Die Suizid-App. Peter Raupach

Die Suizid-App - Peter Raupach


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gut verträglich. Einen Wasserspender finden Sie dahinten neben der Eingangstür.“

      Felix ging zum Wasserspender und fragte:

      „Weshalb gibt es eigentlich von diesem Mittel nur so kleine Packungen?“

      Die Apothekerin war schon auf halbem Weg in einen der hinteren Räume, drehte sich um und sagte:

      „Gute Frage…, bis vor einigen Jahren gab es tatsächlich größere Packungen. Der Gesetzgeber hat dies jedoch geändert. Ich sag‘s Ihnen frei heraus: Es gab zu viele Suizide, also Selbstmorde damit. Da reichen leider schon einige Tabletten. Bestimmt kein schöner Tod, so ein Leberversagen. Natürlich ist das nicht die offizielle Version, aber ich sage immer, wer sich umbringen will schafft das auch.“

      „Also ehrlich gesagt interessiert es mich mehr, ob…“, Felix verzog kurz das Gesicht als er zwei Tabletten mit einem Schluck Wasser herunterschluckte, „also ob diese Schmerzpillen sich mit Pillen gegen eine Depression vertragen werden“, dabei hielt er kurz seine Schachtel mit dem Präparat 463 hoch. Die Apothekerin schaute nun doch interessiert über Ihren Brillenrand, umrundete den Verkaufstresen und kam zwei Schritte näher. Felix aber winkte ab, schien seine Frage bereits vergessen zu haben und steckte die Schachtel wieder in seine Jackentasche.

      „Es nennt sich 463…und soll was Neues sein…hab mich schon bei der Konkurrenz erkundigt…wird schon schief gehen. Schönen Abend noch.“, murmelte Felix, drehte sich etwas steif wirkend um und verließ die Apotheke.

      Die Apothekerin sah angestrengt durch das Schaufenster hinaus auf die Straße. Es regnete und der schwarzglänzende Asphalt wurde von Zeit zu Zeit durch die Autoscheinwerfer in stumpfgraue Streifen zerteilt.

      Die Schritte des letzten Kunden wirkten unsicher und man hätte meinen können, er sei betrunken.

      Mit zitternder Hand griff die Apothekerin in die Kitteltasche nach dem Handy.

      Auf was hatte sie sich da eingelassen, war es das wirklich wert? Doch sie brauchte das Geld, denn die Geschäfte liefen schlecht und die Bank machte Druck.

      Trotzdem musste sie jetzt unbedingt den Vertreter von UCD informieren. Die Firma United Company of Drugs and IT, kurz UCD, galt in Fachkreisen als so genannter forschender Arzneimittelhersteller, der sich mit einer überaus seriös wirkenden und äußerst innovativen Aura umgab. Die Mutterfirma produzierte seit den neunziger Jahren in Tschechien vorrangig Psychopharmaka. Forschung, Logistik und Vertrieb erfolgten von Deutschland aus. Die Administration allerdings befand sich in den USA. Die Aufteilung der Geschäfts-und Produktionsbereiche warf in Fachkreisen immer mal wieder Fragen auf, wurde jedoch mit einer optimalen Ausnutzung steuerlicher Bedingungen begründet. Elisa Maria von Bärenfels, Inhaberin der Apotheke am Regina Filmtheater, wusste es jedoch besser. Hartnäckiges Fragen hatte sie der Wahrheit etwas näher gebracht. Sie wusste von Berger, dem persönlichen Ansprechpartner der UCD für sie, dass es weniger um steuerliche Vorteile, vielmehr um gesetzliche Unterschiede in den einzelnen Staaten ging. Trat die Firma zum Beispiel als Sponsor für Arzneimittelstudien am Menschen auf, so wäre sie in den USA gesetzlich dazu verpflichtet, den Namen der Firma zu offenbaren. In Deutschland gab es dieses Gesetz nicht. Was in den Staaten streng verboten war, galt in Deutschland und anderen Ländern nicht und umgekehrt. Dazwischen gab es zu nutzende Grauzonen, mit denen sich allein zwei unabhängige Rechtsabteilungen zu beschäftigen hatten. Aus einer dieser Abteilungen stammte letztlich auch der Vertrag, den Elisa Maria unterzeichnet hatte. Am Tag der Unterschrift lieferte sie bereits je fünfundzwanzig Packungen des Präparates 672 an die teilnehmenden Ärzte. Es war ein Vorgängerpräparat dessen, was der eben verabschiedete letzte Kunde ihr gezeigt hatte.

      Sie suchte in der Kontakteliste ihres Handys das Wort Notfallmanagement UCD. Sie fand die Festnetznummer und eine Handynummer, sie wählte die Handynummer, denn im Firmensitz würde sie wahrscheinlich wegen der schon vorgerückten Zeit nur einen AB erreichen.

      „Ja…hier Rolf Berger?“

      „Entschuldigen Sie…äh, von Bärenfels, Apotheke am Regina Theater, am Apparat.“

      „Grüß Gott, Frau von Bärenfels, kein Problem, wo brennt‘s denn?“, fragte Berger betont aufgeräumt.

      „Da läuft gerade eine Zeitbombe durch die Stadt und stellt Apothekern dumme und gefährliche Fragen. Wie kann das denn sein, Herr Berger? Ich dachte, die Patienten erhalten das Medikament nur stationär, völlig freiwillig und sind umfassend aufgeklärt…sie erzählten doch was von Belegbetten, von Fachleuten…Außerdem werden die Phase I-Testungen doch zwingenderweise nur an Gesunden durchgeführt, außer vielleicht aus ethischen Gründen bei sonst unheilbar Krebskranken! Will hier jemand noch mehr Geld sparen? Der Patient, der eben bei mir war, sah aber nicht gesund… “

      „Ach …ach ja, danke für die Information. Haben Sie zufällig den Namen des behandelnden Arztes? Äh…wir würden uns sofort um den Sachverhalt kümmern…“

      „Habe ich nicht! Aber der Patient war im Besitz eines Medikamentes der neuen Versuchsreihe…ich meine das geht doch nicht!

      Ich habe genau dieses Medikament vor knapp sechs Wochen an die Praxen ausgeliefert…“

      „Okay, okay…bleiben Sie ruhig und machen Sie sich da mal nicht so viele Gedanken. Ich nehme mal an, dass das Präparat so effizient wirkt und möglicherweise extrem wenig Nebenwirkungen aufweist, dass einzelne Ärzte…äh, äh in Ihrem Fall ein Arzt, sich leichtfertig über die dringende Empfehlung hinweggesetzt hat…ähm, na ja er hat ganz einfach die Behandlung ambulant vorgenommen. Aber Sie wissen doch selbst als Apothekerin wie manche Ärzte sind. Da kann man mit Engelszungen reden und reden…“

      „Apropos Engelszungen! Herr Berger, könnte es sein, dass es sich bei dem neuen Medikament, ich meine konkret das Präparat 463, doch wohl eher um eine Art Teufelszeug handelt? Der besagte Kunde hatte gerade wahnsinnige Kopfschmerzen, einen erschreckend emotionslosen starren Gesichtsausdruck und…“

      „Das soll nicht Ihr Problem sein, meine liebe Frau von Bärenfels…falls es Ihnen um die rein wissenschaftliche Einordnung des Präparates gehen sollte, muss ich Sie daran erinnern, dass dies nicht Bestandteil ihres Liefervertrages …“

      „Oh, oh warten Sie Herr Berger. Ich liefere eben dieses Medikament an verschiedene Ärzte und somit führe ich es persönlich… mit meiner Reputation in den Markt ein, das heißt, ich bringe es in den Verkehr! Laut Arzneimittelgesetz…“

      „Genau, Frau von Bärenfels, und dafür erhalten Sie Geld…gutes Geld! Aber lassen wir doch an dieser Stelle das rein Monetäre mal beiseite…“, parierte Berger kalt mit einem lauernden Unterton in der Stimme.

      „Also, Herr Berger, da wir schon mal beim Geld sind…ich frage mich nach diesem Vorfall nun ehrlich, ob das Verhältnis zwischen dem jetzt vorhandenen Risiko und der Bezahlung noch vertretbar günstig…“

      „Liebe Frau von Bärenfels, es gibt Situationen im Leben, aber wem sage ich das! Ja, es gibt Situationen, da muss man sich entscheiden. Und dann, ja und dann muss man die Entscheidungen konsequent umsetzen. Man kann ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr anders handeln. Verstehen Sie mich, liebe Frau von Bärenfels? Sie können nicht mehr anders handeln! Sie können nicht mehr zurück!

      Was würde denn Ihre Bank sagen, wenn wir als Ihr Kunde, ja Sie hören richtig, wir sind Ihr Kunde, denn Sie bringen als Apothekerin unsere Produkte in den Verkehr…hören Sie bitte jetzt genau zu! Ja, was würde Ihre Bank sagen, wenn wir denen sagen müssten, dass wir nicht mehr gerne Ihr Kunde sein wollen? Antworten Sie jetzt nicht übereilt, sondern hören Sie mir genau zu!“ Bergers Stimme klang nun fast monoton, als ob er aus einem Backbuch vorlesen würde:

      „Sie als Apothekerin und Unternehmerin würden es sich aufgrund einer fixen Idee leisten können, ein international agierendes Unternehmen als Kunden zu verlieren? Glauben Sie wirklich, dass das Ihrer Bank egal wäre?

      Und denken Sie doch mal einen Moment an Ihre Tochter. Nur durch Ihr bisher sehr besonnenes Handeln konnten Sie Ihr ein Studium an der Harvard University ermöglichen.“

      „Aber ich könnte meine Approbation…meine Berufszulassung verlieren


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