Weihnachten? Um Gottes Willen!. Klaus Grammel

Weihnachten? Um Gottes Willen! - Klaus Grammel


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kommt aus süddeutscher katholischer Tradition. Wenn sie an Heimat denkt, denkt sie an das, was ihre Kindheit ausgemacht hat. Und dazu gehörten wie selbstverständlich auch die Prozessionen mit Schützenverein und Feuerwehr, die Messen und die Heiligen, vor allem aber die Gottesmutter Maria und ihr Sohn Jesus Christus und natürlich Gottvater im Himmel. Das alles ist bei ihr mit Dank verbunden für die Wärme dieser volkstümlichen Religiosität.

      Als sie heranwuchs, kamen in ihr Zweifel auf, wie wörtlich das alles zu nehmen sei. Empfangen durch den Heiligen Geist? Geboren von der Jungfrau Maria? Aber auch wenn ihr erwachsener Verstand seine Fragen stellte, irgendwie wird dieser Jesus schon der Sohn Gottes sein und vor allem: Das Fest seiner Geburt ist ein wunderschönes Fest.

      Und nun verliebt sie sich als selbstständige und selbstbewusste Frau in einen Juden und der sich in sie. Und der wird die Frage nicht los, was die Christen gegen die Juden hatten und haben. Warum sie sie mit einer so abgrundtiefen Abneigung angesehen haben, dass sie den Juden am Ende jedes Recht, auf der Erde zu leben, abgesprochen haben und – das ist die bange Frage: Immer noch absprechen?

      Und das alles wegen dieses Jesus, dieses Juden, der eine neue Religion gegründet hat – oder doch nicht? Der ein Mensch war – oder doch nicht so ganz? Ein Gottessohn oder am Ende doch nicht so ganz richtig?

      Nicht die schlechtesten christlichen Köpfe haben versucht, Jesus als Juden wiederzuentdecken. Wenn er aber ein Jude war, durch und durch, wie kann er dann der Grund und das Haupt der christlichen Kirche sein?

      Und es waren und sind auch nicht die schlechtesten jüdischen Köpfe, die versucht haben, Jesus als Juden neu zu entdecken. Martin Buber, Schalom Ben Chorin, Pinchas Lapide, David Flusser … Ich erinnere mich noch heute dankbar und bewegt daran, wie wir, eine Gruppe evangelischer Theologiestudenten, 1961 in Israel am Strand von Nathanja zusammen mit dem jüdischen Professor David Flusser, alle nur mit einer Badehose bekleidet, mit unseren Bibeln oder Synopsen auf den Knien, über diesen Jesus diskutiert haben. Ich habe noch im Ohr, wie er darauf bestand, dass die Verkündigung Jesu durch und durch jüdisch sei.

      Und der große Martin Buber, der uns in seinem Haus willkommen geheißen hatte, konnte sagen: „Jesus habe ich von Jugend auf als meinen großen Bruder empfunden.“

      Wer ist dieser Mann – für mich?

      Wer ist dieser Mann für mich?

      Diese Frage hatte mir auch das junge Ehepaar gestellt. Um meine Gedanken zu straffen, hatte ich auf ein paar Seiten meine Sicht aufgeschrieben und sie den beiden zugeschickt, damit sie sich schon damit vertraut machen konnten.

      

      Ihr habt mich gefragt, wer dieser Mann aus Galiläa für mich ist? Ich will euch meine Antwort geben. Sie ist nicht fertig, weil ich mit diesem Jesus nicht fertig bin. Dennoch ist sie die Summe dessen, was ich im Hinblick auf ihn gelernt und erkannt habe.

      

      Seit 63 v. Chr. herrschten die Römer über die Juden. Diese taten sich schwer, die römische Oberhoheit anzuerkennen. Immer wieder hatte es Aufstände und Unruhen gegeben. Da waren die Römer schnell bei der Hand, kurzen Prozess zu machen, wenn es galt, mögliche Unruhen rechtzeitig im Keim zu ersticken. Das richtete sich in erster Linie gegen die jüdischen Freiheitskämpfer, die Zeloten (Eiferer), mit derem radikalen Flügel, die Sikarier (Dolchmänner). Sie alle waren natürlich für die Römer bloße Terroristen.

      Gefährlich, wenn auch nicht in so direkter Weise wie die der jüdischen Freiheitskämpfer, waren für Rom auch die radikalen Reformbewegungen, wie die des Johannes, den man den Täufer nannte. Er rief zur radikalen Umkehr auf. „Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt.“ Es ist fünf vor zwölf. Was nottut, das ist eine persönlich entschiedene, glaubwürdige Einsicht in die Ursache des herrschenden Übels und eine Änderung des praktischen Verhaltens, auch des politischen. Zu seinem Markenzeichen wurde als Zeichen der Erneuerung das Untertauchen im Jordan.

      Die Wirkung des Johannes war groß. Sein Landesherr, der Herodessohn Herodes Antipas, König über Galiläa und Peräa, römisch erzogen und vom Judentum innerlich so weit weg wie schon sein Vater, ließ ihn, bevor womöglich ein Aufruhr entstehen könnte, gefangen nehmen und ohne Gerichtsverhandlung umbringen.

      Auch die Bewegung des jüdischen Rabbis Jesus aus Nazareth, die aus der Johannesbewegung hervorgegangen war und ebenso wenig wie diese eine direkte politische Zielsetzung hatte, musste der politischen Obrigkeit als gefährlich erscheinen.

      Spätestens mit dem gewaltsamen Tod des Täufers stand für Jesus aus Galiläa die Frage an, ob er nach Hause gehen sollte, zurück in sein „bürgerliches“ Leben, oder ob er nicht weiter machen müsste.

      Er machte weiter und blieb somit der Sicht auf die Dinge treu, für die Johannes ihm die Augen geöffnet hatte.

      Der Weg führt ins Verderben. „Kehrt um, und glaubt daran, dass Gott es mit uns gut meint!“

       Dieser Satz des Täufers begegnet uns auch im Munde Jesu als Programm seines Redens und Tuns. Jesus hatte sich von seinem vormaligen Meister im Jordan untertauchen lassen. Dazu stand er. Wie er allerdings weitermachte, das war sehr anders als Johannes es getan hatte.

       Er zog sich nicht in die Steinwüste am Jordan zurück, sodass die Menschen zu ihm kommen mussten. Er ging zu ihnen und lebte unter ihnen und mit ihnen, dort, wo sie waren: bei den Fischern am Ufer des Sees Genezareth, bei den Zöllnern an ihren Zollstationen, bei den Bettlern im Schatten der Synagogen, bei den einfachen Menschen in den Straßen und am Stadttor.

       Er kleidete sich wie sie, nicht so alternativ wie der Aussteiger Johannes der Täufer, der einen rauen Mantel aus Kamelfell trug. Er tauchte auch niemanden unter als Zeichen der Neubesinnung. Er lebte überhaupt nicht als asketischer Aussteiger. Er sammelte Menschen um sich und lehrte sie zu teilen. So wenig es war, was da zusammenkam – in der Gemeinschaft ist einer nie allein, und das zählt mehr als ein voller Magen. Wenn man teilt, kommt man nicht zu kurz.

       Öfters lud Jesus sich mit seinen Freundinnen und Freunden auch einfach bei denen ein, die genug Geld hatten. An Jesu Tisch war jeder willkommen. Nur, die „Anständigen“ wollten nicht kommen. Mit den Schmuddelkindern zusammen essen, diesem Gesocks aus Kollaborateuren, Prostituierten, gottlosen Tagelöhnern, Bettlern, die man alle in den heiligen Tempel in Jerusalem nicht hineinlassen würde, nein, das kam nicht infrage.

      Jesus sprach seinen Kritikern das Recht ab, darüber Bescheid zu wissen, wen Gott akzeptiert und wen nicht. Alle Gruppen neben ihm definierten das Volk Gottes so, dass sie bestimmte Leute ausschlossen. Sie richteten, als würden sie an Gottes Stelle stehen. Wenn man das macht, dann meint man, wenn man Gott sagt, in erster und auch noch in letzter Linie: Ordnung, Moral. Man gesteht sich das Recht zu, ständig über andere, auch über sich selbst, zu urteilen.

      Meint man aber mit dem Wort „Gott“ ein Leben in Anerkennung, in Würde, in gegenseitigem Respekt, in sozialer Zuwendung, in gerechten Verhältnissen, ein Leben mit gegenseitiger Hilfe und in Solidarität, mit einem Wort: Legt man Gott als Liebe aus, dann ist es vorbei mit dem Richten über andere.

      So wurde Jesu Tischgemeinschaft zu seinem Markenzeichen, auch noch in der Diffamierung durch seine Gegner, die versuchten, ihn als „Fresser und Säufer“ unmöglich zu machen.

      Das „Gottesreich“ – das war sein zentraler Begriff, mit dem er ein Leben meinte, in dem sich Menschen gegenseitig als Menschen annehmen, und in dem Verhältnisse herrschen, die dem Leben dienen.

      Dieses Gottesreich kommt nicht von Außen, plötzlich durch eine endzeitliche Retterfigur dem Menschensohn oder dem von Gott geschickten Messias. Es beginnt schon da, wo Menschen von Gottes Nähe einfach Gebrauch machen. Und das geschieht, wo man sich nicht mehr gegenseitig sein Recht auf Leben abspricht, sondern sich hilft, sein Leben zu finden.

      Wenn dann das apokalyptische Ereignis eintritt und der zukünftige Menschensohn erscheint, an den man damals glaubte und an den auch Jesus als Kind seiner Zeit geglaubt hatte, dann werde der himmlische


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