Homo sapiens movere ~ geopfert. R. R. Alval
kurz davor war den Löffel abzugeben? „Sammylein, setz dich richtig hin! Ich weiß, es ist anstrengend, aber tust du das bitte für mich?“
Zitternd richtete ich mich auf, was mehr von einer Marionette hatte, als mir lieb war. Mit einem Ruck zog ich erst meinen linken, dann meinen rechten Arm vom Tisch, so dass sie wie Teigrollen in meinen Schoß glitten.
Waren das meine Arme? Sie fühlten sich nicht so an. Aber sie hingen an meinen Schultern, also mussten sie es wohl sein. „Sam, sieh mich an!“ Sie sagte das so einfach.
Das war es nicht.
Mein Kopf wog grob geschätzt eine Tonne, saß aber auf einem Hals, der maximal einen Zentimeter breit war. Ein äußerst schwieriger Balanceakt, der meine ganze Konzentration erforderte.
Was tat ich hier eigentlich?
Ich saß an meinem Küchentisch und hörte auf meine Laura, die vor drei Monaten gestorben war. Das war…
Etwas glitt kitzelnd über meine Wangen, als sie mir gegenüber Platz nahm, ihre Hände nach meinen ausstreckte – die ich erst auf meinen Schoß hatte fallen lassen und die nicht mehr wirklich zu mir gehörten. Doch jetzt bewegten die sich von ganz allein auf die Mitte des Tischs zu, wo sie Lauras Hände berührten. Ich sah es, konnte es aber nicht fühlen. „Nicht weinen, Sam. Ich bin hier.“ Ich weinte? Komisch, dass ich es nicht spürte.
„Bin ich tot?“ Mein Kopf weigerte sich gegen diese Vorstellung. Wenn ich es wäre, würde mir doch nicht alles wehtun, oder? „Nein. Du stehst auf der Schwelle. Ich bin hier, um dich davon abzuhalten sie zu überschreiten.“
„Warum?“ Hey, ich wollte absolut nicht sterben. Aber so wie sich mein Körper anfühlte oder eher nicht anfühlte, wäre mir sogar der Tod recht. Mir tat alles weh. Gleichzeitig spürte ich nichts.
Absurd.
Als wären meine Gliedmaßen an den völlig falschen Stellen angewachsen, nachdem sie mir das Gift vom Körper getrennt hatte. Meine Nerven übertrugen zwar die Gewissheit, dass sie schmerzten, aber waren damit überfordert, den Rest zu übermitteln. „Sam, deine Zeit ist noch nicht um. Du hast noch einiges zu tun. Ich werde Hilfe für dich holen.“
Hilfe.
Für mich?
Super.
Wäre ich nicht damit beschäftigt gewesen gedankenverloren in ihre Augen zu sehen, hätte ich mich auch erinnert, wofür ich Hilfe brauchte.
Ist heute Montag? Wollte ich etwas erledigen?
„Sam, konzentriere dich auf das Wesentliche.“
Das Wesentliche... geht klar... Was war das gleich nochmal?
Ich runzelte die Stirn – hoffte ich. Mein Kopf war viel zu groß; meine Haut viel zu straff gespannt.
Bin ich beim Zahnarzt gewesen? Bestimmt. Die Spritzen, die man dort bekam, hatten einen ähnlichen Effekt. Nur, dass mir trotzdem alles wehtat.
Wieso ist Laura nicht auf Arbeit? Hat sie Urlaub?
Die Fragen, die sich in meinem Kopf überschlugen und ineinander verhedderten ergaben keinen Sinn. Irgendetwas lief hier gerade völlig falsch.
Nur dass ich keinen Schimmer hatte, was. „Alan wird gleich hier sein. Du wirst dir von ihm helfen lassen!“
Alan? Der Name tuckerte durch meine Gehirnwindungen wie eine Dampflok.
Wer ist das? Ein Freund? Ein Arzt? Vielleicht der Zahnarzt?
„Er kommt nicht allein.“
Wieso kommt der Zahnarzt hier her? Vielleicht ist er gar kein Zahnarzt, sondern mein Chef? Herrje, habe ich was Dummes angestellt? Bringt er Kollegen mit? Mein Kopf dröhnte und es wischten Hände über mein Gesicht. Ich glaubte nicht, dass es meine waren.
Warum hängen die dann an meinen Schultern?
Hier lief definitiv etwas ohne mich ab! „Ich glaube, mit mir stimmt was nicht.“, flüsterte ich angestrengt. Meine Stimme ging allmählich auf Tauchgang. Laura lächelte. „Vertrau mir Sam, es kommt alles in Ordnung. Du musst dir nur helfen lassen.“
Gut. Ich vertraute Laura. Wenn sie sagte, dass alles wieder gut wurde, würde es schon stimmen. Hoffentlich wusste sie, wo meine richtigen Arme abgeblieben waren.
Ein dümmliches Grinsen kräuselte meine Lippen, doch ich konnte es nicht abstellen. Ebenso wenig die Tränen.
So sehr ich mich auch anstrengte.
Starke Arme hoben mich vom Stuhl, nachdem etwas Raues über meinen Hals gehuscht war. Glaubte ich zumindest. Mein Kopf fiel gegen eine breite Brust, und ich hing in diesen Armen wie eine überdimensionale, gekochte Makkaroni.
Kurz darauf wurde ich in ein Bett gelegt. Meine Augen fielen von ganz allein zu. Irgendjemand strich mir sanft über die Stirn. Vielleicht war es auch nur ein Windhauch.
Die Matratze hinter mir sackte leicht ab und dieselben Arme, die mich hochgehoben hatten, zogen mich an sich.
Ein Mann.
Ein gut riechender Mann.
Ein anderer Mann begann zu sprechen. Und eine Frau. Kannte ich die beiden? Sie sagten seltsame Dinge. Noch mehr Stimmen kamen hinzu und verfielen in eine Art Sprechgesang.
Warum brachten mein Chef und mein Zahnarzt mir ein Ständchen? Hatte ich Geburtstag? Laura hörte ich nicht.
Ist sie doch zur Arbeit gegangen? Sie hätte mir bestimmt sagen können, warum die vielen Leute hier waren und ich so müde, als hätte ich seit Tagen nicht geschlafen.
„Sam, ich bin hier. Vertrau mir. Höre auf das Rudel. Seine Magie wird dir helfen. Alan wird deinen Geist festhalten, solange die Magie wirkt. Wehre dich nicht dagegen.“
Ok, Laura war also noch da.
Ich wollte sie fragen, wieso dieser Alan meinen Geist festhalten sollte. Ich hatte keinen Geist. Noch nicht mal einen winzig kleinen Hausgeist, der für mich Ordnung machte.
An so was glaubte ich nicht…
… was zum Henker!
Wo war ich?
Ein Traum?
Offensichtlich…
Denn als ich an mir nach unten sah, trug ich ein weißes, hauchdünnes Kleidchen. Ich wusste immer noch, wer ich war, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich hierher gelangt war. Und wo dieses Hier überhaupt war.
Neben mir stand Laura. Auch sie trug ein weißes Kleid. „Was tun wir hier?“ Laura lächelte, setzte sich auf die Wiese und bat mich, neben ihr Platz zu nehmen. Überall war Gras. Saftiges, grünes Gras bis zum Horizont. Bunt betupft mit winzigen, farbenfrohen Blüten. „Wir ruhen uns aus.“
„Wovon?“
„Vom Leben.“ Oh. Bin ich tot? „Nein Sam, du bist nicht tot. Wenn die Magie wirkt, wirst du leben. Aber du musst Alan hier hereinlassen.“ Wie meinte sie das? Wieder lächelte sie. „Das hier, das alles…“, sie beschrieb mit ihren Armen einen riesigen Kreis, „…ist der Ort, an den du dich zurückziehst. Ich kann hier sein, weil ich deine Freundin bin. Gegen Alan hingegen wehrst du dich. Lass ihn herein, Sam. Bitte!“ Alan.
Ja, jetzt fiel es mir wieder ein.
Dieser selbstgefällige Blödmann, der, der mich hintergangen hatte – den sollte ich hierher lassen?
Auf gar keinen beschissenen Fall!
„Laura?“ Sie ist doch tot, oder? „Mein Körper ist tot. Er war nur eine Hülle.“ Ich verstand, was sie mir sagen wollte. Gott, ich hatte so viele Fragen an sie. „Später Sam, du kannst mich später fragen. Jetzt musst du mir vertrauen, bitte! Lass Alan zu dir.“ Ich tat es ausschließlich für Laura.
Nur