Kerker aus Licht und Schatten. Marco Mukrasch

Kerker aus Licht und Schatten - Marco Mukrasch


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recht. Wir haben eine schöne Menge Geld eingenommen. Unsere Freunde aus Hamburg waren derart zuvorkommend, dass sie uns ihre Waren beinahe schenkten. Wenn wir diese an die Augsburger verkaufen, bist du erneut der erfolgreichste Kaufmann in Brückfelds Diensten bei der Ostermesse. Eine Prämie wartet.“

      „Das ist wahr, aber ein guter Teil davon steht dir zu. Ohne dich wäre ich während der letzten sieben Jahre nicht dermaßen erfolgreich gewesen.“

      Jeremias legte verlegen den Kopf leicht schräg. „Hab Dank, aber du wirst die Prämie selber brauchen für die Mitgift deiner jüngsten Tochter. Nun hast du auch sie als letzte in eine wohlhabende Bürgerfamilie verheiratet.“

      „Ja, endlich ist es vollbracht.“

      „Alle haben gute Partien gemacht. Die erste Enkeltochter hast du bereits. Deine Gattin wäre stolz gewesen.“

      Nun war Philipp verlegen. Seine Mundwinkel zuckten hilflos, als er über seine Augen wischte.

      „Schade, dass du ohne Sohn bist, der etwas einbringt“, sagte Jeremias. „Es ist teuer für den Brautvater.“

      „Wer sagt denn, dass mir mein Sohn nichts einbringt?“

      Lange betrachtete Philipp Jeremias, der erst nicht verstand. Verschämt musste der Jüngere lächeln. Einige Minuten ritten beide wortlos nebeneinander her.

      Schließlich fragte Philipp: „Woher wusstest du, dass die Hamburger nur in der einen Kiste Tuche von erster Güte hatten, und in den übrigen bloß bis zur dritten Lage? Sie hatten uns alles als beste Qualität angeboten.“

      „Die beiden Söhne des alten Händlers, die mit uns verhandelten, waren eine Spur zu zuvorkommend.“

      „Aber sie wussten nicht, dass ihr Vater die schlechteren Tuche hinzugepackt hatte. Sie waren beide aufrichtig überrascht, ja geradezu erbost, als sie es bemerkten.“

      „Dann war es wohl doch ihr alter Herr“, sagte Jeremias. „Er wippte etwas nervös von Bein zu Bein.“

      „Er saß die ganze Zeit über.“

      „Die Augen waren unruhig, mit denen er uns beobachtete.“

      „Er hatte den Hut dermaßen tief herabgezogen, dass man seine Augen nicht sehen konnte.“

      Jeremias unterdrückte ein Grinsen. „Wahrscheinlich waren es seine Hände, die er nicht stillhalten konnte.“

      Philipp schüttelte den Kopf. „Nein. Er bewegte sich die ganze Zeit über nicht. Dazu war er zu erfahren.“

      „Was kann es wohl sonst gewesen sein? Ich weiß es nicht.“ Jeremias übertrieb seine gespielte Ratlosigkeit dermaßen, dass Philipp leise knurrte und seine Brauen zusammenzog. Dies brachte den Jüngling vollends zum Lachen.

      „Du benutztest deine Gabe“, sagte Philipp. „Sagst du nicht stets, dass du sie nur in seltenen Fällen einsetzen willst, weil sie anderen Angst bereitet?“

      „Gewiss, aber es war nur eine zarte Prise, ein Zwinkern.“

      „Aber es reichte, um ihn alles zugeben zu lassen und uns einen gewaltigen Rabatt zu bescheren.“

      „Er fürchtete eben um seinen guten Ruf. Wir sagten zu, dies alles als unglückliches Missverständnis zu behandeln. Es hätte ihn ruiniert, wenn es sich herumgesprochen hätte.“

      „Dies ist ihm aber erst durch deine ... sagen wir, Mithilfe bewusst geworden, nicht?“

      Jeremias wedelte leicht mit der Hand. „Dies war nur ein winziger Fingerzeig, der ihn zurück auf den tugendhaften Pfad brachte.“

      Philipp schürzte die Lippen. „Rührend, wie du sein Seelenheil sicherst.“

      Jeremias versteckte seinen Mund hinter einer Hand.

      Nach einer Weile beäugte Philipp Jeremias’ nackte Füße, welche dieser vor sich auf den Pferderücken gelegt hatte. „Gefallen dir deine neuen Schuhe nicht, die ich vor ein paar Wochen wegen der Messe für dich anfertigen ließ?“ Seine Stimme war ernst geworden und enthielt einen vorwurfsvollen Unterton.

      Jeremias wackelte mit den Zehen und schaute nicht auf; er wusste bereits, was nun kam. Mit vorgetäuschter Ahnungslosigkeit antwortete er: „Doch, sehr. Vielen Dank dafür. Sie haben mir gute Dienste geleistet. Aber ich wollte sie schonen und deshalb habe ich sie lieber in einen Leinensack gepackt.“

      Philipps Miene prasselte wie kalter Regen an seine Wange. „Es ist vielleicht unüblich, aber noch duldbar, dass du fortwährend ohne Sattel reitest“, sagte Philipp, „aber an ordentlicher Kleidung solltest du es niemals mangeln lassen. Wir haben einen Stand zu wahren. Wohl kleiden wir uns nicht derart edel und farbenprächtig wie Adlige, aber stets müssen wir Solidität zum Ausdruck bringen. Da ist nichts zweckmäßiger, als gute Kleider.“

      Jeremias wetzte seine Zunge an den Backenzähnen. Solidität war Philipps Lieblingswort, aber Jeremias mochte es nicht sonderlich — behäbig und langweilig war es. Eine Schildkröte konnte stolz behaupten solide zu sein, aber er hatte anderes im Sinn. Er wandte sich nun Philipp zu: „Du hast gewiss recht und ich werde meine Schuhe und mein gutes Hemd und auch meine besten Hosen wieder anziehen, kurz bevor wir in die Stadt zurückkommen. Solange wir mit Händlern zu tun haben, trage ich sie doch stets.“

      „Du musst sie ständig tragen, weil du auf das Unerwartete gefasst sein musst. Vor zwei Monaten war Herr Lössers Ausdruck nicht gerade wohlwollend, als du barfuß in der Gesindeküche warst und deine Geschichten erzähltest. Das hat keinen soliden Eindruck hinterlassen. Doch dieser ist in unserem Gewerbe unabdingbar. Jeder Moment zählt.“

      „Ich kann es nicht fassen. Für dich und die anderen Kaufleute ist die Aufmachung eines Menschen alles, danach urteilt ihr. Bevor du einen schlecht gekleideten Kollegen an deinen Tisch ließest, nähmest du gewiss lieber vorlieb mit einem in Hermelin gewandeten Esel.“

      „Jeremias!“ Philipps Gesicht leuchtete purpurn. „So ist nun einmal die Welt. Ich habe sie nicht gemacht.“

      Jeremias verdrehte die Augen. „Wenn sie mich wie einen Bettler bezahlen, kleide ich mich auch wie ein solcher. In den ganzen Jahren haben sie meine Bezahlung nicht einmal erhöht. Ich bin längst volljährig und verdiene noch dasselbe wie ein Lehrjunge. Wovon soll ich mir teure Kleidung leisten? Wenn du mich nicht unterstütztest, trüge ich noch die Hosen aus dem Waisenhaus. Ich kann mir keine eigene Kammer leisten und schlafe neben dir, weil die Miete, die Brückfeld verlangt, derart hoch ist.“

      Philipp seufzte. „Ja, ich weiß. Es ist nicht richtig. Aber sei versichert, dass sich schon alles fügen wird. Manches braucht vielleicht ein wenig länger.“

      Jeremias setzte sich nun aufrecht hin und stemmte eine Hand in die Seite. „Etwas länger? Ich bin nun sieben Jahre in Brückfelds Diensten und nicht einmal ... “

      Philipp hob abwehrend die Hand. „Ich werde mit dem Meister sprechen, wenn wir unsere Handelsabkommen darlegen müssen. Da wird er gewiss guter Dinge sein. Ich werde mich dafür einsetzen, dass du gemäß deiner Verdienste entlohnt wirst. Jetzt beruhige dich.“

      Jeremias brummte noch einmal, aber er entspannte sich allmählich. Er mochte es eben, den warmen Pferdekörper unter sich an seiner Haut zu spüren, das Fell zwischen seinen Zehen. Er hätte nicht einmal Zügel benötigt. Sein Pferd wusste stets, wohin er wollte, so wie er fühlte, was das Tier bedurfte. Warum sollte er bei dem Vierbeiner nicht vollbringen, was er bei einem Menschen vermochte?

      Zur Mittagszeit kamen die beiden in der Stadt an. Jeremias hatte Hunger und so lief er sogleich zur Gesindeküche, wo ihn die Köchin herzlich begrüßte.

      „Jeremias, mein Junge. Schön dich zu sehen. Komm, setz dich. Ich gebe dir eine gute Kelle Suppe. Vielleicht kannst du uns ja eine Geschichte erzählen.“

      Bei den kauenden Mägden und Knechten ging Begeisterung reihum. „Ja, eine Geschichte! Erzähle von deinen Reisen!“

      Langsam begann Jeremias mit seiner Erzählung. Alle schauten zu ihm hin, einige vergaßen


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