Die Suizid-App. Peter Raupach

Die Suizid-App - Peter Raupach


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in die Küche und füllte ein Glas Wasser. Was soll‘s, dachte er und drückte sich eine der schwarzroten Kapseln in die Hand.

      Wird mich schon nicht umbringen, war sein Gedanke, als er die Kapsel mit dem Wasser runter schluckte.

      Dann kamen die Zweifel wieder. Waren die Kapseln der Ausweg aus der Depression oder der Einstieg in die Abhängigkeit von einem Medikament?, dachte er. Die Frage ließ ihn in den nächsten Minuten nicht mehr los. Das Internet konnte hier nicht weiterhelfen. Es gab nur Werbung für Arzneimittel und Foren, die ihn jedes Mal noch tiefer hinunter zogen.

      Mechanisch zog er seine Schuhe an, nahm seine Jacke und verließ die Wohnung. Er wollte in eine möglichst weit entfernt gelegene Apotheke. Das Medikament hatte er mit.

      Von der Westendstraße aus lief er einige Minuten fast ziellos durch die Straßen des abendlichen Regensburgs. Dann sah er, dass gerade ein Bus der Linie 6 im Begriff war zu halten. Er entschied sich einzusteigen. Am Dachauplatz stieg er aus und wechselte sofort in eine wartende Linie 13. Er hätte nicht sagen können, weshalb er das getan hatte. Er wusste nur, dass er weg von seiner Wohnung wollte…war es eine Art Verfolgungswahn? Felix spürte eine merkwürdige Veränderung seines Denkens, er nahm alle Geräusche überdeutlich wahr, schwitzte und sein Puls ging schneller. Er spürte sein Herz schlagen, als ob er gerade einen Dauerlauf absolvieren würde. Waren das Nebenwirkungen des Medikamentes?, fragte sich Felix verstört.

      Dann, endlich sah er eine Apotheke, doch der Bus fuhr noch ein paar hundert Meter weiter. Er stieg aus und lief die Strecke zurück. Seine Sinne waren plötzlich hypersensibel. Er roch die Luft in der Straße, Laternen blendeten und er nahm einen Familienstreit aus einer Wohnung, die sich auf der anderen Straßenseite befand, wahr. Die Geräusche nahmen weiter zu und es wurde fast ohrenbetäubend für ihn. Felix hörte Dutzende von Menschen gleichzeitig sprechen, obwohl höchstens drei Personen ihm auf dem Gehweg begegneten. Dann veränderte sich sein Sehen innerhalb von Minuten. Alle Autos, Straßenschilder und Schaufenster erhielten einen eigenartigen Glanz. Seine Augen begannen zu schmerzen von all dem Licht. Sein Gehirn hatte bereits die Anzahl aller Fenster registriert, die sich in dem Straßenabschnitt befanden, den er gerade, von der Bushaltestelle kommend, passiert hatte. Es waren einhundertsieben…

      Fast fotografisch prägte er sich die Öffnungszeiten, Werbeauslagen und den Namen des Inhabers von der Apotheke ein, die er gerade betrat. Der Inhaber hieß Damian Bergmann. Es war für Felix augenblicklich wie eine Art Befreiung, denn beim ersten Schritt durch die Eingangstür glaubte er sich wieder in größerer Sicherheit zu befinden.

      Doch dann wirkte plötzlich der Verkaufsraum beängstigend eng auf Felix. Sofort duckte er sich etwas. Fast meinte er, dass sich die Warenständer jeden Moment auf ihn stürzen könnten.

      Zum Glück sah er dann den Apotheker hinter seinem Verkaufstisch stehen.

      „Guten Tag, Herr Bergmann“, begann Felix das Gespräch. Der Apotheker schaute etwas irritiert, da er selten von unbekannten Kunden mit seinem Namen angesprochen wurde.

      „Können Sie mir etwas über die Wirkungsweise, oder besser noch etwas über die Nebenwirkungen dieses Medikamentes sagen? Kann ich davon süchtig werden?“, fragte Felix den Apotheker und hielt ihm die mitgebrachte Schachtel hin.

      „Darf ich?“, fragte der Apotheker höflich und nahm die Schachtel.

      „Herr Bergmann, mein Arzt hat sie mir gegeben, es soll bei einer Depression helfen. Ich denke, es ist ein ganz neues Medikament, es soll auch nicht müde machen…ähm, so sagte er.“

      Der Apotheker hielt die Packung von Felix in der Hand und las, für Felix gefühlte zwei Minuten, den dürftigen Text auf den Seiten der Packung. Dann schob er seine Brille hoch und meinte:

      „Also, etwas kann ich Ihnen mit Bestimmtheit sagen: Von Antidepressiva sind Abhängigkeiten kaum bekannt. Das heißt, Sie können von Beruhigungsmitteln und Schlaftabletten in kurzer Zeit abhängig werden, man kann dazu auch süchtig sagen, aber von Antidepressiva nicht.

      In Ihrem Fall hier bin ich überfragt. Wir Apotheker kriegen solche, ja sicher, es wird sich bestimmt um so etwas handeln…also ich meine, wir bekommen solche Erprobungspackungen fast nie zu sehen. Ihre Packung hat auch keinen Strichcode, das heißt wiederum, dass dieses Medikament in keiner öffentlich zugänglichen Datenbank registriert ist. Das muss es aber auch nicht, da es ja noch in einer Entwicklungs- und Zulassungsphase ist.

      Darf ich fragen, wer Ihnen das Medikament ausgehändigt hat?“

      „Ähm, eigentlich möchte ich das nicht. Ich kann Ihnen nicht sagen weshalb, aber ich möchte auch keine Schwierigkeiten mit meinem Arzt oder der Krankenkasse bekommen. Ich bin aber zum Glück in einer Selbsthilfegruppe gelandet und mir geht’s endlich seit Wochen das erste Mal besser.“

      „Entschuldigung, kein Problem, ich habe dafür Verständnis. Ich möchte Ihnen trotzdem noch kurz einen wichtigen Hinweis geben, den man bei Antidepressiva bedenken sollte. Da ich bei Ihrem Medikament nicht weiß zu welcher Gruppe es gehört, kann es nur ein allgemeiner Ratschlag sein. Also es gibt zwei Arten von diesen Medikamenten. Die einen beruhigen und bremsen die Aktivität. Beruhigen, das heißt sie sedieren. Das ist jedoch nicht unbedingt gleichzusetzten mit müde machen. Die Angstzustände und anderen Beschwerden verschwinden in frühestens drei Wochen. Die andere Gruppe wirkt relativ schnell aktivitätsfördernd. Die eigentlichen depressiven Symptome verschwinden aber auch erst in…äh, okay warten Sie, ja in frühestens zehn bis vierzehn Tagen. Man braucht also etwas Geduld. Im Übrigen sollte man bei der letzteren Gruppe unter Leute gehen, sich ablenken, etwas tun, was man schon lange nicht mehr gemacht hat.“

      „Weshalb wird das denn gerade bei der letzten…Sie nannten sie die, die Aktivität steigert, so empfohlen?“, fragte Felix interessiert.

      „Na ja, das ist allemal besser, als zuhause zu sitzen und negative Gedanken zu bekommen…“, antwortete der Apotheker vorsichtig. Als er jedoch den fragenden Gesichtsausdruck von Felix bemerkte, fügte er hinzu:

      „Nun gut, das überschreitet hoffentlich nicht meinen Kompetenzbereich, aber Sie haben gefragt.

      Also, bei der Gruppe von Antidepressiva, die die Aktivität steigern, gibt es eine Gefahr…eine wahrscheinlich geringe Gefahr. Man könnte es sicher auch fachchinesisch als unerwünschte Wirkung umschreiben. Es besteht eine erhöhte Suizidgefahr…

      Ähm, verstehen Sie? Es gibt Patienten, bei denen bewirkt die Aktivitätssteigerung, dass sie einen depressiven Entschluss, sich umzubringen, in die Tat umsetzen. Vor allem, wenn die Wirkung noch nicht antidepressiv ist, also in dem Zeitfenster von zehn bis vierzehn Tagen, da ist die Gefahr durchaus gegeben. Deshalb lässt man Jugendliche in dieser Zeit eben besser nicht allzu oft allein.“

      „Okay…verstehe, nein, nein…das trifft alles für mich nicht zu. Aber haben Sie Dank! Auf Wiedersehen.“

      Wie er aus der Apotheke gekommen war und ob er sich verabschiedet hatte, dass alles wusste Felix bereits nach Minuten nicht mehr.

      Nachdenklich lief er durch die Straßen, dabei bemerkte er einen zunehmenden Kopfschmerz, auch schwindelte ihm leicht. Der Schmerz wurde stärker und wütete nun als stechender Krieger.

      Nun ärgerte er sich, dass er in der Apotheke nicht gleich ein paar Schmerztabletten gekauft hatte. Von den Erfahrungen der Teilnehmer der Selbsthilfegruppe wusste er, dass Kopfschmerzen und Schwindel durchaus Nebenwirkungen zu Beginn einer Behandlung mit Antidepressiva sein konnten.

      Die Kopfschmerzen wurden nach ein paar weiteren Minuten so stark, dass Felix aufstöhnte und seinen Handrücken auf die Stirn drückte. Schon halb blind vor Schmerz betrat er kurz darauf die nächste Apotheke. Die Apothekerin nickte freundlich und meinte:

      „Lassen Sie mich raten, sie brauchen ein Schmerzmittel!“

      „Ja, bitte…und es soll schnell wirken…und wenn Sie so lieb sind, bitte gleich ein Glas Wasser dazu.“

      „Kein Problem, ich empfehle Ihnen Paracetamol. Möchten Sie zehn oder zwanzig Tabletten?“

      „Ich nehme drei Packungen mit zwanzig“, sagte Felix.

      Während


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