Die Suizid-App. Peter Raupach

Die Suizid-App - Peter Raupach


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hatte in der Zwischenzeit, von Berger fast unbemerkt, das Arbeitszimmer betreten. Mit über der Brust verschränkten Armen stand sie ein paar Schritte vom Schreibtisch entfernt und starrte vorwurfsvoll auf ihren Mann.

      Als der nach dem Telefonat zu ihr hochschaute, änderte sich sofort ihr Gesichtsausdruck.

      „Okay, okay…aber ich musste doch mit New York telefonieren“, sagte Berger leise, in einem resignierenden Tonfall.

      „Wie siehst Du eigentlich aus? Du bist ja schneeweiß im Gesicht…ist Dir nicht gut?“, fragte Ivon beunruhigt und ging besorgt schauend auf ihren Mann zu.

      „Lass sein, Ivon, ich habe nur etwas Ärger…kann uns höchstens diese Villa und mich ein paar Jahre hinter Gittern kosten…“, meinte Berger leise. Er drehte sich langsam mit dem Arbeitssessel zum großen Fenster und schaute nun doch auf einen der letzten zartrosafarbenen Strahlen der untergehenden Sonne. Ivon hörte ihren Mann in Richtung des Fensters sagen:

      „Da rast ein alles zerstörender Komet auf unsere kleine, so schöne Welt zu, meine liebe Ivon…Willst Du wirklich länger mit einem Verbrecher verheiratet sein?“

      Dann schwang der Arbeitssessel wieder zurück. Berger hielt sich eine Pistole an die Schläfe und sagte zu seiner Frau, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte:

      „Lebe wohl, meine Ivon!“

      Der Schuss klang ohrenbetäubend und der Geruch nach Blut war plötzlich allgegenwärtig.

      Ivon hörte selbst ihre Stimme nicht mehr, da sie vom lauten Knall der Pistole taub war. Während sich ihr gelbes Abendkleid langsam orange vom Blut ihres Mannes färbte, stammelte sie immer wieder dieselben Worte: „Ich habe Dir doch immer gesagt…eine Waffe in der Wohnung bringt Unglück…ich habe es Dir doch immer…gesagt…eine Waffe…“

      Unterwegs

      Es war mittlerweile dunkel geworden und die Straße glänzte regennass. Felix zog den Reißverschluss seiner Jacke bis an den Hals und stellte seinen Kragen hoch. Der Kopfschmerz wurde nun von einer leichten Übelkeit abgelöst.

      Felix hing seinen Gedanken nach. Weshalb reden heute alle von Suizid, dachte er, während er aufstoßen musste. Auf einem Straßenschild las er den Namen Steinweg. Ja, der Weg wird steinig werden, aber dann geht es mir in der Ewigkeit besser, dachte er.

      Wenn man sich umbringt braucht man kein Essen mehr und es wird einem auch nicht mehr übel. Bei den Tabletten versagt die Leber, wahrscheinlich hat man dadurch wahnsinnige Schmerzen. Doch die Schmerzen halten sicher nur kurz vor. Was ist das im Vergleich, was ich seit Wochen durchmachen muss?, waren seine Gedankenfetzen, als er über die Brücke ging. Weit unten floss träge das Wasser des Kanals. Dann stoppte er und kletterte über das Geländer.

      Eine Frau schrie, wie von Sinnen:

      „Der will sich umbringen…umbringen! Hilfe! So helfen Sie doch!“

      Zwei junge Männer, von der Erscheinung her zwei Studenten, rannten auf die Stelle zu, an der Felix nun mit dem Rücken am Geländer lehnte.

      „Timo, halte ihn!“, rief der eine, der deutlich einen Kopf größer war als sein Kumpel.

      „Das muss es sein…ein schneller Tod. Die Atemnot lässt dich Wasser atmen…an mich denkt sowieso keiner“, flüsterte Felix halblaut.

      Die beiden Studenten hielten ihn plötzlich an den Handgelenken fest. Ein anderer Passant mit einem Fahrrad telefonierte und rief irgendwelche Leute herbei. All das nahm Felix nur wie unter Trance wahr. Weshalb ließ man ihn nicht springen?, fragte er sich noch, ehe er ohnmächtig wurde.

      Regensburger Lokalanzeiger

      Blutiges Familiendrama

      Im sonst so beschaulichem Regensburger Innerer Westen, einer der teuersten Wohngegenden der Stadt, kam es in den gestrigen Abendstunden zu einem blutigen Familiendrama.

      Der 51jährige Diplom-Biologe Martin B. erschoss sich mit einer großkalibrigen Sportwaffe. Wie der Polizeisprecher, Ulf Karsten, mitteilte, kann ein Fremdverschulden nach bisherigen Erkenntnissen weitgehend ausgeschlossen werden. Über die Hintergründe der Tat ist nichts bekannt.

      Die 43jährige Ehefrau stand unter Schock.

      Lebensmüde: Sprung von Brücke

      Ebenfalls in den gestrigen Abendstunden versuchte ein offensichtlich geistig verwirrter Mann von der Protzenweiher Brücke zu springen.

      Nur durch das beherzte Eingreifen von Passanten konnte der Lebensmüde an seiner Absicht gehindert werden.

      Die Polizei sucht Zeugen, insbesondere die jungen Männer, die den 37jährigen, arbeitslosen Bankfachmann an der Tat hinderten.

      United Company of Drugs and IT (UCD), New York City

      Alexander Schönherr stand rauchend vor der Panoramascheibe seines Büros, in der einhundertsechzehnten Etage. Es bot sich ihm ein freier Blick entlang der 7th Avenue. Der typische Straßenlärm, ein Gemisch aus Fahrgeräuschen, Straßenmusik, Polizeisirenen und den Presslufthämmern der wohl nie enden wollenden Bauarbeiten, sickerte kaum hörbar herauf.

      Von hier oben wirkten die Menschen, die sich vor dem Eingang zur Hotellobby des Pennsylvania-Hotels aus einem Bus drängten, wie Ameisen, die man mit einem Insektizid besprüht hatte.

      „Alles nur kopflose und manipulierbare Subjekte“, murmelte er.

      Doch dann stockte er und war sich mit einem Mal bewusst, dass man Leute ohne Kopf nicht manipulieren konnte.

      Als sein iPhone klingelte, straffte er sich innerlich und als er die Nummer sah, bemerkte er befriedigt, dass er mit seiner Vermutung recht hatte. Am Apparat war ein Controller.

      Von der Konzernmutter rief seit Monaten niemand an, weshalb auch, die Geschäfte liefen gut. Die neue Substanz war in der Pipeline und machte sich daran, die nächste Hürde der Arzneimittelzulassung erfolgreich zu nehmen. Der wichtigste Unterpfand, dachte Schönherr in diesem Moment, waren die firmeneigenen Monitore, also die Mitarbeiter, die die ordnungsgemäße Testung der neuen Substanzen in unabhängigen Fremdinstituten anleiteten und überwachten.

      Dagegen waren die Controller für den eigentlichen Zweck, ein Arzneimittel auf den Markt zu bringen, sicherlich entbehrlich. Aber Schönherr hatte auf diese Leute bestanden. Offiziell waren sie dafür zuständig, die Qualität der Abläufe und der einzelnen Schritte während der Produktion bis hin zur Auslieferung zu überwachen und ständig zu verbessern. Einige taten dies auch. Jedoch war ein gutes Drittel dieser Leute zu einer Art Privatarmee von Schönherr geworden. Allerdings arbeitete diese Armee im Untergrund. Auch wenn die eigentlichen Aufgaben und vor allem die Mittel und Methoden dieser Leute geheim blieben, so konnte es für die Mehrheit der Mitarbeiter des Konzerns jedoch nicht unentdeckt bleiben, dass deren Anzahl und Aktivitäten immer dann wuchs, wenn neue Substanzen erprobt wurden. Hinter vorgehaltener Hand sprach man schon, in Anlehnung von Hitlers „Gestapo“, von „Schönherrs Gesapo“, seiner geheimen Saisonpolizei. Aber selbst das war Schönherr bekannt.

      Die übrigen Mitarbeiter arrangierten sich notgedrungener Maßen im Alltag mit diesen Leuten, auch wenn man sie nicht mochte und eher fürchtete. Keiner konnte trotz vermeintlich guter Arbeit und Engagement vor deren Sammelwut von Informationen sicher sein. Viele fragten sich, ob über sie bereits ein Dossier bestand.

      Schönherr forderte bei Nachfragen und Kritiken von leitenden Mitarbeitern absolute Loyalität ein und sprach sofort von möglichen Konsequenzen hinsichtlich eines möglichen negativen Betriebsergebnisses, falls die Arbeit der Controller behindert werden würde. Nur Schönherr selbst und seine Personalabteilung kannten den oft mehr als zweifelhaften Hintergrund seiner Controller. Qualifikation und Teamfähigkeit spielten eine höchst untergeordnete Rolle. Zum einen übten die Controller eine Kontrolle über die Kontrollorgane der Firma


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