DIE BAUSTELLE. Parpaiola Franco
höchst fragwürdig und nicht nur sehr gefährlich, sondern auch in höchstem Maße menschenunwürdig.
Das konnte ich natürlich nicht ändern.
Gleichzeitig aber bot sich da für mich die einmalige Gelegenheit zu beobachten, was daraus geworden wäre und gleichzeitig versuchen zu begreifen, warum es so war, wie es war.
Auf einmal, nach so vielen Jahren in Deutschland und um die ganze Welt, nach all dem Scheiß, den ich über Italien in Deutschland von der Presse, aus dem Radio und Fernsehen, aus Talkshows und in den Kneipen, von Journalisten, von Politiker und vom einfachen Volk gehört hatte, bat sich da eine Möglichkeit.
Da bat sich auf einmal die einmalige Gelegenheit, vor Ort in Italien, den Deutschen und den Italienern gemeinsam bei der Arbeit auszuspähen.
Endlich bat sich die Gelegenheit herauszufinden, was da wirklich zwischen den beiden Völkern los war.
Nach so viel fast rabiater, manchmal berechtigter, aber fast immer böswillig dargestellter, verdrehter und sarkastischer Kritik an Italien und seinem Volk wollte ich endlich wissen, was wohl von deutscher Sicht aus Trumpf war.
Den Grund, warum es so war, den ahnte ich seit langem schon.
Den ahnte ich schon seit Komárno, seit einigen Jahren ahnte ich den schon, seit ich an Land und nicht mehr in meiner vertrauten Umgebung auf See war, ahnte ich den schon.
Ja, ich war mir fast sicher, dass ich mit meinen Vermutungen Recht hatte.
Ich hatte es wahrscheinlich nur noch nicht wahr haben wollen, denn sonst hätte ich auch meine Einstellungen revidieren müssen.
Also, ich legte mich auf die Lauer, und um besser beobachten zu können, stellte mich erst mal doof an.
In Monopoli, da gibt es in der Altstadt viele kleine Gassen und enge Straßen mit kleinen Läden, „Tante Emma“ ähnlich.
Dort, wo die einfachen Menschen leben, findet man auch kleine handwerkliche Familienbetriebe aller Art.
Frisöre, die nach altem Brauch und Zunft nach dem Rasieren mit kleinen Scheren auch noch die Ohren- und Nasenhaare ihrer Kunden abschneiden.
Schneider und Schuster und kleine, fast geheime von den Frauen des Hauses geführte Restaurants, die vor allem den Frischfisch, den ihre Ehemänner nachts fischen, nach uralten Rezepten zubereiten und in vielen Varianten tagtäglich anbieten.
Monopoli ist nicht allzu groß, Monopoli ist auch nicht allzu klein, Monopoli ist eine Provinzstadt, die im Sommer auch von Touristen besucht wird.
Es gibt nicht allzu viel Tourismus in der Stadt, die Lokale der Stadt sind aber trotzdem immer gut besucht.
Die Menschen dort sind fleißig, wenn nicht auf dem Bau, dann arbeiten sie in kleinen Industriebetrieben außerhalb der Stadt.
Wenn nicht in der Landwirtschaft, dann in der Gastronomie.
Wenn nicht in der Fischerei, dann am Hafen oder an beiden Orten, wenn nicht in der Stadt, dann in der unmittelbaren Umgebung.
Ja, die Menschen in Monopoli, die sind fleißig - reich sind die Menschen dort nicht, es reicht aber zum Leben, denn die sind bescheiden und zufrieden mit dem, was sie haben.
Im Sommer spielt sich das Leben der Leute in Monopoli auf der Straße ab, die Gassen und engen Straßen der Altstadt, die während der Hitze des Tages fast wie ausgestorben sind, leben abends förmlich auf.
Während ältere Menschen vor ihren Haustüren sitzen, leise miteinander sprechen und die Frische des Abends genießen, spazieren junge Eltern mit ihren Kindern an der Promenade am Meer entlang.
Andere gehen irgendwo in eines der vielen Restaurants eine Pizza essen.
Gleichzeitig flitzen halbwüchsige Teenager mit ihren verdammten Mopeds in halsbrecherischem Manöver in den engen Straßen der Stadt herum, und keiner meckert denen nach.
Mithilfe eines portugiesischen Kollegen, der auf der Baustelle für ein deutsch-italienisches Subunternehmen arbeitete, fand ich dort eine zu mir passende Wohnung.
Mehr als eine Wohnung, es war ein ganzes Haus, was ich mir da gemietet hatte, es war einfach drollig und ulkig zugleich, denn so was hatte ich noch nie gesehen.
Ein Haus mit vier Zimmern, keine zweihundert Meter vom Meeresstrand entfernt und mit einem Badezimmer, das vor kurzem total renoviert worden war.
Das Haus hatte vier Etagen, denn alle vier Zimmer, die lagen eines über dem anderen und waren durch einen offenen Treppenschacht, der sich von unten, von der Küche aus, nach oben zog, miteinander verbunden.
Die Zimmer waren klein, gerade eben zehn Quadratmeter groß vielleicht, wobei gut ein Drittel davon von dem Treppenschacht in Anspruch genommen wurde.
Die Treppenstufen und das Bad waren mit Marmor bepflastert worden, das Schlafzimmer in der dritten Etage und das Zimmer, das ich eventuell als Schreibzimmer verwenden wollte, auch.
Nur die Küche hatte noch den alten steinigen Boden aus dem dreizehnten oder vierzehnten Jahrhundert.
Nur das Schlafzimmer in der dritten Etage und das andere Zimmer in der vierten Etage hatten verputzte Wände.
Das Zimmer auf der zweiten Etage samt Badezimmer nebenan und die Küche hatte man so rustikal wie damals erbaut gelassen.
Die dicken, festen Granitblöcke der Mauern des Hauses hatte man so belassen, frei und naturell wie damals, wie der alte Kaiser Karl der Fünfte seine Festung dort in der Nähe auch gebaut hatte.
Das Ganze sah wirklich teutonisch aus, würdevoll und arkadisch, nach Verdi und Mozart Requiem klängen schmeckend, nach Wagnerianischen Geistern und Gespenstern vibrierend, zu Mönchen ähnlichen Bußgebeten und gutem Seelensaatgut anregend.
Verdammt, was hatte ich mir da bloß für ein uraltes ehrenwürdiges Rattenloch gesucht.
Ein Tisch, ein Stuhl, ein Gasherd zum Kochen, eine Spüle, ein Kühlschrank und ein Küchenschrank, das war die Einrichtung der Küche.
Teutonisch einfach, spartanisch praktisch.
Die Küche hatte kein Fenster, da war aber ein Loch, gerade mal 20 mal 30 Zentimeter groß, in der meterdicken Mauer.
So ein Loch, wie man es auf alten Burgtürmen sieht, vergittert und verglast natürlich, das war das Fenster.
Das war der sommerliche Dunstabzug des Küchenherdes.
Während der kurzen süditalienischen Winter diente das gesamte Haus als Abzugshaube über dem offenen Treppenschacht nach oben.
Erst ab der zweiten Etage gab es Fenster, einer kleinen Klosterzelle ähnliche Fenster je Zimmer.
Auf dem blitzblanken uralten steinigen Boden der Küche, da lag auch ein Teppich, und der passte meinem Erachten nach nicht zu der Würde des uralten Rattenlochs, und den wollte ich weghaben.
Darunter aber verbarg sich der Deckel der Einstiegsluke zum Trinkwassertank des Hauses.
Den Teppich hatte man darauf gelegt, damit kein Dreck durch die Fugen des Deckels in den Trinkwassertank fiel, denn das Haus war nicht an das Aquädukt der Stadt angeschlossen.
Es war nicht angeschlossen, weil das Haus, genauso wie viele andere Häusern der Altstadt, unter Denkmalschutz stand.
Man hätte es eventuell an die zentrale Wasserversorgung der Stadt anschließen können, das hätte aber sehr viel Zeit, sehr viel Bürokratie und sehr viel Geld gekostet.
Schwarz konnte die Eigentümerin des Hauses es nicht mehr anschließen lassen, denn sie hatte sich mit der nörgelnden Nachbarin in die Wolle gekriegt.
Die missvergnügte Nachbarin war weder ein Engel des Friedens noch des guten Zusammenlebens, sie war aber nicht bös, sondern nur etwas sonderbar.
Sie lebte allein und einsam und war deswegen etwas verbittert.
Deswegen hätte sie ohne Zweifel sofort Terror gemacht, wenn es jemand bei Nacht und Nebel