Weihnachten? Um Gottes Willen!. Klaus Grammel

Weihnachten? Um Gottes Willen! - Klaus Grammel


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zu bombardieren!! Meinen Mann haben sie auf dem Gewissen. Und die vielen anderen Toten auch. Sie sollten sich mal fragen, ob das richtig ist, was sie da machen, auch wenn Krieg ist.

       Mein guter Mann. Er war ein so vorbildlicher Pfarrer und ein guter Deutscher. Und mir war er immer ein fürsorglicher und treuer Ehemann. Unter Tränen habe ich ihn in Gottes gute Hände zurückgegeben. Er ruhe in Frieden. Eines Tages werden wir bei Gott wieder vereint sein.“

      Dann folgte nur noch ihr Name: Käthe Schäfer.

      Ich brauchte eine Weile, bis ich mit meinen Empfindungen und Gedanken wieder zurück war in meiner Zeit. Ich kann es nicht leugnen: Die Frau rührte mich. Trotz oder wegen ihrer selbst verschuldeten Not, ihrer Verblendung und ihrer Unfähigkeit, ganz bei sich zu sein als eine eigene Person. Sie ging voll auf in ihrer Rolle als Frau, als Deutsche, als Pfarrfrau, so wie man es ihr von Kindheit an beigebracht hatte.

      Vielleicht ist das überhaupt ein Schlüssel, um zu verstehen, was damals ablief? Man war im „man“ zu Hause, nicht in seinem „Ich“. Man übernahm nicht Verantwortung für das, was man tat, nur dafür, ob man tat, was man tun sollte. Und heute? Wieweit leben wir heute wirklich? Wieweit werden wir gelebt? Gibt es noch ein Leben außerhalb der Scheinwelten, der Werbung, der TV-Serien, der Erwartungen, politisch korrekt zu sein und den Bildern zu entsprechen, mit denen man uns umstellt?

      Meine Frau riss mich aus meinen Gedanken. „Sieh mal, sieht aus wie eine alte Münze. Und das hier, das ist doch was Lateinisches, oder?“

      Ich erkannte ein paar Buchstaben an der gesäuberten Münze.

      Unter der Lupe las ich“ …VUS und JUL… oder JULI?“

      Auf der Rückseite: „TU E. FILIU..M…DILEC….INTECOMP….I.“

      Das dürfte Latein sein, aber aufs Erste konnte ich damit nichts anfangen. Und dann waren da ein paar strahlenförmige Striche, die von der Mitte ausgingen. Ich sagte meiner Frau, dass ich das jetzt mal zur Seite lege. „Ich kümmere mich darum, wenn ich Zeit habe. Ich möchte zunächst mal was recherchieren.“ Zu sehr war ich noch von dem gefangen, was ich gelesen hatte.

      Es dauerte nicht lange, da hatte ich im Internet ein Ergebnis gefunden. Die britische Luftwaffe hatte tatsächlich am 17. Dezember 1944 auf Ulm einen großen Bombenangriff geflogen. Zwischen 19.23 und 19.50 Uhr, wurden 80 % der Ulmer Altstadt in eine Trümmerwüste verwandelt. Über 700 Kinder, Frauen und Männer fanden sofort den Tod, fast genau so viel wurden verwundet. Etwa 25.000 Menschen waren in nicht einmal einer halben Stunde obdachlos geworden. Einige der Toten waren völlig unversehrt; sie waren an Rauchvergiftungen gestorben oder erstickt. Andere waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Und von anderen gab es absolut nichts mehr.

      Warum Ulm? Man muss weiter fragen: warum Freiburg? Warum Dresden? Warum Erfurt und die vielen anderen Städte, die all keine nennenswerten militärischen Ziele boten?

      Gewiss, in Ulm gab es die LKW-Fabriken von Magirus-Deutz am Stadtrand und ein paar Wehrmachtkasernen. Aber die waren gar nicht Ziel des Bombenangriffs. Die Altstadt war das Ziel. Erstens, weil es den Engländern darum ging, mit Bomben die Moral der Zivilbevölkerung zu brechen, besonders die der Industriearbeiter. „Moral bombing“ nannten sie das. Und zweitens, weil die Altstadt so schön brennen konnte. Denn in den alten Fachwerkhäusern gab es viel Holz, und die enge Bebauung war bestens geeignet für die Erzeugung von Feuerstürmen. Nachdem die ersten Bomber ihre „Weihnachtsbäume“ in den Himmel gesetzt, und damit das Kernzielgebiet abgesteckt hatten, fielen Tausende Sprengbomben vom Himmel und nach ihnen Hunderte von Luftminen und nach diesen Tausende von Stabbrandbomben, die in die aufgerissene Stadt fielen wie in einen von oben bis unten aufgerissenen Körper und einen gewaltigen Feuersturm erzeugten, der aus den Kellern den Sauerstoff sog und alles in Asche verwandelte.

      Das weltbekannte Ulmer Münster wurde zwar getroffen, blieb aber stehen und überragte nun eine Trümmerlandschaft. Bei der Trauerfeier appellierte Oberbürgermeister Foerster an die Volksgemeinschaft, das Vermächtnis der Toten zu erfüllen. Den Juden mit ihrem verdammten Materialismus verdanke man diesen Krieg. Man müsse nun nach vorne blicken und in das neue Jahr schreiten „im felsenfesten Glauben, dass es das Jahr der Deutschen sein wird.“

      Wie hatte man auf der Weihnachtsfeier gesungen?

      Statt „von Jesse kam die Art“ sang man „vom Himmel kam die Art.“

      So hat man auf seine Art dazu beigetragen, dass aus dem Segen, der aus der jüdischen Wurzel kommen sollte, ein Unsegen wurde, der vom Himmel kam.

      Wenn´s nicht mehr ist als eine Vase und ein Spiegel

      Am 9. November 1938 war vor einigen Jahrzehnten unbeschreiblich viel zu Bruch gegangen. Der Schaden der „Reichskristallnacht“, die von ganz oben offiziell gewollt, und als angeblicher „spontaner Volkszorn“ in Szene gesetzt war und an der Polizei, SA, Feuerwehr und viele Bürger mitgewirkt haben, belief sich auf Tausende von verwüsteten jüdischen Wohnungen, Geschäften und abgebrannten Synagogen. Etwa hundert Menschen wurden ermordet, an die 30.000 ins KZ gesteckt. Für den materiellen Schaden, der den Juden entstanden war, mussten sie selber aufkommen. Ihre Versicherungsansprüche wurden vom deutschen Staat eingezogen. Zusätzlich hatten sie 1 Million Reichsmark Kontribution zu zahlen. Der immaterielle Schaden war noch furchtbarer. Mit einem Volk, das solch einen offiziellen Terror in seiner Mitte ohne Widerspruch zuließ, konnte Hitler nun alles machen, was er im Sinn hatte. Der Weg nach Auschwitz war frei.

      

      Ausgerechnet an einem neunten November viele Jahrzehnte später, richtete ich in der Wohnung eines jüdischen Freundes ebenfalls einen nicht unbeträchtlichen Schaden an. Bei der Verabschiedung nach einem lebendigen, wohltuenden Gespräch gab ich aus Übermut etwas an. Ich könnte mir, auf einem Bein stehend mit geschlossenen Augen, einen Schuh anziehen.

      Ich verlor das Gleichgewicht und fiel gegen einen antiken Flurschrank, auf dem eine Vase stand, die herunterstürzte und in viele Stücke zersplitterte. Ein Stück davon sprang gegen einen wunderschönen Jugendstilspiegel und hinterließ in dessen rechter Ecke zwei Sprünge.

      Der Mischlingshund, der sich für die Wohnung der Gastgeber verantwortlich fühlte, nahm mein Missgeschick persönlich. Er schnappte nach meinem rechten Bein und hinterließ dort durch die Hose hindurch seine Visitenkarte. Dem Gastgeberehepaar war meine Tollpatschigkeit peinlicher als mir selber, und wegen ihres Hundes sahen sie sich eher in meiner Schuld als mich in der ihren. Das mit dem Hund sah ich als halbwegs ausgleichende Gerechtigkeit an, und den von mir verursachten Schaden, so versprach ich, würde ich umgehend mit meiner Versicherung besprechen. Jedenfalls wollte ich, soweit so etwas möglich war, Wiedergutmachung betreiben. Der materielle Wert der Vase betrug etwa 250 _, ihr immaterieller Wert war unersetzlich. Die Vase war eine Erinnerung an den Vater meines Freundes. Meine Frau und ich hatten ihn noch kennengelernt. Seine menschliche Wärme und sein Humor taten uns gut. Er war religiös völlig desinteressiert und hat nie wirklich nachvollziehen können, warum mir, wo ich doch eigentlich ein „ganz normaler und vernünftiger Mensch bin“, Religion und Theologie wichtig sind.

      Sein Sohn ist da anders. Als er in einem Restaurant seine Eheschließung mit einer katholischen Berufskollegin feierte, habe ich den beiden ganz spontan, um es auf Jiddisch zu sagen, die Broche gegeben.

      Weder eine Feier in einer Synagoge noch in einer Kirche war für die beiden möglich gewesen. Was ich sagte, als ich ihnen meine Hände auflegte, war in keiner Weise irgendwie aufgesetzt, unpassend oder gar peinlich. Es war das Normalste von der Welt, zwei Menschen Kraft und Zuversicht zuzusprechen, ihren Dank und ihre Freude zur Geltung zu bringen, sie hineinzunehmen in die Menschenfreundlichkeit, die sich mit dem biblischen Gott verbindet. In dieser Situation war kein Ort der Welt, auch keine Kirche oder Synagoge, dafür geeigneter gewesen als dieses Restaurant.

      Sie waren neugierig, wie ich die Sache mit Jesus sehe. „In acht Wochen ist Weihnachten, das Fest seiner Geburt. Wen feierst du da? Wie siehst du Jesus? Wer ist er für dich?“ So hatten sie mich gefragt, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten. „Komm doch mal zu ´ner Tasse Kaffee rum und sag´s uns.“

      Nun


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