Weihnachten? Um Gottes Willen!. Klaus Grammel

Weihnachten? Um Gottes Willen! - Klaus Grammel


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ähnlicher Dissens brach in einem Seminar über die Geburtslegenden von Lukas und Matthäus auf. Mit Beharrlichkeit, ja Sturheit, hatte er darauf bestanden, dass die Wahrheit der Aussage des Textes daran hängt, dass das, was er erzählt, als Bericht angesehen werden müsse. „Und ein Bericht muss stimmen!“ Täte er es nicht, hätte ein Text keinen Anspruch, ernst genommen zu werden. Mir fällt noch ein, wie er geradezu pingelig darauf bestanden hatte, dass bei der Weihnachtsgeschichte das Haus, von dem Matthäus erzählt, und der Stall, der aus Lukas erschlossen werden kann, identisch sein müssten. Wenn nicht, wäre die ganze Sache von der Geburt Jesu unglaubwürdig.

      Wir haben uns nach Göttingen aus den Augen verloren. Und jetzt, nach vielen Jahren, verspürte ich auch überhaupt kein Interesse, die alte Bekanntschaft zu erneuern.

      Er erzählte mir am Telefon, dass er das Studium der Theologie und Philosophie nach vier Semestern abgebrochen und sich anschließend im journalistischen Bereich getummelt habe. Damit hatte er die Kette der Pfarrer in seiner Familie in vierter Generation zerstört. Jetzt wollte, besser gesagt, müsse er in eine Seniorenresidenz ziehen, er sei ja nun auch schon 77. Da hieße es auszumisten, möglichst gründlich. Beim Aufräumen sei ihm wieder ein kleines Päckchen in die Hände gefallen. Das habe ihm seine Mutter gegeben, nachdem „deren Mann“, wie er formulierte, ums Leben gekommen sei. Noch im Krieg.

      „Sie reden von Ihrem Vater?“

      „Ja.“, bestätigte er. „Meine Mutter! Wissen Sie, die war immer nur ein Anhängsel von meinem Vater gewesen. Als meine Mutter mir das Päckchen überreichte, damals, als ich nach Göttingen ging, war sie fast feierlich. Da ist was von Onkel Gernot drin, meinte sie. Er war ein tapferer Soldat gewesen, denn das hier hat er dem Feind abgenommen. Wir haben dir ja oft erzählt, dass er im Krieg geblieben ist. Damals in Flandern. Und von deinem Vater ist da auch etwas drin, hatte sie hinzugefügt. Ja, und von ihr selber ebenfalls.“

      „Sie wissen es nicht genau? Und auch nicht was?“, fragte ich.

      „Ich habe das Päckchen nie aufgemacht.“

      Ich war überrascht. Wie tief ging der Bruch zwischen ihm und seiner Familie? Oder wovor hatte er Angst? Durchs Telefon war seine Empörung zu spüren. Als ich ihn darauf ansprach, wurde er deutlich: „Mir kommt heute noch die Galle hoch. Dass ich bald danach mein Studium abgebrochen habe, hatte der alten Dame fast das Herz gebrochen.“

      Ob er mir das Päckchen zuschicken dürfe. Darauf also wollte er hinaus. Da ich immer noch nicht gelernt habe, auf Fragen wie diese mit Nein zu antworten, bat er um meine postalische Anschrift, bevor ich es mir anders überlegen konnte.

      „Ihr Onkel war der Bruder Ihres Vaters?“

      „Ja. Mir fällt noch ein“, ergänzte er, „dass da ein Kriegskamerad war. Mein Onkel und der, die beiden waren wohl Freunde. Der wollte mich immer sprechen. Aber ich wollte nicht. Ich habe mich nie dafür interessiert. Dieser Krieg war eine einzige Lüge! Und mein Onkel hat für diese Lüge sein Leben opfern müssen. Und das Leben meines Vaters war auch eine einzige Lüge. Sein Bruder sei für ein besseres Deutschland gestorben, hat mein Vater mehrmals zu mir gesagt. Und der hatte das auch wirklich geglaubt. Sie haben sich alle immer nur etwas vorgemacht.“

      Ich schwieg.

      „Ich habe mit dem allen gebrochen“, fuhr der Bekannte aus vergangenen Tagen fort. „Meine Mutter ist auch längst tot. Mich geht das alles nichts mehr an. Sie kriegen das Päckchen so, wie meine Mutter es mir damals gegeben hatte.“

      „Haben Sie noch den Namen von dem Kriegskameraden ihres Onkels? Und die Anschrift?“

      „Vielleicht irgendwo, ja, mag sein. Aber der muss doch auch schon lange tot sein. Wenn Sie wollen, können Sie ja meine E-Mail-Anschrift haben.“

      Ich wollte eigentlich nicht, notierte sie mir aber fast mechanisch, als er sie nannte. Dann wollte er noch genau meine Postanschrift wissen. Und danach hat er ziemlich rasch mit Dank aufgelegt.

      Das Kreuz mit den Haken am Kreuz

      Ich wollte meine Frau beim Öffnen des Päckchens dabei haben. So ließ ich es noch einmal eine Woche liegen. Dann würde meine Frau von einer kleinen Reise zurückkommen.

      Wir schnitten die verknotete Schnur auf und entfernten das Packpapier. Es kam ein kleines Päckchen zum Vorschein. Es enthielt ein Schreibheft, wie man es früher in der Schule benutzte. Mehr als zur Hälfte vollgeschrieben mit einer steilen, spitzen Schrift. In dem Heft lagen zwei Blätter, die in einer anderen, sehr viel unsichereren Schrift eng beschrieben waren. „Wie ich es erlebt habe“, stand auf der ersten Seite des Heftes.

      „Wenn das Heft hier von seinem Vater stammt, dann ist dies hier die Schrift seiner Mutter“, sagte meine Frau und zeigte auf die Aufschrift „Für meinen Sohn Falk Schäfer“, die auf dem Päckchen stand.

      „Und das hier auch“, sagte ich, und zeigte ihr die zwei losen Blätter.“

      Wir fanden noch eine Postkarte mit einem Städtebild, in Englisch geschrieben, adressiert an einen „…nd..Lt…Jul…Cese…“

      Einen richtigen Absender konnte ich nicht ausfindig machen. Wo man ihn vermuten könnte, war nur noch ein „Maj“ zu lesen und nach einer verderbten Stelle noch ein „ery“.

      Eine Plakette kam noch zum Vorschein. Nein, das sah eher nach einer Münze aus. Schmutzig, silbergrau, etwa fünf Zentimeter im Durchmesser. Sie lag schwerer in der Hand, als ich erwartet hatte.

      Ich nahm die zwei losen Blätter aus dem Schreibheft, legte sie beiseite und beschäftigte mich zunächst mit dem, was mit männlich starker spitzer Schrift ins Heft geschrieben worden war. Meine Frau machte sich daran, vorsichtig die Münze zu säubern.

      Was ich las, erregte meine ganze Aufmerksamkeit, aber auch meinen Unwillen. Nicht dass ich die Gedanken, die da wiedergegeben wurden, nicht kannte. Ich hatte mich schon als Student mit der Theologie und Kirche im Dritten Reich auseinandergesetzt. Aber jetzt trat mir diese Einstellung nicht bloß als Meinung entgegen, die es eben auch gab, sondern als lebendige Äußerungen eines Menschen, dem sie wichtig waren, der in ihnen lebte und meinte, in ihnen sein Leben gefunden zu haben. Dieser Mensch muss davon erfüllt gewesen sein, sie unters Volk zu bringen in einer geradezu heiligen Mission.

      „Zeige den vom Leben im Krieg gebeutelten Menschen die Quelle ihrer Kraft, die Tröstung durch die Botschaft einer deutsch-christlichen Weihnachtsstunde“, stand wie eine Selbstverpflichtung gleich auf der ersten Seite. Auf der Außenseite las ich:

       „Gedanken für die Weihnachtsfeier am 17. Dezember 1944, Ulm“.

      Darunter las ich: „Pfarrer Adolf Schäfer.“

      Zunächst berichtete er von einem Streit, in den er mit seiner Partei geraten sei. Es hätte großer Anstrengungen bedurft, bei der Ulmer Parteileitung durchzusetzen, dass er als Pfarrer, als deutscher Christ, als Mitglied der nationalsozialistischen Partei und SA-Mitglied, die Weihnachtsansprache halten durfte, und nicht sein parteiinterner Gegner. Dieser wollte Weihnachten begehen in Anlehnung an die altgermanische Sonnenwendfeier, als ein Fest, das in dunkelster Zeit dem deutschen Volk seine Zukunft versichern würde. Für diese Sicht stützte er sich auf den nationalsozialistischen Chefideologen Alfred Rosenberg. Es gehe darum, anstelle des christlich-jüdischen Weihnachtsmythos einen neuen germanischen deutschen Mythos zu setzen. Dagegen habe er gekämpft, mit aller Leidenschaft und sich am Ende auch durchgesetzt.

       „Es kommt nicht darauf an, Weihnachten zu entchristlichen, sondern zu entjuden. Es geht darum, Jesus zurückzugewinnen. Den wahren Jesus. Jesu Kreuz zeigt den ganzen Hass der Juden auf Jesu Lossagung vom Judentum, zu dem er nie wirklich gehört hatte. Er muss wieder werden, was er eigentlich war und ist: der Heiland der Arier. Denn Jesus war selbst ein Arier.“

      So hat er sein Anliegen in sein Heft geschrieben. Als Beleg für seine kühne These führte er noch die Veröffentlichungen des „Institutes zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ an, das in Eisenach seinen Sitz hatte: „Mit größter Wahrscheinlichkeit


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