Weihnachten? Um Gottes Willen!. Klaus Grammel

Weihnachten? Um Gottes Willen! - Klaus Grammel


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Zitate:

      „Das Geschenk, das wir Deutsche auf der Welt Adolf Hitler erneut zur Weihnacht bringen, ist: Vertrauen. Wir legen ihm von Neuem unser Schicksal in die Hände als Dank und Gelöbnis zugleich.“

      (Rudolf Hess, 1934, Stellvertreter des Führers) und

       „Es war seit jeher der tiefere Sinn des Weihnachtsfestes, nicht so sehr den Frieden als Beglückung zu empfinden als vielmehr für den Frieden zu arbeiten und zu kämpfen.“

      (Josef Goebbels, Reichspropagandaminister).“

      Es folgten Lieder, die in ihrer gereinigten Fassung gesungen werden sollten. Darunter auch „Es ist ein Ros entsprungen…“ Statt „Es ist ein Ros' entsprungen / aus einer Wurzel zart, / wie uns die Alten sungen, / von Jesse kam die Art …“ sollte es nun heißen: „vom Himmel kam die Art.“ Der Name „Jesse“, damit ist Isai gemeint, der Vater von David, der würde das ganze schöne Lied „verjuden.“

      „Auch die Weihnachtsgeschichte nach Lukas werde ich in gereinigter Form vortragen“, hatte der Kollege mit eigener Hand in sein Heft geschrieben. Ich las:

      „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging … Und auch Joseph aus Galiläa von der Stadt Nazareth wanderte nach Betlehem mit Maria, seiner lieben Frau, die ein Kind unter ihrem Herzen trug …“

       Gut verständlich, aber bei Lukas heißt es anders:

       „Auch Joseph aus Galiläa aus der Stadt Nazareth ging nach Betlehem zu der Stadt Davids im jüdischen Land… weil er aus der Nachkommenschaft Davids war …“

      Ob einer von den damals Anwesenden gemerkt hatte, was der braune Pfarrer Adolf Schäfer da weggelassen hatte? Aber wenn, wird er sich gesagt haben: Es wird schon stimmen. Er ist der Fachmann.

      Zu gern hätte ich gewusst, wie ich mir diese Weihnachtsfeier vorstellen sollte. Sein Vater muss doch seinem Sohn davon erzählt haben, wenn sie ihm so wichtig war. Vielleicht war der sogar dabei. Er war damals allerdings erst fünf Jahre alt, und heute will er sowieso davon nichts mehr hören. Aber ich würde ihn gern danach fragen, wenn das ginge.

      Ich nahm mir die losen Blätter vor. Zu meiner Freude fand ich, was ich mir gerade gewünscht hatte. Die Frau des Kollegen hatte auf fast vier Seiten die Veranstaltung beschrieben, in ihrer kindlich wirkenden Schrift, mit durchaus detaillierten Beobachtungen. Die Zeilen bezeugten die große emotionale Bedeutung, die diese Feier für die Verfasserin hatte. Wie ein Vermächtnis, dachte ich nach dem Lesen.

      Ich las, dass an der Stirnseite des großen Raumes zwei Hakenkreuzfahnen hingen, die einen Weihnachtsbaum flankierten, der fast bis zur Decke reichte. Prachtvoll habe er mit seinem Schmuck ausgesehen. Silbern leuchtete das Lametta. An den Zweigen hingen allerdings keine Engelsfiguren oder Weihnachtsglöckchen, sondern unzählige leuchtende rote Kugeln mit einem weißen Kreis und darin das schwarze Hakenkreuz. Und oben keine Spitze aus Glas oder gar ein Stern, sondern ein SA-Mann in brauner Uniform, der alle Gäste mit dem Hitlergruß willkommen hieß.

      „Sie haben immer noch nicht verstanden, dass Engel und SA-Männer keine Gegensätze sind“, hatte sie wörtlich geschrieben. Über so viel Naivität und Realitätsferne konnte ich nur meinen Kopf schütteln.

      Die Feier galt vor allem den Kindern, deren Väter als Soldaten im Krieg waren. Die Jungen und Mädchen haben an langen Tischen gesessen, dazwischen ihre Mütter und hinter ihnen standen Hitlerjungen und BDM-Mädchen als Helfer. Ein Parteigenosse in brauner Uniform hatte zu Beginn alle Anwesenden begrüßt und aufgefordert, erst einmal miteinander ein Weihnachtslied zu singen.

      „Mir wurde richtig feierlich“, schrieb sie, „als wir sangen:

       Hohe Nacht der klaren Sterne,

       Die wie helle Zeichen steh'n

       Über einer weiten Ferne

       D'rüber uns're Herzen geh'n.

      

       Hohe Nacht mit großen Feuern,

       Die auf allen Bergen sind,

       Heut' muß sich die Erd' erneuern,

       Wie ein junggeboren Kind!

      

       Mütter, euch sind alle Feuer,

       Alle Sterne aufgestellt;

       Mütter, tief in euren Herzen

       Schlägt das Herz der weiten Welt!“

      

      „Wenn wir unseren guten Dichter Hans Baumann nicht hätten mit seinen Liedern, die uns so ergreifen“, hatte sie dazu geschrieben wie einen dankbaren Seufzer. „Es zittern die morschen Knochen …“ dieses Lied voller Aufbruch und jenes voller deutscher Innigkeit.

       Was dann alles gesagt wurde, kann ich nur unterschreiben. Die schlimme Zeit verlangt von uns allen viel Opferbereitschaft und Verzicht. Aber nie sollten wir darauf verzichten, für unsere Kinder alles zu tun, damit sie heranwachsen können zu zukünftigen Trägern der großen völkischen Idee. Ich schaute auf meinen Buben, der unverwandt den herrlichen Baum ansah. Auch er ist Deutschlands Hoffnung. Dann riefen wir alle ‚Sieg Heil!‘ Auch die Kinder riefen voller Begeisterung mit.“

      Die haben doch nicht ein Wort von dem verstanden, was der braune Onkel da vorne erzählt hatte, kam mir in den Sinn. Aber um ‚Sieg Heil!‘ zu brüllen, muss man ja nichts verstanden haben. Im Gegenteil, das könnte nur hinderlich sein.

      Dann war der naiven Pfarrfrau schon wieder feierlich zumute. Man sang

       Heimat deine Sterne,

       sie strahlen mir auch am fernen Ort.

       Was sie sagen, deute ich ja so gerne,

       als der Liebe zärtliches Losungswort.

       Schöne Abendstunde,

       der Himmel ist wie ein Diamant.

       Tausend Sterne stehen in weiter Runde,

       von der Liebsten freundlich mir zugesandt.

      Und dann hatte die Frau doch tatsächlich geschrieben:

       „Er war ja nie richtig einer von unsren Leuten. Hatte sogar im KZ gesessen und ist vor einem guten halben Jahr wegen defätistischer Äußerungen im Luftschutzkeller auch hingerichtet worden. Aber das muss man sagen: Dieses Lied ist dem Erich Knauf gelungen.“

      Sie erzählte auch davon, wie der Weihnachtsmann im roten Kapuzenmantel und mit Sack und Rute den Kindern Kekse und Brause schenkte, den die jungen HJ-Helfer zügig unter die Kinder verteilten, und wie er die große Bescherung angekündigt hat, auf die alle schon neugierig seien. Aber vorher müssten alle erst noch einmal zuhören.

      „Das war das Stichwort für meinen Mann“, schrieb sie. „Er hat seine Sache wieder so gut gemacht! Na, so bin ich es ja auch von ihm gewöhnt. Wenn die Leute nur besser verstehen würden, dass unser Herr Christus, der so furchtbar unter den Juden gelitten hat, unser deutsches Volk liebt. Wir sangen dann „Es ist ein Ros entsprungen…“ und mein Mann sagte, dass jetzt die große Bescherung beginnt. Und als der Weihnachtsmann gerade den ersten Geschenksack öffnete, da ertönten auch schon die Sirenen. Schnell ab in die Keller! Noch bevor sich der Saal geleert hatte, krachten auch schon die ersten Bomben. Mein Mann rief uns noch zu, schnell in den Luftschutzkeller zu gehen. „Ich muss hier noch helfen. Dann komme ich nach.“

       Das waren seine letzten Worte zu mir und dem Buben. Aber das konnte ich in dem Moment noch nicht wissen. Auf dem Weg zu uns erschlug


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