container stapelten sich auf dem gewaltigen Oberdeck, die meisten nachtschwarz und mit dem Schriftzug der ZTC versehen, die wenigen andersfarbigen Container anderer Logistikunternehmen wirkten inmitten der dunklen Türme wie Fremdkörper.

      Tom stellte fest, dass der ZTC-Bereich im Hafen der Einzige war, der durch einen doppelten Metallzaun abgeriegelt war. Bewaffnete Sicherheitsmänner in paramilitärischen Kampfanzügen patrouillierten am Zaun entlang. Besucher waren hier eindeutig nicht erwünscht.

      Ich weiß nicht, ob Wimille verrückt ist, dachte Tom, als Veyrons Bruder mit einer an Irrsinn grenzenden Selbstverständlichkeit vor das Zugangstor fuhr. Aber ich bin es ganz sicher. Wie sollen wir denn da lebend wieder rauskommen?

      Sofort flankierten zwei mit MPs bewaffnete Männer den himmelblauen Käfer. Tom wurde ganz mulmig im Magen. Klar, er hatte zwar schon schlimmere Situationen überstanden, aber diese Kerle waren schwer bewaffnet und viel trainierter als er. Ohne Veyron an seiner Seite fühlte er sich ein wenig schutzlos. Wimille kannte dagegen keine Ängste. In aller Seelenruhe kurbelte er die Scheibe herunter und reichte eine schwarze Checkkarte nach draußen, ohne den Mann anzusehen, der sie mit einiger Verwunderung entgegennahm und sie durch einen Scanner am Tor zog. Sofort summte die elektronische Entsperrung, was die beiden Wachen ebenso zu überraschen schien wie Tom. Respektvoll gab der Mann Wimille die Karte zurück. Ohne einen von beiden anzusehen, gab Wimille Gas, und sie drangen auf das Gelände der ZTC vor.

      »Was war denn das jetzt?«, fragte Tom flüsternd.

      »Eine ZTC-Zugangskarte, Priorität Ultra, Management Control Department«, erklärte Wimille gelassen.

      Tom riss überrascht die Augen auf.

      Ein flüchtiges, triumphierendes Lächeln huschte über Wimilles dünne Lippen; ganz ähnlich dem seines Bruders. »Das Management Control Department ist die gefürchtetste Abteilung in der Hierarchie der ZTC. Die Manager dort feuern Leute nach Gutdünken, mit sofortiger Wirkung. Kündigungsschutz hat bei ihnen niemand. Veyron fand heraus, dass sie recht unlautere Methoden beherrschen, um unliebsame Mitarbeiter oder anderweitig lästige Menschen loszuwerden. Erpressung zum Beispiel, oder Mord«, erklärte Wimille. »Für dich bin ich von jetzt an Direktor Swift.«

      Tom nickte und fragte Wimille, woher er die Karte hätte.

      Der lächelte nun noch breiter. »Veyron hat sie vor zwei Jahren in Auftrag gegeben, als er nach dem Medusa-Fall aus Elderwelt zurückkehrte. Er wollte sich in die ZTC einschleichen, aber andere Dinge haben seither seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich dachte, nun wäre die Zeit reif, diesen Trumpf endlich einmal auszuspielen.« Nach diesen Worten reichte ihm Wimille ein kleines, bohnenförmiges Gerät, kaum größer als ein Fingernagel. »Kleb dir das hinter dein Ohr, am besten auf die Seite, wo die Haare länger sind«, erklärte er.


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