Silas. Rebecca Vonzun

Silas - Rebecca Vonzun


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      „SIIIIIILAAAAAAAS!!!!“

      Verflixt. So konnte kein Mensch einschlafen. Geschweige denn sterben. Nicht einmal mit einem noch so dicken Kissen auf den Ohren.

      Mühsam und mit einem lauten Stöhnen rappelte er sich auf und schlurfte zur Tür. Umständlich drehte er den Schlüssel im Schloss um – einmal... zweimal. Mit rollenden Augen tappte er die Treppenstufen runter und seufzte, als er in der Küche ankam, noch einmal extra laut. Doch völlig umsonst. Während seine Mom sich die nassen Hände an ihrer Schürze abwischte, huschte sie zwischen zischenden und brodelnden Töpfen hin und her und ein verführerischer Duft nach Chili con Carne stieg ihm in die Nase. Silas’ Magen knurrte laut. Kein Wunder, schliesslich hatte er am Mittag fast nichts gegessen! Zwischen einmal umrühren und einigen Kräutern in die Pfanne werfen, drückte ihm Mom schnell drei Teller und Servietten in die Hand, ohne Silas' mürrische Miene auch nur eines Blickes zu würdigen. Silas knallte die Teller auf den langen Esstisch im Wohnzimmer. Ohne sich die Mühe zu machen, irgendetwas davon auf dem Tisch zu verteilen, warf er sich schmollend auf seinen Stuhl. Er sah demonstrativ aus dem Fenster auf die vom Regen nasse Strasse auf welcher sich in der beginnenden Dämmerung die Strassenlaternen spiegelten und wippte mit den Füssen.

      „Silas, nun reiss dich doch bitte mal ein bisschen zusammen! In zehn Minuten ist dein Vater hier und wir wollen essen! Welche Laus ist dir eigentlich über die Leber gelaufen?!“

      Silas ignorierte sie. Sie wusste ganz genau, was los war. Und tat einfach so, als ob alles in Ordnung wäre. Das machte ihn ganz fürchterlich wütend.

      „Hab keinen Hunger, Mist, Scheisse, Kacke!“, stiess er heraus, erhob sich etwas zu ungestüm – der Stuhl wackelte einen Moment lang gefährlich, bevor er auf den Boden zurückkrachte. Seine Mom konnte es nicht leiden, wenn er fluchte. Und wenn er die Möbel misshandelte. Er gab dem Stuhl einen extra Stoss und knallte zur Sicherheit nochmals das Besteck auf den Tisch. Aus den Augenwinkeln versuchte er zu erspähen ob seine Anstrengungen auch die gewünschte Wirkung zeigten. Doch Mom stand mit dem Rücken zu ihm vor dem Herd und schien gerade etwas anzubraten oder so. Auf jeden Fall zischte und dampfte es laut und Mom rührte in irgendeiner Pfanne, summte vor sich hin und schien gar nicht mitbekommen zu haben, was da draussen vor sich ging. Silas ballte die Fäuste. Es war obergemein! Die Erwachsenen taten immer so wichtig und als ob sie über die Kinder befehlen könnten. Als ob sie schlauer wären oder so. Vor lauter Zorn traten ihm Tränen in die Augen. Niemand nahm ihn ernst! Er verliess das Esszimmer mit stampfenden Schritten. Er drückte beide Fäuste fest auf die Augen und versuchte so, seine Tränen zurückzudrängen. Ein Viertklässler weinte nicht. Schon gar nicht wegen so was! Das wäre ja, als ob er verloren hätte! Sein Magen knurrte. Es roch himmlisch und er hatte einen solchen Hunger, dass er problemlos ein Nilpferd hätte verschlingen können. Doch er würde ganz bestimmt nichts essen. Nicht heute Abend. Vielleicht auch morgen nicht. Vielleicht – ja, vielleicht würde er gar nie mehr etwas essen und langsam immer dünner werden, bis er nur noch ein Klappergerüst war und starb. Das hätten sie dann davon, jawohl! Silas warf sich auf die Couch und schaltete den Fernseher ein. Er stellte auf extra laut und tat so, als ob er nicht hören würde, wie die Wohnungstür ging und sein Dad zu Mom in die Küche trat.

      „Hmm, das riecht ja wieder fantastisch…“ Dad beugte sich herunter, um seine Mom auf den Mund zu küssen (igitt!) und betrat dann das Wohnzimmer. Silas starrte in den Fernseher, wo gerade eine Werbung für Unkrautdünger lief. Er tat so, als ob es äusserst interessant wäre.

      „Na, Sohnemann, alles klar?“ Dad wollte ihn abklatschen doch Silas ignorierte ihn und widmete sich konzentriert dem Dünger.

      „Was ist denn los, Kleiner? Du bist doch wohl nicht immer noch sauer wegen der Sache heute Mittag?“ Er grinste und tätschelte ihm den weizenblonden Wuschelkopf. Silas wich ihm aus. Er war doch kein Baby.

      „Na komm, es gibt Abendessen. Du könntest schnell den Tisch decken, ich muss mir noch die Hände waschen!“ Dad drückte auf den Off-Knopf und verliess pfeifend das Wohnzimmer in Richtung Bad.

      Silas wollte am liebsten explodieren. Er schnappte sich die Fernbedienung und stellte wieder auf On. Mittlerweile lief eine Werbung für eine Versicherung. Na toll. Die konnten ihn doch alle mal.

      Heisshunger

      Wiedermal lag Silas auf seinem Bett und starrte an die Zimmerdecke. Nachdem er sich geweigert hatte, zu Tisch zu kommen hatte Dad den Fernseher erneut ausgeschaltet und die Fernbedienung gleich mitgenommen. Daraufhin hatte Silas das Ihr-könnt-mich-mal! von vorhin nicht nur gedacht sondern rausgebrüllt, war Türe knallend in sein Zimmer gestürmt, wo er nun missmutig und todtraurig lag. Er tat sich selbst ungemein leid. Endlich konnte er auch ungestört weinen, hier sah ihn ja keiner. Heisse Zornestränen rollten über seine Wangen und tropften eine nach der anderen aufs blaue T-Shirt.

      Begonnen hatte alles heute Morgen. Ein paar von den Jungs aus der Fünften hatten in der Pause davon gesprochen, heute Abend im ChickenMcKing abzuhängen, wie sie es genannt hatten. Es waren welche, die sogar wirklich in Ordnung waren (nicht so wie Jans Bruder – aber der war ja auch schon in der Sechsten), richtig coole Jungs mit Schlabbershirts und Caps und so. Silas und einige seiner Freunde standen daneben. Jonas hatte sein neustes Playstation-Game mitgebracht und sie waren gerade damit beschäftigt, es zu bewundern, als Silas plötzlich von Cédric einen Stoss in die Seite erhielt. Früher hatten sie beide in derselben Hockeymannschaft gespielt, bevor Cédric, als er in die fünfte Klasse kam, die Mannschaft gewechselt hatte.

      „Hey Alter, wollt ihr mitkommen? Wir hängen heute im ChickenMcKing ab nach der Schule… ein paar Mädels sind auch noch dabei, Svenja und so. Mein Dad hat gestern ne Provision gekriegt und hat mir genug Kohle für uns alle gegeben…“ Cédric grinste. „Wär echt cool, wenn ihr kommt, je mehr desto besser und die Loser aus unserer Klasse will ich nicht dabeihaben! Also, was ist?“

      Silas hatte keine Ahnung, was eine Provision war, doch das war auch egal. Er wusste nur, dass Cédrics Vater ungeheuer reich sein musste, denn er fuhr ein schwarzes Auto, das unglaublich teuer aussah. Und seit er von Cédrics Mom getrennt lebte, bekam Cédric ständig die coolsten Geschenke, einfach so. Ohne Geburtstag oder Weihnachten oder so. Erst letzte Woche hatte Cédric ein Fussballshirt rumgezeigt. Original von Ribéry getragen und mit Autogramm, hatte er gesagt.

      „Klar Mann, Provision, cool!“, sagte Silas, die Schultern gestrafft, um etwas grösser zu wirken und versuchte, eine möglichst lässige Pose einzunehmen. Er wusste genau, dass ChickenMcKing zu Hause Diskussionen auslösen würde, seine Eltern hatten da diese dämliche Regel… Fastfood nur am Wochenende. Doch da mussten sie jetzt durch! Er würde sich durchsetzen, schliesslich war er schon fast erwachsen, jawohl. Naja, bald jedenfalls.

      Den Rest des Morgens bekam er von der Mathestunde nicht viel mit, vielmehr schweiften seine Gedanken immer wieder ab zum ChickenMcKing und er malte sich aus, was er bestellen würde. Pommes, das war klar. Aber dazu? Den neuen DarkChicken wollte er schon lange mal probieren, er hatte die Werbung im Fernsehen schon oft gesehen, die war richtig cool. So mit einer magischen Welt und finsteren Figuren, welche in den Burger bissen und danach ein unheimliches Geräusch ausstiessen, das entfernt an ein grausiges Lachen erinnerte. Oder vielleicht doch lieber den BigChickenPrince mit den Speckstreifen extra? Das war sein Lieblingsburger. Und Livia wäre auch da… ganz bestimmt. Die beste Freundin von Svenja hatte ihn letztes Mal auf dem Heimweg sogar hallo gesagt, das allererste Mal. Silas hatte einen ganz flatterigen Bauch bekommen und hatte nur ein „He..ey“ gestottert. Er wusste auch nicht genau, warum. Sonst war er eigentlich nie so. Vielleicht lag es an ihren unglaublich langen dunklen Haaren… oder an den grünen Augen, jedenfalls schaute sie ein bisschen aus wie eine Prinzessin. Nicht, dass er sich mit Prinzessinnen auskennen würde, auf keinen Fall. Aber in King of Dragons sah die entführte Prinzessin haargenau so aus wie Livia. Deshalb musste er sie sich immer angucken. Natürlich nur, wenn niemand hinsah. Und wenn sie es nicht merkte. Aber wenn sie auch mitkam, hiesse das, dass er sie einen Abend lang heimlich immer wieder anschauen konnte…

      „Silas?“,


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