HARDCORE-WESTERN, BAND 2 - FÜNF ROMANE IN EINEM BAND. Ronald M Hahn
einen Blick aufs Zifferblatt.
Die Zeit war gekommen. Er faltete die Zeitung ordentlich zusammen und musterte seine Komplizen. McGilligan hatte den Kopf an die Fensterscheibe gelehnt und döste vor sich hin. Sein breites Gesicht wirkte entspannt, wenn es auch etwas blass war. Flint hatte gerade seinen Peterson-Colt geölt und spickte die Trommel mit fünf Patronen des Kalibers 36.
Georgie maß ihn mit einem verächtlichen Blick, denn er stammte aus besseren Kreisen und hatte für Analphabeten keine Sympathie übrig. Dass es ihm nicht gelungen war, auf die Universität zu gehen, hatte nur daran gelegen, dass die Eisfabrik sein Vater am Tag seines achtzehnten Geburtstags in Konkurs gegangen war. Wäre das nicht passiert, könnte er jetzt in Harvard oder Yale Jura studieren. Dann wäre er Anwalt geworden und vermutlich in die Politik gegangen. Doch nach seinem Wutanfall, der seinen Vater die Vorderzähne gekostet hatte, war er zum Schwarzen Schaf der Familie herab gesunken und musste nun mit Nullen wie Flint zusammenarbeiten.
Zum Glück war McGilligan von einem anderen Kaliber. Mit ihm konnte man sich hin und wieder auch über andere Dinge als Pferde, Whisky und Nutten unterhalten. McGilligan war mit ihrem Auftraggeber gut bekannt und hatte den Job für sie an Land gezogen. Auch er war das Schwarze Schaf seiner Familie. Der Abkömmling eines Pflanzers aus Georgia, den die Befreiung der Sklaven um Haus und Hof gebracht hatte. Hätte McGilligan seinen Grips richtig genutzt, wäre vermutlich trotzdem noch etwas Ordentliches aus ihm geworden. Doch er scheute regelmäßige Arbeit. Und außerdem lockten ihn Karten und Würfel. Als Mensch, der zweihundert Dollar ausgab, wenn er einhundert verdient hatte, war er ständig auf der Suche nach neuen Geldquellen.
Georgie seufzte. Zu dumm, dass er die Aktien, die er dem Kartenhai Ken in Omaha abgenommen hatte, gleich wieder an den dämlichen Reporter aus dem Osten verloren hatte. Und zu dumm, dass sein Versuch, die Papiere wieder an sich zu bringen, zum Scheitern verurteilt gewesen war: Er hatte den Burschen umgenietet und den Mann in seinem Zimmer erst in letzter Sekunde gesehen.
McGilligan machte die Augen auf und schaute ihn an. Seine Augen waren so grau wie sein Stoppelbart und ebenso stechend. Er gähnte, zückte ein Zigarettenetui aus Blech und schob sich ein Stäbchen zwischen die Zähne.
»Gleich ist es so weit«, sagte Georgie.
Flint ließ die Trommel seines Paterson rotieren und fletschte die Zähne. Er war dumm wie Bohnenstroh, aber ein guter Schütze. Außerdem kannte er kein Mitleid. Wenn er sich einmal in einen Gegner verbissen hatte, war er wie ein tollwütiger Hund. Er ließ nicht mehr los.
Draußen flog eine Landschaft vorbei, von der man aufgrund der Finsternis nichts sah. Dicke Rauchschwaden aus dem Schornstein der Lokomotive flogen am Fenster vorbei. Der Zugführer, ein backenbärtiger alter Knabe mit eisgrauem Haar, wanderte an ihrem Abteil vorbei und maß sie mit einem kurzen Blick. Wahrscheinlich kam es ihm nicht ganz koscher vor, dass drei Männer, die ihrer Kleidung nach eher Cowpuncher als Geschäftsleute waren, sich ein Abteil in der Ersten Klasse hatten reservieren lassen. Aber natürlich konnten sie auch Rancher sein, die nach Westen fuhren, um Rinder zu kaufen. Die Zeiten, in denen sich nur die Reichen eine Fahrt mit der Eisenbahn hatten leisten können, war längst vorbei.
McGilligan schaute auf seine Taschenuhr. »All right, Jungs«, sagte er dann. »Schreiten wir zur Tat.« Er stand auf, zog seinen Colt, überprüfte die Trommel und steckte ihn wieder ein.
Flint folgte seinem Beispiel. Georgie zog den breiten patronengespickten Ledergurt hoch, der sich um seine Taille schlang, nahm den weißen Champie-Hut aus dem Gepäcknetz und setzte ihn auf. Jetzt, da es zur Sache ging, beschleunigte sich sein Herzschlag.
Wenn es losging, hatte er immer Lampenfieber, doch sobald der erste Schuss gefallen war, beruhigten sich seine Nerven. Er hoffte, dass sie die den Salonwagen bewachenden Pinkertons im Schlaf überraschen und in die Ewigen Jagdgründe befördern konnten ohne sich selbst eine Kugel einzufangen.
Er hatte Angst vor Kugeln. Sie taten nämlich mörderisch weh. Als er neunzehn gewesen war, hatte ihn bei einem Banküberfall eine Kugel in den Oberschenkel getroffen, und er erinnerte sich nur mit Grauen daran. Deswegen nutzte er seit diesem Tag jede Gelegenheit für Zielübungen. Er wollte nicht irgendwann so narbig aussehen wie Flint, den im Laufe seiner vierzig Lebensjahre sieben Kugeln durchlöchert hatten. Es konnte ja sein, dass den Käuflichen, mit denen Flint seine Freizeit verbrachte, narbige Oberkörper gefielen, aber Georgie dachte anders: Kerle, denen man ansah, welchem Gewerbe sie nachgingen, waren leichter zu beschreiben. Deswegen hätte er es auch lieber mit einer Eselsstute getrieben, als sich tätowieren zu lassen.
»Dann gehen wir also jetzt«, sagte Flint.
»Yeah«, knurrte McGilligan. »Und vergesst nicht: Es wird erst geschossen, wenn ich es sage.«
Georgie und Flint nickten. Dann verließ McGilligan das Abteil. Die beiden anderen schlossen sich ihm an. Die restlichen Abteile waren dunkel. Die Reisenden schliefen. Sie kamen ungehindert bis ans Ende des Zuges und blieben stehen. Georgie reckte den Hals. Die Pinkertons hockten im ersten Abteil des Salonwagens. Es war dunkel. Zwei der Kerle schliefen vermutlich, so dass sie es nur mit einem zu tun hatten.
Der Mann, der auf dem Gang Wache hielt, war der German mit dem Walrossschnauzbart. Er riss gerade gähnend den Mund auf und drehte sich um seine Achse.
Als er ihnen den Rücken zudrehte, nutzte McGilligan die Gelegenheit. Er zog seine Waffe, stieß die letzte Waggontür auf, eilte lautlos über die Plattform und erreichte die des Salonwagens in dem Moment, in dem Schnauz die Drehung beendete und ihn anschaute.
Georgie und McGilligan folgten. Sie standen noch im nächtlichen Fahrtwind, als McGilligan die Tür des Salonwagens aufriss und einen Schuss abfeuerte. Dummerweise ruckte der Zug jedoch in diesem Moment auf den Schienen, so dass er den Pinkerton-Mann verfehlte und nur seinen Bowler lochte.
Georgie hörte McGilligan fluchen, dann flammte vor ihm wieder ein Mündungsfeuer auf und er hörte den Knall eines erneuten Schusses.
Diesmal hatte Schnauz geschossen. McGilligan ging fluchend in die Knie und ließ die Tür los, die sich sofort wieder schloss.
Nun waren Georgie und Flint an der Reihe. Die Mündungen ihrer Waffen blitzten auf. Sie zerschossen die Scheibe der Salonwagentür, hinter der nun das Gesicht eines weiteren Mannes sichtbar wurde. Weitere Schüsse krachten, bevor die Scherben des Fensters auf dem Boden der Plattform lagen. Der Mann, der mit gezückter Waffe aus dem Pinkerton-Abteil gekommen war und sich zu Schnauz gesellte, flog zurück, ließ die Waffe fallen und griff sich an die Schulter.
Georgie frohlockte. McGilligan, der drei Sekunden in der Hocke verbracht hatte, sprang auf, richtete sein Schießeisen ins dunkle Innere des Salonwagens und drückte ab.
9.
Das beständige Rattern des Zuges auf den Schienen hatte irgendwann endlich dazu geführt, dass Gräfin Landsfeld und Roxanne Prentiss eingeschlafen waren.
Roger hob vorsichtig den Kofferdeckel an und erhob sich mit steifen Knochen aus seinem Versteck. Als er auf leisen Sohlen und mit angehaltenem Atem zur Tür schlich, regte sich plötzlich eine der Frauen und murmelte etwas.
Roger glaubte, sein Herz müsse stehen bleiben. Er verharrte mitten in der Bewegung. Doch er hörte keinen zweiten Laut. Er legte die Hand auf den Türknauf und schickte ein stummes Gebet zum Himmel: Lieber Gott, lass die Tür weder knarren noch quietschen!
Er hatte großes Glück, denn sie schwang völlig lautlos auf. Roger zog sie leise hinter sich ins Schloss, dann schüttelte er sich.
Im gleichen Augenblick krachte ein Schuss, und eine Sekunde später noch einer. Er hörte das Klirren von Glas und warf sich zu Boden. Vor dem Abteil der Pinkertons herrschte Hektik.
Schnauz schrie die Namen seiner Kollegen. Hinter der nun zerschossenen Türscheibe entdeckte Roger Gestalten, die in der nur vom Mond erhellten Finsternis Waffen schwangen und das Feuer eröffneten. Bleikugeln pfiffen über seinen Kopf dahin. In dem Abteil, das er gerade glücklich verlassen hatte, wurden aufgeregte und ängstliche Schreie laut.
Grover tauchte geduckt im Eingang des Pinkerton-Abteils auf und hantierte schwerfällig mit seinem Schießeisen.