Georg Schweinfurth: Afrikanisches Skizzenbuch. Georg Schweinfurth

Georg Schweinfurth: Afrikanisches Skizzenbuch - Georg  Schweinfurth


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kann es im Allgemeinen als Regel gelten, dass den Tieren der höchsten Polarzone die Farbe des Schnees, denen der Wüste aber die Farbe des Sandes eigen ist. Man möchte versucht sein, sagt Brehm an einer ähnlichen Stelle, bei Betrachtung der Wüstentiere einmal gläubiger Nachbeter der Zweckmäßigkeitslehre zu sein.

       Die Bewohner der Wüste, in Sonderheit die höher entwickelten, wissen aber auch noch durch andere, ihrer Lebensart eigentümliche Regeln den sich dem Dasein entgegenstellenden Gefahren aus dem Wege zu gehen. Sie bedienen sich unterirdischer Wohnungen und suchen sich ihre Nahrung unter dem Deckmantel der Nacht. Zu beidem zwingen sie außerdem die klimatischen Verhältnisse. Diese nördlichen Wüstenstrecken sind nicht nur durch die beispiellose Seltenheit des Regens, sondern auch durch ungewöhnliche Temperaturschwankungen ausgezeichnet. Man kann getrost sagen, dass der Regen in der Libyschen Wüste eine so seltene und lokale Erscheinung sei, wie der Nachtfrost in Deutschland zur Sommerzeit. Im Januar und Februar kann in diesen Wüsten bei Nacht das Thermometer einige Grade unter den Gefrierpunkt fallen; die mittlere Tageswärme dieser Monate bleibt weit hinter dem von Ländern derselben Breite zurück. Die Hitze der übrigen Monate ist groß. Nie eine regenspendende Wolke, nur die Nacht wirft alsdann ihre kühlenden Schatten über die stets durstende Erde, und sehnsüchtig harren die Pflanzen des wiederkehrenden Taus, dem ihnen der Nordwind bringt.

      In ihren tiefen Gruben und Löchern genießen die Tiere des Vorzugs einer mittleren Jahrestemperatur; im Winter sind ihre Behausungen warm, im Sommer zur Tageszeit weit kühler als die äußere Luft. Das nächtliche Umherstreifen beschränkt ihren Wasserbedarf auf das niedrigste Maß. Es erklärt sich aus dem Angeführten von selbst, dass alles Tierleben in der Wüste mehr oder minder einen nächtlichen Charakter annehmen muss.

      In der absoluten Wüste äußert sich indes das tierische Dasein überall als ein exzeptioneller Notstand; die Tiere fristen daselbst, wie die Pflanzen, eine eigentlich nur der Erhaltung des Individuums, nicht der Vermehrung gewidmete Existenz. Wie nun die Pflanzen gewisser Vegetationsmittelpunkte bedürfen, um die Wüste selbst immer wieder mit frischen Keimen zu versehen, die sich bald hier, bald dort die Bedingungen zu ihrer Existenz zu suchen haben, wie wir das Wüstenkamel alljährlich auf den fetten Kleeweiden des Niltals einer Stärkungskur unterzogen sehen, so schöpft auch das ephemere Tierleben der eigentlichen Wüste aus deren Vorratskammern, den Oasen, stets neue Lebenskraft. Es ist anzunehmen, dass ohne eine solche Schadloshaltung die Art in den meisten Fällen allmählich auf jeden weiteren Fortbestand zu verzichten hätte.

       Solche Stützpunkte des Tier- und Pflanzenlebens sind die Oasen, welche gleich einsamen, kleinen Eilanden hin und wieder, meist aber in ungeheuren Abständen voneinander, aus den öden Flächen des steinernen Meeres hervorstechen. Strabo vergleicht die Wüste mit ihren Oasen einem gefleckten Leopardenfelle, aber ein derartiges Bild würde, auf die Libysche angewandt, zu den übertriebensten Vorstellungen Anlass geben, denn diese Flecken sind winzig klein, sehr zerstreut und unregelmäßig verteilt.

Grafik 237

      Oase – Foto: CCBY 2.0

      Die Oasen sind nicht Flecken, sondern Löcher in der steinernen Decke, welche der organischen Schöpfung die Basis eines quellreichen und Pflanzenwachstum ermöglichenden Bodens entzogen hat. Tief unter dem über tausend Fuß hohen Kalksteinplateau, das die Libysche Wüste darstellt, bewegen sich rätselhafte Wasserzüge von erstaunlicher Fülle. Da, wo nun dieses Plateau Lücken darbietet, die durch Einflüsse noch völlig unbekannter Natur entstanden, konnte sich das Wasser aus der Tiefe Bahn an die Oberfläche brechen. Der Mensch siedelte sich an den Quellen an, und indem er der Natur nachhalf, indem er durch künstliche Brunnenschachten einen immer reicher werdenden Wasservorrat erschloss, vermehrte er den Umfang dieser Zufluchtsstätten auch für die Pflanzen und Tiere. Manche Oasen wurden dergestalt zu kleinen, wohlbevölkerten Kulturdistrikten; später, als die Hilfe des Menschen nachließ, als Hunderte von Brunnen verschüttet waren, nahm auch die Wüste wieder von dem ihr abgetrotzten Boden Besitz; die wandelnden Sandhügel bedeckten das gewonnene Ackerland und nur wenig erhielt sich von der ehemaligen Kultur. In dieser Lage befindet sich zu unserer Zeit die Große Oase, welche man einige Tagereisen im Westen von Theben erreicht, und die deshalb auch den Namen der Oase von Theben führt.

Grafik 238

      Oase von Theben

       Das Vorhandensein eines Restes von Kulturland, welches selbst heute noch immerhin seine fünf- bis sechstausend Menschen ernährt, musste natürlich daselbst die Bildung der oben erwähnten Verbreitungsmittelpunkte gewisser Tierarten begünstigen, welche wir in weitem Umkreise um die Große Oase, gleichsam strahlenförmig in die völlige Einöde der Wüste hinaus ihren Einfluss ausüben sehen. Zunächst erblicken wir am Rande der Wüste den Boden von zahllosen Löchern kleiner Nagetiere durchfurcht, von denen bei der überraschend großen Anzahl der in der Großen Oase vorhandenen Raubtiere, angenommen werden kann, dass sie einer fast unbegrenzten Vermehrung fähig seien. Es sind Springmäuse und Wüstenmäuse, welche hier ihr Wesen treiben, schwelgend im Überfluss aufgehäufter Lebensmittel, während ihre Artgenossen im Innern der Wüste von den wenigen dort vorhandenen Wurzeln, vom Miste der Zugvögel und dergleichen ihr Dasein fristen müssen und vielleicht nie einen Tropfen flüssigen Wassers zu kosten bekommen. Die großen Haine der Dattelpalme aber, welche den Hauptgegenstand der Oasenkultur ausmacht, wimmeln von großen Ratten der Alexandriner Art. Auf die Häufigkeit dieser Nager stützt sich vornehmlich die Existenz der in der Großen Oase und ihrer Umgebung angesiedelten Räuber größerer und kleinerer Art. Es sind ihrer daselbst fünf Arten, und da ihre Individuenmenge zu den bemerkenswertesten Eigentümlichkeiten dieses abgeschiedenen Erdenwinkels gehört, so lenkten sie vor allem meine Aufmerksamkeit während eines dreimonatigen Besuches auf sich.

      Das größte von den fünf Raubtieren der Oase – denn die Hyäne fehlt daselbst des geringen Viehstandes und der mangelnden Kamele wegen – ist der nordafrikanische Wolf, den die Araber „Dib“ nennen. Alsdann folgen der Größe nach der libysche Luchs, der Nilfuchs, der Schakal und zuletzt der kleinste Repräsentant der wilden Hundefamilie, der dem Edelmarder an Größe gleichkommende Wüstenfuchs oder „Fennek“.

      Lange kann ein Reisender Ägyptens Wüste durchwandert haben, bevor ihm von den räuberischen Vierfüßlern, die sie bewohnen, durch Zufall einmal mehr zu Gesicht gekommen wäre, als die Fußspur, welche sie hinterlassen. Große Geduld auf nächtlichem Anstände hat er zu bewahren, will er des einen oder anderen derselben irgendwo habhaft werden. Das sicherste Mittel zu diesem Zwecke gewähren ihm unsere Fallen und Fangeisen, denn diese zwar im Übrigen so schlauen Naturkinder fallen ihnen infolge ihres ungewitzten Gemütes gar leicht zum Opfer.

       Am besten hatten sich während meines letzten Besuchs in der Oase die größeren Fuchseisen oder Schwanenhälse bewährt, denn mit Ausnahme des verschlagenen Dib gingen alle die genannten Räuber unbedenklich in die Falle, selbst wenn der Apparat bloß offen auf den Sand gelegt worden war. Nur durfte seine Anwendung in einer und derselben Gegend nicht mehrere Tage hintereinander fortgesetzt werden; ungeachtet der sorgfältigsten Reinigung mieden alsdann alle Tiere das verräterische Eisen, als wäre die Kunde von einer seitens der Arglist des Fremden drohenden Gefahr schnell unter ihnen von Munde zu Munde gegangen. Wer aber nie, selbst wenn sie aufs sorgfältigste im Sande vergraben worden, in die Falle ging, war der von den Oasenbewohnern hinsichtlich seiner Gescheitheit dem Affen zur Seite gestellte Dib, der Wolf der Wüste. Stets umschleicht dieser voll Misstrauen den freiliegenden Köder, scharrt und tastet, sondiert wohl auch die Stelle von unten her, bis das tückische Eisen seinen Blicken freiliegt; man vermag ihm eben nur mit Hilfe der Kugel beizukommen.

       Unmittelbar nach Sonnenuntergang beginnen die Dibs ihre Streifzüge, kehren aber bei völliger Dunkelheit wieder zu ihren Schlupfwinkeln zurück, denn ihr schwaches Gesichtsvermögen flößt ihnen alsdann ein Gefühl von Unsicherheit und Zaghaftigkeit ein. Dies ist auch der Grund, weshalb sie bei ihren Unternehmungen einer mondklaren Nacht den Vorzug zu geben und ihre Hauptcoups für das erste Morgengrauen zu reservieren pflegen. Allabendlich bei vorgeschrittener Dämmerung hallte die ganze Oase wieder vom abscheulichen Geheule der Dibs, welche sich am Rande des Kulturlandes zusammenrotten, um den daselbst besonders häufigen Wüstenmäusen, in Ermangelung


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