Das große Bumsfallera. A. J. Winkler

Das große Bumsfallera - A. J. Winkler


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wobei der Name vielversprechend war und ich mir zusammengereimt hatte, dass Sie meinem alten Bekannten ein Etablissement mit derartigem Namen vorführen werden. Wärt ihr nicht hier gewesen, hätte ich mich wieder nach Wilmersdorf zurück begeben und euch dort erwartet.”

      “Die Zugverbindungen könnten doch noch funktionieren,” wandte Christian ein, der die ganze Geschichte gar nicht als so katastrophal empfand, wie Markowsky sie schilderte, “ich frage mich nur, was für ein Gefühl das sein muss, wenn irgendein Berliner mit der Bahn nach Köln will und 1930 ankommt.”

      “...oder fliegt,” ergänzte Wittmann düster.

      “Nein, nein, der Flughafen ist tot, die Elektronik ist ja ausgefallen. Da ist’s zappenduster. –Funk und Telefon sind auch ausgefallen,” meinte Christian, nun an Markowsky gewandt.

      “Das ist ja eine Katastrophe,” sagte Wittmann tonlos, “wie sollen wir das wieder geradebiegen?”

      “Tja, Julius, das hättest du dir vielleicht vorher überlegen sollen, nicht?”

      “Friwi, das war nicht beabsichtigt! Ich wollte nur eine kleine Zeitreise ins Jahr 1994 machen, nicht eine Stadt ins Unglück stürzen! –Bist du dir ganz sicher, dass alles so stimmt, wie du’s erzählt hast? Wir sind ganz sicher immer noch im Jahre 1930?”

      “Sicher.”

      “Und ich habe die Stadt der Zukunft einfach nur in unsere Zeit geholt?”

      “Genau.”

      “Cool,” meinte Christian, “endlich erleb ich mal wieder was; das ist ja wirklich ein toller Tag.”

      “Friwi, das ist eine Katastrophe, du musst mir glauben, das war nicht meine Absicht.”

      “Julius, was soll ich dir da glauben? Das weiß ich doch! Du bist kein böser Mensch, du wolltest mal wieder nur das beste. Und lass uns nicht mit Entschuldigungen um uns werfen; das macht keinen Sinn. Lieber sollten wir überlegen, wie wir dem beikommen. Kannst du es rückgängig machen?”

      “Prinzipiell natürlich. Wir sollten uns die Zeitmaschine heute noch ansehen; ich habe das dumpfe Gefühl, dass damit etwas nicht stimmt. Irgendwas ist nicht in Ordnung, schon die Gangschaltung hat nicht funktioniert, und ich befürchte, dass der ganze Apparat jetzt im Moment noch nicht arbeitsfähig ist.”

      “Was soll das heißen, Julius?”

      “Bei meiner Ankunft... na ja, also, als ich glaubte anzukommen, respektive, als Berlin sozusagen ankam... da gab es neben dem kräftigen Rums noch ein Geräusch wie von just zerschmettertem Geschirr; ich war viel zu neugierig auf das, was ich erleben würde, als dass ich genau nachschauen wollte, ob etwas zu Bruch gegangen war.”

      “Kann man das reparieren?”

      “Natürlich. Man kann alles reparieren.”

      “Wie lange dauert das?”

      “Das hängt davon ab, was es ist.”

      “Ich hoffe, es geht schnell. Wir werden früh genug die Auswirkungen deiner Experimentierfreude zu spüren kriegen, wenn zum Beispiel morgen die ersten neugierigen Brandenburger in die Stadt strömen und die Zukunft in Augenschein nehmen. Und umgekehrt natürlich, die Berliner werden ja irgendwann auch begreifen, dass um sie herum tiefe Vergangenheit herrscht, aus ihrer Perspektive. Irgendwann entsteht eine Massenpanik. Und es gibt wahrscheinlich Chaos, Verletzte, Tote.”

      “Warum bin ich überhaupt hier geblieben?” fragte sich Wittmann mitten in Markowskys apokalyptisches Sprachgemälde hinein und begann zu grübeln.

      “Ich hätte es dir verbieten sollen,” sagte Markowsky hart und bitter, “in meinem Keller ein solches Ding zu basteln. Es war eine unverantwortliche Fahrlässigkeit meinerseits.”

      Wittmann schüttelte traurig den Kopf.

      “Wie du schon sagtest, Friwi: es nützt jetzt nichts mehr, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Natürlich müssen wir dieses Experiment rückgängig machen, ich fürchte nur, das wird nicht sofort geschehen können. Außerdem würde mich noch die Grenze der Wirksamkeit meines Experimentes interessieren, also bis wohin meine Zeitmaschine Einfluss nehmen konnte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Wirksamkeitsgrenze mit der Stadtgrenze übereinstimmt.”

      “Das ist jetzt völlig gleich,” widersprach Markowsky, “wir müssen Schlimmeres und Schlimmstes verhindern, das ist alles, was wir zu tun haben.”

      “Nein, nein, ich will mir die Kollateralschäden ansehen, die ich verursacht habe. Zunächst sollten wir natürlich die Zeitmaschine untersuchen. Ich werde dann eine Diagnose erstellen, was ihren Zustand und die ungefähre Dauer ihrer Reparatur betrifft. Dann sollten wir morgen...”

      “Einige Dörfer sind sicher auch betroffen, Julius,” fiel ihm Markowsky zynisch ins Wort, “willst du die gesamte Stadtgrenze abfahren?”

      “Nein, aber wir müssen uns einen Überblick verschaffen, und dafür müssen wir wissen, was ich genau getan habe. Man wird die Grenze sehen können. Du hast ja gesagt, es fehlten hundert Meter Gleis. Es werden an der Grenze der Wirksamkeit mehr Unregelmäßigkeiten passiert sein, an welchen man ablesen kann, bis wohin 1994 ist –lass es mich für den Moment so ausdrücken-- und wo alles beim Alten geblieben ist. Das sollten wir morgen in Angriff nehmen.”

      “Wunderbar,” rief Markowsky mit Sarkasmus in der zitternden Stimme, “die Zeiten sind vertauscht, eine Katastrophe hat sich ereignet, und die Herren unternehmen eine Landpartie! Phantastisch!”

      “Friwi, wir müssen exakt arbeiten. Wir müssen genau wissen, was passiert ist, ich muss ja auch sehen, welchen Schaden ich angerichtet habe. Noch ist es nur ein Unglück. Bald kann es eine Katastrophe sein. Ich bin dafür verantwortlich, also werde ich diese Katastrophe verhindern.”

      “Du hast das Ding gebaut, es hat nicht funktioniert. Traue dir bitte nicht zuviel zu,” erwiderte Markowsky nun mit kaltem Gesichtsausdruck.

      Die Musik hatte längst wieder begonnen, doch die Physiker hörten nicht zu. Nur Christian bemerkte Charlotte wieder auf der Bühne und wandte sich ihr zu, um die beiden Alten ungestört streiten zu lassen. Dem Gespräch hatte er ohnehin nicht mehr ganz folgen können, und er wollte auch nicht, da ihm nicht klar war, was an dem Missgeschick, welches dem Professor unterlaufen war, ein wirkliches Unglück sein sollte –noch gestern allerdings hätte ein nüchterner Christian die ganze Angelegenheit aus einer völlig anderen Perspektive gesehen. Jetzt allerdings hatte er andere Sorgen, und der Grund dafür stand gerade auf der Bühne und sang. Der Streit der alten Herren störte zu Beginn noch; bald jedoch war die Problemwälzerei weit weg. Der Rest der Welt schrumpfte zu einer Erbse zusammen und verkrümelte sich hinter die Rückwand der Kneipe.

      Christians Martini stand halbvoll und deprimiert vor ihm, wurde warm und klebrigerweise untrinkbar. Irgendwelche Stimmen riefen mehrmals seinen Namen. Schließlich schob sich der dicke Kopf des Professors in sein Gesichtsfeld und durchbrach die Magie des Augenblickes.

      “Hallo Sie! Sie sind wieder ansprechbar, ja? Fein.”

      “Was?”

      “Sie könnten uns wieder Ihrer Aufmerksamkeit teilhaftig werden lassen. Also, hören Sie zu: wir müssen jetzt gehen. Wir werden uns noch einmal kurz die Maschine ansehen, dann für heute Schluss machen, zeitig ins Bett gehen, da wir morgen sehr früh aufstehen sollten.

      Um die knappe Zeit besser zu nutzen, wird mein Freund Friwi heute mit uns nächtigen, wenn Sie nichts dagegen haben.”

      “Nein, nein... aber ich kann noch nicht weg...”

      “O doch, Sie können. Reißen Sie sich los, es gibt Millionen Mädchen, und wir sind nun mal auf Sie angewiesen. Sie haben eine Wohnung, ein Auto, wie Sie mir jüngst erzählten, und Sie sind ein guter Kerl, wie ich bisher fand. Es tut mir leid. Kommen Sie bitte.”

      In diesem Augenblick endete ein Lied, und es gab Beifall; Christian schaute sich im mittlerweile gut gefüllten Laden um und freute sich ganz kurz darüber, dass seine neuerdings Angebetete Leute gelockt hatte.


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